Start-up Unternehmer aus Hellersdorf: Der Millionär aus der Platte
Nikita Fahrenholz ist mit einer Internetplattform für Essenslieferung reich geworden. Auf einen Döner fährt er immer noch gern in die alte Heimat Hellersdorf.
„Idyllisch“ ist nicht das erste Wort, das den meisten einfällt, wenn sie an Hellersdorf denken. Doch so hat Nikita Fahrenholz seine Kindheit in Erinnerung. Der 34-Jährige steht in der Nossener Straße, wo die fünfgeschossigen Plattenbauten noch wie damals aussehen. Nur die Büsche und Bäume sind seither deutlich gewachsen. „Krass, wie grün hier alles geworden ist“, sagt Fahrenholz.
Auch die Höfe haben sich nur wenig verändert. Hier hat er über Jahre seine Nachmittage verbracht. Nur in dem früheren Fußballkäfig ist nun gelber Sand aufgeschüttet und ein Netz gespannt. „So einen fancy Beachvolleyballplatz hatten wir nicht“, sagt Fahrenholz. Dafür ist die Tarzanschaukel verschwunden, wahrscheinlich wäre sie heute aus Sicherheitsgründen nicht mehr erlaubt, vermutet Fahrenholz.
Der Hellersdorfer ist einer der bekanntesten deutschen Gründer. 2010 hatte er die Plattform Lieferheld gestartet, die später im global agierenden Essenslieferkonzern Delivery Hero aufging, der an der Börse fast acht Milliarden Euro wert ist. Danach folgten die Putzkräftevermittlung Book a Tiger und der Designgaragenbauer Fahrengold.
Derzeit arbeitet Fahrenholz schon wieder an einem neuen Projekt. Seine PR-Agentur preist ihn als „Deutschlands erfolgreichsten Start-up Unternehmer“ an. Das ist sicher etwas dick aufgetragen, doch Fahrenholz ist wahrscheinlich der erfolgreichste „echte“ Berliner Gründer. Denn auch wenn sich Berlin europaweit als Start-up-Zentrum etabliert hat, stammen die meisten Gründer nicht von hier.
Zurück in der alten Heimat
Fahrenholz ist ein Ost-Berliner Plattenkind. Leicht könnte man die Geschichte vom Kampfsportfan erzählen, der sich nach oben geboxt hat und reich werden wollte, nachdem eine Freundin mit einem Millionär aus St. Tropez durchbrannte. Doch er ist auch ein Lehrerkind, das Klavier gespielt hat und heute lieber am Wochenende zelten geht, statt mit Fotos von schicken Villen auf Instagram zu protzen, wie andere der Gründerszene.
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Leisten kann er sich das auch, Lieferheld hat ihn zum Millionär gemacht. Anzusehen ist ihm das nicht. In T-Shirt und Turnschuhen unterscheidet er sich nicht von den anderen Passanten auf der Riesaer Straße, der Hauptverkehrsachse des Bezirks. An der Ecke Mark-Twain-Straße schaut Fahrenholz etwas wehmütig auf den Platz mit dem Lidl-Markt. „Hier war früher ein Döner, das war unser Kieztreff.“ Auch heute ist er kulinarisch bodenständig geblieben. Jetzt wohnt er in Karlshorst, doch gelegentlich fährt er zu seinem Lieblingsdöner am U-Bahnhof Kaulsdorf Nord.
Auch früher ging es nicht ohne sein Hellersdorf. Als seine Mutter mit ihm in die Nähe von Hannover zog, drängte er sie, nach Berlin zurückzukehren; er fühlte sich fremd in Niedersachsen. Nach zwei Jahren waren sie zurück. Obwohl die Familie dann auch in Karlshorst lebte, wollte er wieder auf seine Hellersdorfer Schule, das heutige Melanchthon-Gymnasium.
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Gleich um die Ecke liegt das Kulturzentrum „Die Kiste“. Plakate werben für die nächsten Konzerte und Filme. Schon früher war es ein wichtiger Treffpunkt für die Jugendlichen. Fahrenholz hat hier viele Filme geschaut und später auch die ersten Biere getrunken. Allerdings veränderten sich dann auch die Freundeskreise. „Manche Leute sind abgesackt, haben angefangen zu trinken oder Drogen zu nehmen“, erinnert er sich. „Da habe ich gemerkt, so willst du später nicht leben.“
Stationen bei McKinsey und Citigroup
Fahrenholz träumte davon, Pilot zu werden. Das redete ihm seine Mutter aus, er entschied sich für Betriebswirtschaft, zum Studium verschlug es ihn nach Reutlingen. „Ich habe nach guten Unis geguckt und wollte auch ins Ausland, hatte aber keine Kohle“, erinnert sich Fahrenholz. In Reutlingen gab es die Möglichkeit, auch ins nordenglische Lancaster zu gehen. Trotzdem war es eine große Umstellung. „Als Lehrerkind zwischen lauter Kanzleipartnersöhnen war es eine andere Welt.“ Schnell merkte er: „Wenn Du hier was reißen willst, musst Du besser sein, als die anderen“.
Während des Studiums arbeitete er für Unternehmensberatungen wie KPMG und McKinsey oder die Citigroup. Doch überall wurde ihm schnell langweilig, so auch bei McKinsey, wo er direkt nach dem Studium eingestiegen war. Nach gut einem Jahr kündigte er und begann mit einigen Mitstreitern Lieferheld zu programmieren. Einer seiner damaligen Vorgesetzten gab ihnen das erste Geld: Tamasz Georgadze, der später das Portal Weltsparen gründete – inzwischen eines der erfolgreichsten Finanz-Start-ups.
Neue Projekte sollen folgen
Derzeit steckt er seine Energie in sein Start-up Fahrengold, das Garagen anbietet. Das sind keine gewöhnlichen, sondern durchgestylte Glaskästen mit Temperatursteuerung per App. Es ist eine Art Liebhaberprojekt, das er unbedingt machen wollte, auch unabhängig davon, ob es sich rechne. „Mittlerweile rennen uns aber die Kunden die Türen ein“, sagt Fahrenholz, und das bei Preisen ab 100 000 Euro. Trotzdem muss der Unternehmer nun sehen, wie die Produktion mit der Nachfrage Schritt hält. Und auch wie es künftig weitergehen soll. Parallel arbeitet Fahrenholz schon wieder an einer neuen Softwarefirma. Zehn Entwickler arbeiten bereits daran, worum es geht, will er noch nicht verraten.
Die Runde führt derweil zum U-Bahnhof Hellersdorf und dem 1997 eröffneten Shopping- und Stadtteilzentrum „Helle Mitte“. Fahrenholz verbindet damit wenig, auch wenn es nur eine Viertelstunde vom früheren Zuhause entfernt ist, lag es außerhalb seines Radius. An der Alice-Salomon-Hochschule, die Teil des Ensembles ist, prangt jetzt ein Gedicht der Schriftstellerin Barbara Köhler. Damit wurde „Avenidas“ von Eugen Gomringer übermalt, über das in den vergangenen zwei Jahren heftig gestritten worden war. Studierende fanden es sexistisch.
Fahrenholz hat von dem Streit nichts mitbekommen. „Schwieriges Thema“, sagt er knapp, als er jetzt davon erfährt. Dabei scheut er sonst auch keine politischen Aussagen. Ihm fehlt es an Risikobereitschaft in der Gesellschaft. „Deutschland muss in vielen Bereichen Gas geben, das reicht vom BER bis zur Grundlagenforschung“, sagt Fahrenholz. Auch im Bereich Bildung wünscht sich das Lehrerkind mehr Innovationen. Denn mit den Schulen ist es wie mit Hellersdorf: Bei vielen ist alles noch so wie vor 20 Jahren.