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Ein Gedenkfeier für den ermordeten Lehrer Samuel Paty.
© imago images/Hans Lucas

Nach islamistischem Lehrermord in Frankreich: Was Berliner Schulen aus dem Mord an Samuel Paty lernen müssen

Berliner Lehrer erleben, dass Inhalte aus Angst vor Kritik vermieden werden. Ein Gastbeitrag vom Vorsitzenden des Landesverbands der Geschichtslehrer.

Peter Stolz ist Vorsitzender des Berliner Landesverbands der Deutschen Geschichtslehrer.

Wir, die Geschichtslehrerinnen und -lehrer in Berlin, sind bestürzt über eine grausame und sinnlose Tat. Wir trauern mit unseren Kolleginnen und Kollegen in Frankreich um Samuel Paty. Wir trauern mit seiner Familie und seinem Freundeskreis.

Denn uns verbinden die Überzeugung und der berufliche Auftrag, in unserem Geschichtsunterricht faktenbasierte, multiperspektivische und auch kontroverse Zugänge zur Geschichte zu eröffnen und in den Kindern und Jugendlichen Menschenwürde und -rechte als Lebensorientierung einsichtig zu machen und zu verankern.

Der Mord aus islamistischen Motiven am Kollegen Samuel Paty zeigt, wie gefährlich es sein kann, mit dieser Überzeugung und im staatlichen Auftrag seinen Beruf auszuüben. Nicht nur in einigen Vororten von Paris.

Dieser Mord erschüttert uns als Menschen wegen seiner symbolträchtig inszenierten archaischen Grausamkeit. Er erschüttert uns als Lehrpersonen, weil er eine existenzielle Grundlage unserer durchaus konfliktträchtigen Berufsausübung infrage stellt: Das Vertrauen, in der Berufsausübung seines Lebens sicher sein zu können und geschützt zu werden.

Auch in unserem alltäglichen Wirken wird unser dienstlicher Auftrag immer wieder infrage gestellt. Lehrkräfte und Schulleitungen sehen sich dem Druck ausgesetzt, Themen und Diskussionen zu vermeiden, bei denen mit Kritik aus islamischen Communitys zu rechnen ist.

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Wir machen also die Erfahrung, dass aus unserer Sicht notwendige Lehrinhalte aus Angst vor idiosynkratisch motivierten Reaktionen nicht behandelt werden.

Wir erleben, dass Schulleitungen zur Einschätzung kommen, zur Wahrung des Schulfriedens bestimmte Exkursionen zu verbieten, mit Verweis auf religiöse Identitätsbildungsprozesse und zulasten der uns im gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfeld auferlegten Pflicht zu Pluralismus und Kontroversität.

Was wir aus dem Mord lernen sollten

Lernen wir aus diesem schauderhaften, sprachlos machenden Mord. Verwandeln wir Entsetzen und Trauer in die Kraft, unseren Bildungsauftrag wieder voll zu erfüllen.

Dazu braucht es konkret: Empowerment von Schul- und Fachbereichsleitungen, den rechtsstaatsfeindlichen Druck im Sinne von Grundgesetz und Schulgesetz abzuwehren – gefordert ist die Senatsverwaltung für Bildung.

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Empowerment von Lehrkräften, vermeintlich plausible Appelle an eine interkulturelle Bewusstheit zu durchschauen und angemessen darauf zu reagieren – gefordert sind Lehrerbildung und Lehrerfortbildung.

Und Empowerment von Geschichtslehrkräften, auch Geschichtserzählungen nicht-deutscher und nicht-eurozentrischer Herkunft hinlänglich zu kennen und im Sinne unseres Bildungsauftrages zu analysieren und zu integrieren: in Geschichtsbilder gemäß unserer Rechtsordnung. Gefordert sind fachspezifische Lehrerbildung und -fortbildung sowie die Fachabteilungen in Lisum und Senatsverwaltung für Bildung.

Peter Stolz

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