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Reiner Haag
© Mike Wolff

Johanna-Eck-Schule in Berlin-Tempelhof: Dauerkrise erreicht nächste Eskalationsstufe

Die Leiterin der Johanna-Eck-Schule setzt ihren profiliertesten Fachmann vor die Tür – mit einer sehr speziellen Begründung.

Dramatischer Lehrerschwund, ein heillos zerstrittenes Kollegium und eine Schulleiterin mit einem fragwürdigen Konfliktmanagement – die gebündelte Pädagogen-, Bürokraten- und Juristensachverstand der Senatsverwaltung für Bildung reicht offenbar nicht aus, um den seit über zwei Jahren schwelenden Konflikt an der Tempelhofer Johanna-Eck-Schule zu lösen. Kurz vor Ferienbeginn gibt es eine neue Eskalationsstufe: Die Schulleiterin setzte ihren profiliertesten Fachmann vor die Tür – mit Hinweis auf seine Kontakte zum Tagesspiegel. Damit steigt die Zahl der Pädagogen, die gehen oder gegangen wurden, auf rund zwei Dutzend an.

Bei dem neuesten Fall handelt es sich um den Lehrer Reiner Haag, der das Streitschlichterkonzept der Schule maßgeblich konzipiert hat: Seit Jahrzehnten bildet er in mehrtägigen Workshops die so genannten Schülerexperten aus, die für ein gewaltfreies Miteinander eintreten. Auch das gemeinsame Schulversprechen und die „Guardian Angels“ gehören zu den erfolgreichen Konzepten, für die die Schule bekannt und geschätzt ist. Nach seiner Pensionierung war Haag zuletzt dabei, Nachfolger einzuarbeiten, was angesichts der starken Fluktuation an der Schule nicht einfach war. Verabredet wurde, dass er per Honorarvertrag noch bis Jahresende in der Schule arbeiten sollte. Daraus wird nun nichts mehr.

"Ich wollte weitermachen"

Fassungslos haben nicht nur Haag und die Kollegen reagiert, die er einarbeiten wollte, sondern auch die Schüler. „Die Schule ist am Abstürzen“, sagte ein Zehntklässler dem Tagesspiegel in der vergangenen Woche bei Haags Abschied in dessen Garten. Haag motiviere die Schüler und sei „ein Beispiel für andere Lehrer“. „Seit 2017 läuft alles schief“, meinte ein anderer Schüler. Sein Klassenkamerad spricht von „Enttäuschung“ und davon, dass er „früher viel Ärger gemacht“ habe – bis er Haags Streitschlichtertraining absolvierte. Ein 14-jähriges Mädchen findet wichtig, dass Haag immer „aufmunternde Worte hatte“.

Die Tempelhofer Johanna-Eck-Schule nutzt die Sommerferien für Renovierungsarbeiten.
Die Tempelhofer Johanna-Eck-Schule nutzt die Sommerferien für Renovierungsarbeiten.
© Kitty Kleist-Heinrich

Die sich da bei Haag versammelt haben, sind alle seit Jahren zu Guardian Angels ausgebildet worden und alle – Jungs und Mädchen – tragen stolz ihre Engel um den Hals: Wer alle Stufen durchlaufen hat, bekommt den roten Engel, „und wer mobbt, verliert seinen Engel“, ergänzt eine Neuntklässlerin, die „nicht weiß, was jetzt im neuen Jahr werden soll“. Elternvertreter hatten schon im März beklagt, dass das „zweite Zuhause“ ihrer Kinder, die früher so beliebte Johanna- Eck-Schule, nunmehr „bis auf die Grundmauern zerstört“ sei.

„Ich wollte weitermachen – den Schülern zuliebe“, sagt Haag. Manche Kollegen, die das „Freund-Feind-Denken“ von Schulleiterin Mengü Özhan-Erhardt untragbar fanden und sich versetzen ließen, haben Haag dafür kritisiert, dass er weiterhin unter ihr arbeiten wollte. Er aber blieb dabei und begründete das dem Tagesspiegel gegenüber mehrmals in den vergangenen Monaten damit, dass er „keine verbrannte Erde hinterlassen wollte“. Nun muss auch er gehen.

Die Vorsitzende des Schulausschusses von Tempelhof-Schöneberg, Martina Zander-Rade (Grüne), nannte es am Wochenende „unverständlich“, dass Özhan-Erhardt Haags Vertrag nicht verlängern will. Haag habe sich „mit vielen von ihm initiierten Schulprojekten über Berlin hinaus einen Namen gemacht“. Ein „engagierter Pädagoge“ wie Haag könne auch über die Pensionsgrenze hinaus eine Stütze des Schulbetriebes sein, insbesondere, wenn es sich „um ein derart großartiges und renommiertes Empowerment-Projekt handelt wie bei den Guardian Angels“.

Die Stimmung kippte schnell

Wie berichtet, war Özhan-Erhardt zwar 2016 vom Kollegium gewählt worden, aber die positive Stimmung kippte schnell. Die neue Schulleiterin beanstandete etwa, dass an der Schule gegen Vorschriften zur Verwaltung von Geldern verstoßen worden war und meldete das der Behörde. Die Lage verbesserte sich nach der Zwangsversetzung der federführenden Kraft nicht, weil etliche Kollegen Özhan-Erhardts Umgang mit dem Konflikt falsch fanden. In dieser Situation erschien nicht der von vielen Kollegen gewünschte Mediator, sondern Saraya Gomis, die Antidiskriminierungsbeauftragte der Bildungsverwaltung: Der Vorwurf, den Gomis erhob, lautete, dass die türkischstämmige Schulleiterin im Kollegium rassistisch diskriminiert worden sei.

Das aber fanden viele Kollegen derart absurd, dass die Stimmung nach Gomis’ Auftritt noch viel schlechter war als vorher, zumal sie auch an den Führungsqualitäten der Leiterin zu zweifeln begannen. Danach ging es weiter bergab: Weitere Zwangsversetzungen folgten, Lehrer erkrankten, andere ließen sich versetzen – allein 17 zum kommenden Schuljahr, wie Beate Stoffers bereits im März bestätigt hatte: Stoffers war Sprecherin von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD), bevor sie im April von ihr zur Staatssekretärin befördert wurde.

Die Leiterin ist gut vernetzt

Aus dem Kollegium wird berichtet, dass Stoffers Vorgänger Mark Rackles (SPD) sich auf den gemeinsamen Krisensitzungen stets sehr eindeutig auf die Seite von Özhan-Erhardt geschlagen habe, die mit einem hohen Beamten der Bildungsverwaltung verheiratet ist und früher das "Berliner Netzwerk für Lehrkräfte mit Migrationshintergrund" leitete. Manche hofften, dass Stoffers vielleicht bereit sei, einen anderen Blick auf den Konflikt zuzulassen als Rackles.

Diese Hoffnung ist inzwischen verflogen – und das hat auch mit Reiner Haag zu tun. Denn sein Fall hätte für Stoffers Anlass sein können, der Schulleiterin „Einhalt zu gebieten“, wie es eine der Kolleginnen Haags formuliert. Daran ist aber offenbar nicht zu denken: Auf Tagesspiegel-Anfrage bestritt Verwaltungssprecher Thorsten Metter weder, dass Haag vor die Tür gesetzt wurde, noch die Äußerung Özhan-Erhardts, dass dies mit Haags guten Kontakten zum Tagesspiegel zu tun habe.

Er teilte lediglich mit, dass es sich um „Personaleinzelangelegenheiten“ handele, „und dazu dürfen und wollen wir uns nicht äußern“. Dabei bleibe es, auch wenn Herr Haag sich äußere. Aus Sicht der Verwaltung stehe nun „ein konstruktives Miteinander“ im Vordergrund: „Alle Beteiligten müssen sich immer vor Augen halten, dass es hier um die Schule, die Schülerinnen und Schüler und die positive Entwicklung der Schule geht“, fügte Metter zu. Warum aber die Verwaltung ein „konstruktives Miteinander“ und die „positive Entwicklung der Schüler“ beschwört, während sie gleichzeitig zulässt, dass die Schule personell ausblutet, leuchtet vielen Eltern, Schülern und Lehrer längst nicht mehr ein.

Hoffen auf die Stunde Null

Damit aber nicht genug: Die Schulverwaltung hält – zumindest nach außen hin – nicht nur an Özhan-Erhardt fest, sondern traut ihr offenbar zu, eine noch viel größere Schule zu leiten: Die „JES“ soll nämlich mittelfristig Gemeinschaftsschule von Klasse 1 bis 13 werden, während sie bisher nur von Klasse 7 bis 10 geht. So jedenfalls hatte es die Schulkonferenz in besseren Zeiten mal gefordert und dafür wird gerade eine große Mensa gebaut.

Pikant dabei: Das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg hat die Investitionsplanung für die Gemeinschaftsschule eingebracht, obwohl die BVV noch nicht einmal beschlossen hat, dass der Standort den neuen Status bekommen soll. Dies aber verletzt die Kompetenzen der Verordneten.

Und noch etwas gibt zu denken: Die Schule wird intern als Schwerpunktschule für den Förderung der geistigen Entwicklung bezeichnet, obwohl auch dieses Label noch gar nicht offiziell vergeben wurde – und obwohl nach dem personellen Aderlass kaum noch Sonderpädagogen übrig sind. Die Tagesspiegel-Frage, wie viele Sonderpädagogen noch verfügbar seien, ließ Metter unbeantwortet.

Unbeantwortet blieb auch die zweimalige Frage, ob der von Özhan-Erhardt und Rackles beanstandete Umgang mit finanziellen und personellen Mitteln ein juristisches Nachspiel haben werde. Auch dies ist nicht ohne Belang für die aktuelle Lage an der Schule, denn der Vorwurf „eindeutig grober krimineller Machenschaften“ wird von Özhan-Erhardts Unterstützern bis heute erhoben – und zwar in anonymen Mails eines „kleines Lehrerkollektivs“ der Johanna-Eck-Schule an den Tagesspiegel. Nach „konstruktivem Miteinander“ klingt das nicht. Und nun?

„Die Leiterin hofft auf eine Art Stunde Null, wenn alle Kritiker weg sind“, sagt ein Lehrer, der noch ein Jahr dabei bleiben will. Dann will auch er weg, denn Hoffnung auf einen Neuanfang hat er nicht, „weil das Freund-Feind-Denken der Schulleiterin den gesamten Schulbetrieb durchzieht und durchziehen wird“. Die Schulleiterin äußert sich nicht.

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