Verfassungsschutz ist alarmiert: Demonstrierten Islamisten direkt vor dem Brandenburger Tor?
Die Gruppe „Muslim Interaktiv“ protestierte Ende Oktober am Pariser Platz gegen Frankreich. Es gibt deutliche Bezüge zu radikalen Gruppen.
Die Fotos und Videos zeigen junge, gut durchtrainierte Männer. In Reih und Glied treten sie an, martialisch und militant sieht das aus. Das Auftreten, die Machart ihrer Hochglanzbilder – es erinnert an die rechtsextremistische Identitäre Bewegung. Doch sie sind keine Neurechten, sondern junge Muslime, wie sie selbst sagen.
Sie zeigen sich auf Instagram in kurzen Video-Clips: dröhnender Beat, schwarze Pullover, schwarze Masken, darauf das rot-weiße Logo ihrer Organisation – ein Blutstropfen mit dem Symbol Mekkas: die Kaaba, Wallfahrtsstätte und Geburtsort des Propheten Mohammed.
„Muslim Interaktiv“ nennt sich die Gruppe. Sie wollen laut eigener Aussage für ein „selbstbewusstes islamisches Leben einstehen“.
30. Oktober 2020, auf dem Pariser Platz, direkt am Brandenburger Tor. Am frühen Nachmittag stehen 68 junge Männer, so viele zählt die Polizei, in Schwarz gekleidet und vermummt im Schatten des Tores.
Ein Video, das sie später veröffentlichen, zeigt wie sie weiße Schilder gegen eine „Wertediktatur“ und „Zwangsassimilation“ hochhalten. Zu Beginn des kurzen Films wird ein Bild von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit einem Fußabdruck im Gesicht gezeigt, erst schwarz, dann rot - wie ein Blutfleck.
Es ist der Tag nach dem Messer-Anschlag im französischen Nizza. Ein Islamist hat an einer Kirche auf mehrere Menschen eingestochen, einer Frau die Kehle durchgeschnitten.
Demonstration direkt vor der französischen Botschaft
Zuvor hatte ein Islamist den Lehrer Samuel Paty in einem Pariser Vorort geköpft – weil der im Unterricht über Meinungsfreiheit und die Mohammed-Karikaturen des Magazins „Charlie Hebdo“ diskutieren wollte. Frankreichs Staatschef Marcon hatte die Meinungsfreiheit und das Veröffentlichen der Karikaturen verteidigt.
Der Ort des Auflaufs der Aktivisten von „Muslim Interaktiv“ hatte einen Grund. Sie standen direkt vor der französischen Botschaft, Adresse: Pariser Platz 5. Am Abend zuvor hatten Bundespolitiker dort an die Opfer des Terroranschlags von Nizza gedacht. Doch um die brutale Tat ging es bei Demonstration der Gruppe nicht.
Ein Video des Protests kursiert unter dem Titel „#LaGrandeTyrannie Frankreich“ im Netz, auf dem Pflaster vor dem Brandenburger Tor liegt ein Plakat mit dem Gesicht von Emmanuel Macron drauf. Laut Polizei kam es bei der Demonstration zu keinen Zwischenfällen, nach einer Stunde beendeten die Aktivisten den martialischen Aufzug
Doch die Berliner Innenverwaltung ist von dem Protest alarmiert und prüft jetzt die Beteiligung von bekannten Islamisten. Auf Tagesspiegel-Anfrage erklärt ein Sprecher weiter: „Verbindungen zu anderen islamistischen Gruppierungen lassen sich gegenwärtig nicht ausschließen.“
Die Berliner Sicherheitsbehörden sahen „Muslim Interaktiv“ bislang vor allem in Hamburg verortet. Seit Anfang 2020 soll die Gruppe auch in den sozialen Medien aktiv sein. Es habe mehrere Veranstaltungen in ganz Deutschland gegeben, an denen sich die Gruppe beteiligte.
Zum Todestag der ägyptischen Handballerin Marwa el-Sherbini reisten sie zum Beispiel nach Dresden. El-Sherbini war 2009 aus islamfeindlichem Motiv während einer Gerichtsverhandlung erstochen worden. Der Protest vor dem Brandenburger Tor war ihre erste größere Aktion in Berlin.
In den sozialen Medien präsentiert sich das Netzwerk einheitlich, mit dem Blutstropfen und dem Symbol Mekkas. Zehn Tage nach der Enthauptung von Samuel Paty postete die Gruppe ihr Logo auf Instagram, darunter stand: „Unser Prophet! Unser Stolz!“ Daneben stand ein Text: „Niemals lassen wir jegliche Formen von Beleidigungen gegenüber unserem Propheten so stehen!“
Hamburger Verfassungsschutz hat die Gruppe im Blick
Weiter schreibt die Gruppe: „Lasst uns unsere Ehre und unseren Stolz verteidigen und unseren Unmut zeigen!“ Mittlerweile folgen der noch jungen Gruppierung mehr als 3700 Menschen. Eine erste öffentlichkeitswirksame Aktion fand erst Anfang März 2020 in Hamburg statt.
Recherchen des Tagesspiegel zeigen jetzt deutliche Verbindungen zwischen „Muslim Interaktiv" und Gruppen wie „Realität Islam“ und „Generation Islam“. Auch der Hamburger Verfassungsschutz hat das Männer-Netzwerk deshalb im Blick.
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Der Nachrichtendienst in der Hansestadt verfügt bereits über weitergehende Informationen als die Berliner Ermittler. Es bestünden ideologische Schnittmengen mit der Bewegung Hizb ut-Tahrir (HuT) und „den von ihr beeinflussten Netzwerken ,Realität Islam‘ und ,Generation Islam‘“, schreibt ein Sprecher auf Tagesspiegel-Anfrage.
Die islamistische Gruppierung Hizb ut-Tahrir unterliegt seit 2003 einem Betätigungsverbot in Deutschland. Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hatte das Verbot damit begründet, dass sich die HuT gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet und die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele befürwortet. Es gibt auch Verbindungen zur Muslimbruderschaft.
Volker Beck: „Das sind Islamfaschisten“
In Deutschland rechnet der Verfassungsschutz der weltweiten Bewegung derzeit rund 430 Mitglieder und Anhänger zu. Sie propagierte einen Panislam, das Ziel: Befreiung aller Muslime und ihre Vereinigung in einem weltweiten Kalifat.
Offenbar macht HuT weiter, das Bundesamt für Verfassungsschutz attestiert „Realität Islam“ und „Generation Islam“ eine Nähe zur HuT und klare Überschneidungen – ideologisch und personell. Sie fungieren als Ersatzorganisationen.
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Beide Gruppen haben bei Facebook inzwischen Zehntausende Fans. Es geht um Kopftuchdebatten an Schulen, Fasten, Schwimmunterricht, islamkonforme Schulverpflegung oder die Teilnahme an demokratischen Wahlen. Auf den ersten Blick harmlose Themen.
Es ist ein Propagandakampf der Hochglanzbilder
Dahinter steht nach Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz das Anklagen einer angeblich „staatlich gesteuerten Islamfeindlichkeit“. Über eine „Wertediktatur“ verübe der Staat eine Art „Assimilationsterror“, so die einheitliche Erzählung der Gruppen.
Es sind die selben Worte, die auch die Männer von "Muslim Interaktiv" nutzen. Es sind die selben Worte, die bei ihrer Demonstration am Brandenburger Tor auf den Schildern stehen.
Auf Instagram thematisiert die Gruppe den islamistischen Anschlag auf das World-Trade-Center am 11. September 2001 mit der Frage: „Wer sind die wahren Terroristen?" Kindesmissbrauch und Pädophilie werden zum größten Problem Deutschlands stilisiert.
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Der Bundesverfassungsschutz hat die Auftritte der verschiedenen Gruppen in den sozialen Medien genau analysiert. Die Facebook-Präsenz von „Muslim Interaktiv“ lasse Ähnlichkeiten zu den „Hizb ut-Tahrir“-nahen Gruppierungen „Realität Islam“ und „Generation Islam“ erkennen, erklärte ein Sprecher auf Anfrage.“ Auch befänden sich unter den etwa 1.700 Facebook-Followern zahlreiche Personen, deren digitale Präsenz eine Nähe zur Ideologie der „Hizb ut-Tahrir“ aufweise.
Eine eindeutig islamistische Rhetorik und Bildsprache meiden die Gruppen. Die Taktik hinter den modern wirkenden Aktionen in den sozialen Medien: Vermarktung. Es ist ein Propagandakampf der Hochglanzbilder.
„Mit derartigen Veranstaltungen versuchen die genannten Bewegungen mithilfe von Themen, die weit über islamistische Kreise hinaus anschlussfähig sind, Personen jenseits der eigentlichen Anhängerschaft für die eigenen Veranstaltungen und damit auch die eigene Ideologie zu mobilisieren“, sagte ein Sprecher des Bundesverfassungsschutzes dem Tagesspiegel.
Freund-Feind-Schema führt zu Radikalisierung
Tatsächlich kommentieren nach Tagesspiegel-Recherchen vor allem sehr junge Männer und viele Frauen die Fotos und Videos der Männer von "Muslim Interaktiv". Viele von ihnen scheinen laut ihrer Profile noch minderjährig, kommentieren auf deutsch oder arabisch.
Was alle Gruppen eint: Die Verfassungsschutzbehörden sehen eine klare Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Demnach könne die islamische Identität nur durch eine Abgrenzung von der westlichen Gesellschaft geschützt werden. Für den „wahren Muslim“ gebe es im Zweifelsfall und im Konflikt mit dem Grundgesetz nur eine Lösung – sich stets nach den Vorgaben der Scharia zu richten.
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Jede Kritik am Islam werde als „Hetze“ und „Dämonisierung“ der Muslime kritisiert, heißt es in einer Analyse des Bundesverfassungsschutzes. Statt Dialog und Kompromissen werde ein Freund-Feind-Schema propagiert, Muslime nur als Opfer von Hetze dargestellt.
Die Diagnose des Verfassungsschutzes: Die Propaganda von HuT-Ersatzideologen wie "Muslim Interaktiv" begünstige abgeschottete Parallelgesellschaften und befördere die Radikalisierung junger Muslime.
Polizei prüft jetzt Verstöße gegen das Uniformierungsverbot
Der Grünen-Politiker und frühere Bundestagsabgeordnete Volker Beck findet deutliche Worte für die Gruppe: „Das sind Islamfaschisten“, sagt Beck, der heute als Lehrbeauftragter am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien CERES an der Ruhr-Universität Bochum tätig ist.
Nach dem Aufmarsch von „Muslim Interaktiv“ twitterte Beck: „Wie kann es sein, dass eine solche Kundgebung mit Uniformen auf dem Pariser Platz von einer verbotenen Organisation wie #Hizbutahir (mit seiner neuen Marke #Musliminteraktiv) stattfinden kann?“
Die Berliner Polizei prüft derzeit noch, ob die Teilnehmer der Demonstration von "Muslim Interaktiv" am Brandenburger Tor gegen das Uniformierungsverbot verstoßen haben. Ein Ergebnis soll in wenigen Tagen vorliegen.