Holger Kelch wird Oberbürgermeister von Cottbus: Der späte Triumph des Tabu-Brechers
Er wollte einst Bündnis aus CDU und Linkspartei schmieden. Doch Christdemokrat Holger Kelch unterlag bei der Wahl 2006 zum Cottbuser OB dem SPD-Mitbewerber. Acht Jahre später trug er den Sieg davon. Wie hat er es geschafft?
Er wollte diesen Posten. So sehr, dass er schon vor acht Jahren ein Tabu brach, seinem Parteivorsitzenden Jörg Schönbohm (CDU) den Gehorsam verweigerte und Kanzlerin Angela Merkel zumindest verblüffte. So sehr, dass er Aussagen über seine Zukunft konsequent revidierte und acht Jahre lang diente.
Jetzt darf er herrschen. Jetzt hat er den Posten. Am 30. November 2014 wird Holger Kelch Oberbürgermeister von Cottbus – ein Augenblick, auf den er seit Juli 2006 gewartet hat. Da war der im nahe gelegenen Altdöbern geborene Kelch schon einmal Oberbürgermeister geworden. Allerdings nur geschäftsführend, weil er als Beigeordneter automatisch nachrückte, als die damalige umstrittene Amtsinhaberin Karin Rätzel (SPD) durch Volksentscheid abgewählt wurde.
Kelch, gelernter Elektromonteur und studierter Betriebswirt, war erst 39 Jahre alt, hatte aber schon Erfahrung mit Verwaltung, so als Leiter eines Ordnungsamtes und einer Kfz-Zulassungsstelle. Das Leben als Oberbürgermeister muss ihm so gut gefallen haben, dass er auch zur regulären Wahl antrat. Zwar für die CDU, aber unterstützt von FDP, Frauenpartei, freien Wählern und – der Linkspartei, die damals noch den Zusatz „Schrägstrich PDS“ führte.
Das hatte es in Deutschland bis dato noch nicht gegeben: CDU und PDS ganz offen gemeinsam, mit gemeinsamen Richtlinien fürs künftige gemeinsame Regieren. Zeitungen schrieben über den „Sündenfall von Cottbus“ und „Die Wiederauferstehung der Nationalen Front.“ Brandenburgs CDU-Chef Schönbohm schäumte, Angela Merkel schluckte, griff aber – wie Kelch immer betonte – nie ein.
Doch nicht nur Kelchs eigener Partei war das geplante schwarz-dunkelrote Bündnis unheimlich. Die märkische SPD wollte Cottbus nicht verlieren, zog ihre ursprüngliche Kandidatin, die jetzige Bildungsministerin Martina Münch, zurück und schickte dafür den damaligen Verkehrsminister Frank Szymanski als Spitzenkandidat in seine Heimatstadt. Das Kalkül ging auf, die Cottbuser wählten statt des unbekannten Verwaltungsexperten Kelch den Minister mit vermeintlich guten Kontakten nach Potsdam.
Szymanski selbst hat seine Rückkehr in die Lausitzer Provinz wohl nicht wirklich gefreut, auch wenn er nach der gewonnenen Wahl 2006 mit seinen Genossen trotzig Westernhagens „Ich bin wieder hier, in meinem Revier“ sang. Kurz darauf geriet er in die Schlagzeilen, weil ihm Ministerpräsident Matthias Platzeck angeblich nicht nur eine Art Rückkehrticket nach Potsdam zugesichert hatte, sondern auch höhere Bezüge als für einen Cottbuser Oberbürgermeister üblich.
Szymanski wurde als „Raffke" verdächtigt
Szymanski fühlte sich zu Unrecht als „Raffke“ verdächtigt, betonte, dass es ihm nur darum ging, im Landesdienst erworbene Ansprüche zu sichern. Doch auch in den folgenden Jahren blieb der Ex-Verkehrsminister in der Kommunalpolitik eher glücklos. Vor allem konnte er den immensen Schuldenberg der Stadt nicht abbauen.
Holger Kelch hat ihm das im diesjährigen Wahlkampf nicht vorwerfen können, war er doch selbst wesentlich an der Kommunalpolitik beteiligt. Entgegen seiner Ankündigung war er nämlich nach der Niederlage bei der Oberbürgermeisterwahl 2006 als Bürgermeister und Leiter des Geschäftsbereiches Verwaltungs- und Finanzmanagement im Cottbuser Rathaus geblieben. In der Öffentlichkeit war er immer loyal zu seinem Oberbürgermeister. Und doch hat sich in den acht Jahren herumgesprochen, dass er der eigentliche Macher war, während Frank Szymanski lieber repräsentierte. Wenn der Kelch sowieso alles macht, können wir ihn auch gleich wählen, mögen da viele Cottbuser gedacht haben. Und so erhielt Kelch vor einer Woche überraschend bereits im ersten Wahlgang 50,7 Prozent. Szymanski kam nur auf 37,3 Prozent und irgendwie finden das viele Einwohner folgerichtig. Auch wenn es natürlich übertrieben ist, zu behaupten, dass der einstige Verkehrsminister nichts vorzuweisen habe als die exorbitant vielen Tempo-30-Zonen in der Innenstadt und die Verkehrsinsel vor der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU).
Fusion der Unis in der Lausitz nicht verhindert
Deren mehr oder weniger von Potsdam aus erzwungene Fusion mit der Fachhochschule Lausitz hat er jedenfalls nicht verhindern können und viele unpopuläre Sparmaßnahmen auch nicht. Denn Cottbus ist nach wie vor Spitzenreiter bei der Verschuldung der märkischen Kommunen. Der Kernhaushalt der zweitgrößten Stadt des Landes ist mit Schulden in Höhe von mehr als 250 Millionen Euro belastet. Das bedeutet mehr als zweieinhalbtausend Euro pro Einwohner.
Immerhin ist es gelungen, die Neuverschuldung einzudämmen, daran wird auch der Oberbürgermeister Kelch weiter arbeiten müssen. Außerdem setzt er auf einen kollegialeren Umgang mit den Verwaltungsangestellten und einen professionelleren Umgang mit den Bürgern. Viele Cottbuser seien verärgert, sagte Kelch dem Tagesspiegel. Vor allem die Altanschließer. Das sind Eigentümer, deren Grundstücke bereits zu DDR-Zeiten an die Kanalisation angeschlossen waren und die sich dennoch an Investitionen in die Wasserversorgung nach der Wende beteiligen sollen. „Wenn das alles rechtlich geprüft ist, müssen Härtefälle viel besser als bisher gehandelt werden“, sagte Kelch. Außerdem will er ein schnelleres Internet und eine bessere Verzahnung zwischen Uni und Stadt.
Auf Facebook hat er sich artig für die Wahl bedankt und Glückwünsche entgegengenommen, so von der stellvertretenden CDU-Landeschefin Barbara Richstein. Und von Detlef Irrgang, den sie hier „Fußballgott“ nennen, weil er mit seinen Toren Energie Cottbus 1997 gegen Hannover in die zweite und 2000 gegen Köln in die erste Bundesliga schoss. Da herrschte noch Aufbruchstimmung in der Lausitz, was nicht nur am Fußball, sondern auch am damaligen Amtsvorgänger Holger Kelchs lag: Waldemar Kleinschmidt, auch CDU-Mitglied, hat die Uni geholt, das große Krankenhaus erhalten und 1995 die Bundesgartenschau kurz entschlossen ausgerichtet, als Berlin seine Bewerbung zurückzog.
Dankesworte auf Facebook
Holger Kelch wird ebenso entschlossen handeln müssen. Er kennt die Probleme, braucht keine Einarbeitung und hat acht Jahre lang Zeit. Wenn er die zarte Aufbruchstimmung nutzen will, muss er schnell Erfolge aufweisen und zugleich auch unpopuläre Dinge angehen. Nur so wird er die Stadt nach vorne bringen. Und wirklich Freude an dem so lange angestrebten Posten haben.
Sandra Dassler