Staatsschutzchefin zum Fall Amri: „Der Ernst der Lage wurde nicht erkannt“
Im Amri-Untersuchungsausschuss in Berlin sagte die Staatsschutzchefin des Landeskriminalamtes aus und klagte über enorme Überlastung in der Behörde. Es bleiben offene Fragen.
Was für eine filmreife Koinzidenz: Ausgerechnet am 19. Dezember 2016, an dem abends um 20.02 Uhr der Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz geschah, saß die Staatsschutzchefin des Berliner Landeskriminalamtes, Jutta Porzucek, tagsüber mit Führungskräften und LKA-Chef Christian Steiof zusammen und klagte, ihre Abteilung sei überlastet.
Das sagte die Leiterin der LKA-Abteilung 5, verantwortlich für 500 Mitarbeiter, am Freitag als Zeugin im Amri-Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses. Porzucek hatte die Staatsschutzabteilung ein Jahr kommissarisch geleitet und dann 2015 übernommen.
Nun konnte sie sich zeitlich nicht konkret an Überlastungsanzeigen erinnern, sagte aber, im Laufe des Jahres 2016 habe es „immer wieder Notwendigkeiten“ gegeben, „darauf hinzuweisen, welche enormen Arbeitsbelastungen es im Staatsschutz gibt“.
Kein einheitlicher Umgang mit Überlastungsanzeigen
In ihre Amtszeit fallen mehrere Überlastungsanzeigen. Eine schickte der Leiter des LKA-Kommissariats 541 am 12. Oktober 2015 an seinen Vorgesetzten. Ein andere aus dem Bereich Islamismus-Bekämpfung gab es am 28. Januar 2015. Eine weitere aus einem Kommissariat des LKA 54 war laut Polizei auf den 28. Januar 2016 datiert.
Einen einheitlichen Umgang mit solchen Anzeigen gibt es bei der Polizei aber offenbar nicht. Es sei aber „originäre Aufgabe“ der Führungskräfte, Überlastungen zu erkennen und „darauf zu reagieren“, teilte ein Sprecher mit. Personal könnte im eigenen Verantwortungsbereich umverteilt werden. Das hätten die Dezernatsleiter auch getan, es habe zwar „Verbesserungen gegeben. Aber die waren im einstelligen Bereich“, sagte Porzucek vor dem Ausschuss. „Es wurde deutlich, dass der Ernst der Lage nicht erkannt wurde.“
"Permanente Arbeitsüberlastung"
Mit einem Personalgewinnungsverfahrens seien sieben zusätzliche Kräfte für das LKA 54 geholt worden, sagte ein Polizeisprecher. Porzucek erklärte im Ausschuss aber, dass sie 2016 auch sieben Mitarbeiter durch deren Weggang in andere Behörden verloren hätte.
„Ich wollte 30 bis 40 Mitarbeiter mehr, im mittleren, zweistelligen Bereich“, sagte Porzucek. Sie bezeichnete die Arbeitssituation beim Staatsschutz als „extrem angespannt“. Leerlaufphasen gebe es nicht, aber eine „permanente Arbeitsüberlastung“. Das Problem soll nun „mit höchster Priorität“ bei einer Führungsbesprechung der Behördenleitung am 30. Januar thematisiert werden.
Bei Überlastung soll nach Angaben eines Polizeisprechers eine „Priorisierung von Aufgaben“ erfolgen. Doch scheint es solch eine Festlegung über die Rangfolge von Aufgaben im Fall Amri beim LKA Berlin nicht im nötigen Maß gegeben zu haben.
Dabei spielte der spätere Attentäter Anis Amri, der 14 Alias-Identitäten hatte und durch seine ständigen Ortswechsel auffiel, bereits seit Mitte November 2015 zumindest bei den Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen und im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum (GTAZ) eine Rolle.
"Wir haben den für gefährlich gehalten"
Klaus-Stephan Becker, Leiter der Kölner Kriminalpolizei, war bis Ende 2016 Staatsschutzchef des Landeskriminalamtes in Düsseldorf. Im Gegensatz zu Porzucek konnte er sich sehr genau erinnern, dass Amri allein vier Mal im GTAZ Thema gewesen sei.
Diese Informationen haben Porzucek nicht erreicht. „Nur retrograd“, sagte sie. Kriminalist Becker erklärte hingegen, dass Nordrhein-Westfalens Behörden „größten Wert darauf gelegt haben, dass unsere Informationen stets unmittelbar weitergeleitet“ wurden. Auch an das Berliner LKA.
Wie gefährlich Amri war, wurde in Nordrhein-Westfalen und in Berlin aber sehr unterschiedlich eingeschätzt. Er sei zwar „einer von vielen Gefährdern“ gewesen. „Aber mir ist keine weitere Person bekannt, die ich ähnlich kritisch gesehen hätte“, sagte Becker. Das LKA Düsseldorf sei eine treibende Kraft bei der Überwachung gewesen. „Wir haben den für gefährlich gehalten“, erklärte Becker.
Amris "Gefährlichkeit nicht als hoch eingeschätzt"
Berlins Staatsschützerin Porzucek sagte dagegen: „Ich habe die Gefährlichkeit des Amri bezüglich eines islamistischen Terroranschlags nicht als hoch eingeschätzt.“ Er habe „für uns keine herausragende Rolle“ gespielt. Die Observation habe „uns keinen Mehrwert gebracht“, sie abzubrechen, sei fachlich entschieden worden.
Als Abteilungsleiterin sei sie nicht „konkret eingebunden, was die Sachbearbeitung betrifft“. Sie trage die „Gesamtverantwortung für komplexhafte Sachverhalte“. Auf Nachfragen konnte Porzucek keine weiteren Angaben machen. Sie habe sich mangels Zeit auf die Ausschusssitzung nicht detailliert vorbereiten können.
Berlins Sonderermittler Bruno Jost hatte kürzlich vor dem Ausschuss erklärt, man hätte Amri möglicherweise „auf frischer Tat beim Drogenhandel ertappen und festnehmen können“. Grund waren Ergebnisse einer Telefonüberwachung. Doch die bis 21. Oktober 2016 von der Generalstaatsanwaltschaft angeordnete Observierung wurde nach sechs Wochen am 15. Juni wieder eingestellt, ohne die Staatsanwaltschaft zu informieren. Warum und wer dies angeordnet hat, sei nach Aktenlage unklar.
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