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Dieses Bild von Svetoslav S. in Marseille verbreitete der bulgarische TV-Sender "Nova".
© Tsp

U-Bahn-Treter von Berlin-Neukölln: Dem Täter einen Schritt voraus

Der Zugriff erfolgte am Zentralen Omnibusbahnhof: Die Verhaftung des mutmaßlichen U-Bahn-Treters ist vor allem den Zielfahndern der Polizei zu verdanken.

Seine Flucht endete in Westend. In einem Bus aus Marseille, der am Sonnabendnachmittag am Zentralen Omnibusbahnhof Berlin ankam. Bis auf Weiteres dürfte der Bulgare Svetoslav S., nach dem als U-Bahn-Treter international gesucht wurde, jetzt im Gefängnis bleiben: Der in der vergangenen Woche erlassene Haftbefehl lautet auf gefährliche Körperverletzung. Wegen Fluchtgefahr schickte das Bereitschaftsgericht S. am Sonntag in Untersuchungshaft. Der 27-Jährige wurde in die Untersuchungshaftanstalt Moabit gebracht. Was er in der Vernehmung sagte, ob er ein Geständnis ablegte, dazu schwieg die Justiz.

Um 16.30 Uhr am Sonnabend war die Flucht des Bulgaren zu Ende gegangen. Zivilpolizisten des Landeskriminalamtes warteten am Zentralen Omnibusbahnhof auf ihn. S. ließ sich widerstandslos „noch im Bus sitzend“ festnehmen, wie das Präsidium mitteilte. Svetoslav S. kam aus Marseille, knapp 30 Stunden war er unterwegs. Am 27. Oktober soll er eine junge Frau im U-Bahnhof Hermannstraße hinterrücks mit einem wuchtigen Tritt in den Rücken die Treppe heruntergetreten haben. Das Video einer BVG-Überwachungskamera hatte international Entsetzen ausgelöst.

S. fiel der Polizei in Bulgarien wegen Diebstahls, Raub und "Hooliganismus" auf

Marseille kennt Svetoslav S. offenbar gut, der bulgarische Fernsehsender „Nova“ zeigte Fotos, die den aus der bulgarischen Hafenstadt Warna stammenden Mann vor der imposanten Kulisse der französischen Mittelmeerstadt mit der alles überragenden Kirche Notre Dame de la Garde zeigen. „Gute Nachricht zuallererst für das Opfer. Ermittlungsmethoden waren richtig und ausreichend“, twitterte der Sprecher von Innensenator Andreas Geisel (SPD), Martin Pallgen, nach der Festnahme. „Ausreichend“ war die Fahndung auf jeden Fall – denn die Zielfahndung des Landeskriminalamtes war auf S. angesetzt worden, eine Eliteeinheit.

Zielfahnder jagen Mörder, Vergewaltiger und andere besonders gefährliche Täter. Dass die Fahnder sich auch um S. kümmerten, soll dem Vernehmen auch mit dem immensen öffentlichen Interesse zu tun gehabt haben. Tatsächlich ist S. der Polizei in Bulgarien wegen Diebstahls, Raub und „Hooliganismus“ aufgefallen.

Verhaftung von S. ist den Zielfahndern des LKA zu verdanken

Die Zielfahnder des Landeskriminalamts kennen die Bilder aus Marseille natürlich. Die Festnahme des Gewalttäters in einem von dort kommenden Fernbus sei kein Zufall und auch nicht einem Tipp eines anderen Fahrgasts zu verdanken, hieß es. Deshalb dürfte auch niemand von den Belohnungen profitieren. Wie berichtet, hatten mehrere Prominente aber auch die AfD Geldsummen für Hinweise zum Täter ausgesetzt.

Das Abhören von Telefonen und anderer Kommunikation gehört zu den Standardmaßnahmen der gut 30 Männer und Frauen vom Dezernat 73. Der Fernsehsender „Nova“ berichtete, dass die im Roma- Viertel von Warna lebende Frau Tsvetanka mit ihrem Mann telefoniert haben soll. In Bulgarien soll S. nach der Tat nicht gewesen sein, hatte der Chef der bulgarischen Polizei, Hristo Tersijski, am Donnerstag dem Staatsradio in Sofia gesagt. Die bulgarische Polizei habe mit den deutschen Behörden Kontakt gehabt. Da sein Land noch keinen europäischen Haftbefehl erhalten habe, werde nicht gefahndet.

Durchleuchten des Lebenslaufes und des Bekanntenkreises

Dementiert werden Gerüchte wie „ist in Bulgarien“ oder „Hinweis eines Mitreisenden“ vom Präsidium geflissentlich nicht. Die Zielfahnder – und auch andere Spezialeinheiten – leben davon, dass Straftäter nicht wissen, wie gut die Abteilung tatsächlich ist. Zum Alltag gehört das Durchleuchten des Lebenslaufs und des Familien- und Bekanntenkreises eines Flüchtigen. Es wird ein so genanntes „Personagramm“ erstellt, mit allen Informationen, die wichtig sein könnten. Eines wissen die Fahnder: So gut wie nie flüchtet ein Täter in ein Land, das er überhaupt nicht kennt.

So einfach wie Svetoslav S. machen es allerdings nicht alle Täter den Fahndern – die Abteilung ist auch für Wirtschaftskriminelle zuständig. Betrüger gelten nicht nur als intelligenter als die meisten Gewalttäter, sie haben ihre Flucht auch meist gut geplant – im Wissen, dass sie jederzeit auffliegen können. Und noch etwas: Wer nicht in sozialen Netzwerken aktiv ist und kein Mobiltelefon nutzt, ist schwerer zu fassen.

Wie viele Informationen von Verwandten kamen, ist unklar

Im Fall des Treters von Neukölln bleibt unklar, wie viele Informationen die Verwandten von S. geliefert haben. Wie berichtet, war der 27-Jährige am Tatabend mit drei Männern unterwegs, zwei davon sind seine Brüder. Einer von ihnen war in der vergangenen Woche wiedererkannt und vorübergehend festgenommen worden. Zuvor hatte die Polizei das Video veröffentlicht, das zuvor bereits von Boulevardzeitungen gezeigt worden war. Intern ermittelt die Polizei, welcher Beamte das Video weitergeleitet hat, das sonst nicht in dieser Länge und auch ohne die entscheidende Sequenz veröffentlicht worden wäre.

Bislang gibt es keine Hinweise, dass sich Täter und das aus der Ukraine stammende Opfer kannten oder ob der brutale Tritt eine Vorgeschichte hatte. Ob der Tatvorwurf Körperverletzung ausgedehnt wird auf ein versuchtes Tötungsdelikt, hängt von den Ermittlungen ab.

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