Berlin-Friedrichshain: Der Ostbahnhof-Kiez verliert sein Traditionskaufhaus
Zu DDR-Zeiten florierte das Centrum-Warenhaus am Ostbahnhof. Später zog die Galeria Kaufhof ein. Eine Reportage aus dem Kiez kurz vor der Schließung.
In der einstigen „Welt der schönen Dinge“ ist der Wurm zu Haus, die Zeit läuft und alles muss raus. Ratlos stehen kaufwillige Menschen vor den im Preis reduzierten Waren, die Regale leeren sich von Tag zu Tag, bis gar nichts mehr da ist. Die Galeria Kaufhof am Ostbahnhof könnte also schon in den kommenden Tagen schließen, spätestens Ende Juni. „Natürlich ist das traurig, aber wir haben alle einen neuen Job in unserem alten Beruf“, sagt eine Verkäuferin. Ihre Spuren führen dann in den Kaufhof am Alexanderplatz, der hat seinen kleineren „Bruder“ vom Ostbahnhof abgehängt, der Alex boomt, aber am einstigen Hauptbahnhof des Ostens wird in einem legendären Kaufhaus der Ausverkauf organisiert und das Sterbeglöckchen geläutet.
Dabei war die Geburt des Centrum-Warenhauses am einstigen Schlesischen Bahnhof Ende September 1979 ein wichtiges Ereignis: Schwedische Architekten und Bauleute hatten die bunte Schachtel, sechs Stockwerke hoch, entworfen und gebaut. Der Hintergedanke war, nicht nur tausende Neu-Friedrichshainer in den benachbarten Hochhäusern ordentlich zu versorgen, sondern auch Polen, Tschechen und Sowjetmenschen, die am Ostbahnhof ankamen, sogleich in den gegenüberliegenden Konsumtempel zu locken.
Es war eine goldene Zeit, erinnern sich Mitarbeiter, denen gar nichts Gutes schwante, als die Kunden in den vergangenen Jahren peu à peu wegblieben, weil praktisch ganz Berlin zum großen Kaufhaus geworden ist und ohnehin jeder mit dem Laptop vom Sofa aus shoppen geht.
Einkaufszentrum nahe der Oberbaumbrücke
Nun hat Galeria, wie berichtet, den Mietvertrag nicht verlängert, „ein Betrieb auf der derzeitigen Verkaufsfläche lässt sich aufgrund der seit Jahren anhaltenden Entwicklung im Umfeld wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll fortsetzen“, hieß es. Das direkte Umfeld besteht aus einem Parkplatz, mehreren Hochhäusern mit alternden Bewohnern und Studenten, die das Wohnheim vor allem als Durchgangsstation sehen. Zwischen Kaufhof und Bahnhof werden billige Waren und Textilien angeboten. In einer Bierbude gibt es „Eastburger Bohnenkaffee“ für 70 Cent, auch „to go“. Gegenüber gibt es die gute alte Schrippe für 15 Cent.
Hier ist sonntags Hochbetrieb – zwischen 9 und 18 Uhr beim Antik-Markt am Ostbahnhof. Der Bahnhof mit seiner Einkaufspassage war wohl die größte Konkurrenz für die Lebensmittelabteilung im Kaufhof: Hier gibt es alles Mögliche, ein Mini-Warenhaus mit Gleisanschluss unter der ratternden S-Bahn, mit Kundschaft, die zu nahen Vergnügungen in die große Arena des Schlager-und-Eishockey-Volkes, ins Berghain oder zum Postbahnhof strömt, aber auch zur East Side Gallery und zu den neuen Büros von Konzernen wie Universal oder Coca Cola. Demnächst kommt noch ein riesiges Einkaufszentrum nahe der Oberbaumbrücke dazu. Ob das benötigt und rentabel wird, können nur Hellseher wissen, doch in Berlin wird eh alles doppelt und dreifach genäht und die Hoffnung genährt, dass sich jeder Unsinn rechnet.
Auch ohne Galeria Kaufhof ist die Gegend um den Ostbahnhof nicht blutleer, aber etwas ärmer. Denn auch jene Nutzer in den oberen Stockwerken der Kaufhaushülle, die nur Kennern vertraut sind, ziehen davon: Ärzte, Physiotherapeuten, ein Bowlingbahn-Team, das sich bei zwei Millionen Gästen bedankt, die in den vergangenen 20 Jahren in Europas höchstgelegener Bowlingbahn bis nachts um zwei Uhr ihre ruhigen Kugeln geschoben haben. Nur die Kart-Bahnen fanden eine neue Heimat: In einer Halle in der Lichtenberger Rhinstraße 130 können bald die kleinen und großen Vettels und Schumis in die Kurven sausen. Das Motto steht mit Kreide auf einer Schiefertafel: „Erst denken, dann lenken.“ Gilt immer.
Neue Schule auf Parkplatz
Was kommt nun „anstatt“ in die bunte Schachtel? Wird sie gar abgerissen? Ausgehöhlt? Entkernt? Gerüchte schwirren in den Köpfen der Anwohner: „Ob das besser wird, ist die Frage“, sagt eine skeptische Einkäuferin „von umme Ecke“. Eine Marktfrau murmelt: „Die wolln det doch weg haben – für teure Eigentumswohnungen oder einen großen Puff.“
Es wird über Kernsanierung und Büros gesprochen – aber nicht von Kaufhausnutzung, die schließt der Bau-Senat aus. Der Besitzer Signa Real Estate Management ist optimistisch und rechnet im Einzugsbereich des Objekts mit mehr als zwei Millionen Menschen – ob die Lage mitten in der Stadt hilft?
Der Bezirk möchte auf dem benachbarten Parkplatz eine Schule bauen. Die Bevölkerungsdichte liegt hier weit über dem Berliner Durchschnitt. „Nach der umfassenden Kernsanierung des Bestandsgebäudes und der kompletten Erneuerung der Fassade entstehen auf einer Bruttogeschossfläche von fast 32 000 Quadratmetern attraktive Loftbüros mit Raumhöhen von mehr als fünf Metern sowie Einzelhandelsflächen, insbesondere für Nahversorgung und Gastronomie in der Größe von rund 5900 Quadratmetern. In der Tiefgarage wird es über 200 Stellplätze geben“, sagt der Investor. Und wann könnte die Baustelle keine Baustelle mehr sein? „Fertigstellung in drei Jahren nach Erteilung der Genehmigungen.“ Der Kiez wird sich gedulden müssen.