Jahrestag der islamophoben Tat in Dresden: Marwa el-Sherbini wurde ermordet, weil sie ein Kopftuch trug
Vor zehn Jahren wurde Marwa el-Sherbini vor den Augen von Mann und Kind ermordet. Weil sie Muslima war. Deutschland tut sich mit dem Gedenken schwer.
In Sachsen und in der deutschen muslimischen Community wird an diesem Montag Marwa el-Sherbinis gedacht. Die aus Ägypten stammende Apothekerin wurde vor zehn Jahren im Dresdner Landgericht Opfer eines rassistisch motivierten Mordes.
El-Sherbini, früher Mitglied in der ägyptischen Handballnationalmannschaft, hatte am 1. Juli 2009 als Zeugin gegen den Mann ausgesagt, der sie auf einem Spielplatz rassistisch beleidigt hatte, als sie ihn bat, die Schaukel für ihren dreijährigen Sohn freizugeben. Der Mann, der damals 29-jährige Alex W., beschimpfte sie, die ein Kopftuch trug, als Islamistin und Terroristin.
Während der Verhandlung vor dem Landgericht wegen dieses Auftritts zog er ein Messer aus seinem Rucksack und stach damit 16-mal auf die 31-jährige Frau ein, vor den Augen ihres Mannes und des gemeinsamen Kindes.
El-Sherbini war im dritten Monat schwanger, sie starb noch im Gerichtssaal. Ihrem Ehemann Elwy Okaz, der ihr als einziger im Saal zur Hilfe kam, wurde vom Täter Alex W. ebenfalls 16 Messerstiche beigebracht.
Ägypten feierte sie als "Kopftuchmärtyrerin"
W. blieb selbst völlig unverletzt. Okaz fiel ins Koma, überlebte aber seine schweren Verletzungen. Der Witwer, der in Dresden am Max-Planck-Institut an seiner Doktorarbeit in Molekularbiologie saß, verließ die Stadt nach dem Mord mit seinem kleinen Sohn zunächst Richtung England und später nach Kanada.
Versuche der Familie el-Sherbini, die Umstände des Mordes und die Verantwortung der sächsischen Justiz zu klären, wurden abgewiesen. Es ging dabei unter anderem um fehlende Sicherheitsmaßnahmen – Taschenkontrollen wurden im Landgericht erst nach dem Mord eingeführt, obwohl W. el-Sherbini auch in einem Brief bedroht hatte – und die Lage nach W.s Angriff. Die Mitglieder des Gerichts halfen el-Sherbini nicht, ein herbeigerufener Polizist zielte auf den helfenden Ehemann, nicht auf den Attentäter.
Während Ägypten, damals noch unter Hosni Mubarak, Marwa el-Sherbini zur „Kopftuchmärtyrerin“ verklärte, wurde die Tat in Deutschland vergleichsweise wenig beachtet. Obwohl ihr Fall der erste war, der klar islamophob motiviert war – die NSU-Mordserie wurde erst zwei Jahre später durch die Selbstenttarnung dreier Täter des rechtsextremen Netztes bekannt –, gab es wenig Berichterstattung und kaum Stellungnahmen des offiziellen Deutschlands.
Eine Woche des Gedenkens in Dresden
Die Stadt Dresden, die sich lange schwertat mit einer offiziellen Reaktion auf den Mord, wird am Montag mit einer Gedenkveranstaltung und einem ökumenischen Friedensgebet an Marwa el-Sherbini erinnern. Die Gesellschaft sei gefordert, ein öffentliches Zeichen „gegen jegliche Form von Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung zu setzen“, erklärte Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) am Sonntag in Dresden.
Nach Angaben des Ausländerrates Dresden sind an den Folgetagen weitere Veranstaltungen geplant, darunter ein Podiumsgespräch und ein Mahngang. Köpping will am Dienstag im Rahmen der Gedenkwoche eine Fotoausstellung unter dem Titel „Wir sind Dresdnerinnen!“ über Frauen eröffnen, die den Frauentreff des Ausländerrates besuchen. Am Mittwoch soll in der Dresdner Zentralbibliothek ein Podiumsgespräch unter dem Titel „Tödliche Realitäten“ an Marwa el-Sherbini erinnern.
Fereshta Ludin: Als Muslima bis heute in Schockstarre
Am Todestag, dem heutigen Montag, wird wie in allen Jahren zvuor, am Tatort, dem Dresdner Landgericht, der Toten gedacht. Mit dabei sein wird auch der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, und Stephan Kramer, der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes – allerdings nicht als Chef dieser Behörde. Kramer gehörte vor zehn Jahren zusammen mit Mazyek zu den ersten, die nach der Tat nach Dresden kamen und öffentlich mahnten. Kramer war damals noch Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Die Lehrerin Fereshta Ludin, die bis zum Bundesverfassungsgericht klagte, um auch mit Kopftuch in Baden-Württemberg unterrichten zu dürfen, sagte dem Tagesspiegel jetzt: „Der Mord an Marwa versetzt mich als Muslime bis heute in eine Schockstarre.“
Es müsse „auf allen Ebenen, unter Muslimen, gesamtgesellschaftliche, in den Communities und Gemeinden, medial und politisch deutliche Signale gegen Rechts gesetzt und eine klare Haltung gegen antimuslimische Ressentiments gezeigt und vorgelebt werden“, sagte Ludin.
"Ich vermisste den Aufschrei"
Die bis heute prominenteste Kopftuchträgerin Deutschlands, die seit vielen Jahren an einer Berliner Schule unterrichtet, wurde selbst über Jahre hinweg massiv angefeindet. Auf den Mord an Marwa el-Sherbini ging sie auch in ihrer Autobiografie „Die mit dem Kopftuch“ ein.
Sie habe damit überhaupt auf die Tat von Dresden aufmerksam machen wollen, sagte sie dem Tagesspiegel kurz vor dem 10. Jahrestag, „da bundesweit dafür noch kein Bewusstsein vorhanden war, weder in der Community, noch gab es die Bereitschaft, politisch zu handeln“.
Im Buch schrieb Ludin: „Marwas Geschichte ließ mich nicht wieder los: Auch ich hatte mehrfach schutzlos in einem Gerichtssaal gesessen. Hier soll symbolisch und praktisch Recht gesprochen werden. Und dann passiert das größte Unrecht, das man einem Menschen antun kann: ihm sein Leben zu nehmen. (...) Aber ich vermisste das Mitgefühl der Öffentlichkeit und den Aufschrei bei Politikern und Medien. (...) kaum einer schien die politische Dimension dieses Vorfalls zu begreifen: Marwa El-Sherbini war gebildet, beherrschte die deutsche Sprache und hat den Rechtsweg gewählt. Man konnte ihr nichts vorwerfen. Und trotzdem wurde sie schutzlos in einem deutschen Gerichtsgebäude hingerichtet.“
Andrea Dernbach