Erster Besuch in Clärchens Ballhaus in Berlin-Mitte: Das Lametta ist weg, der Charme soll bleiben
Clärchens Ballhaus hat wieder geöffnet – mit einigen Veränderungen. Ein Rundgang mit der neuen Chefin Bianca Zedler.
Nur der frische Kies knirscht unter den Schuhen, ansonsten es noch still im Biergarten an der Auguststraße 24. Dafür herrscht in dem Haus mit der blätternden Fassade schon eifriges Treiben. Um 15 Uhr werden die ersten Gäste im Restaurant von „Clärchens Ballhaus“ erwartet. Nach sechsmonatiger Schließung hat es nun wieder geöffnet. Wie schon seit 100 Jahren soll nun wieder getanzt, gegessen, getrunken und gefeiert werden.
Laut dem neuen Besitzer Yoram Roth mussten dafür aber dringend ein paar Dinge geändert werden. Einige Arbeiten an Brandschutz, Licht und Elektrik seien wichtig gewesen. Clärchens Charme sollte das aber nicht zerstören. Dies sei schließlich auch für ihn ein wichtiger Ort. Roth hat das Ballhaus 2018 gekauft.
Die alten Pächter mussten raus
Als der Pachtvertrag mit den bisherigen Betreibern im Dezember 2019 endete, befürchteten Clärchen-Fans, dass durch die Sanierung die einzigartige Atmosphäre verloren gehen könnte. Es gab sogar einen offenen Brief aus der Kulturszene. Die Sorge war groß, dass es mit dem Tanz vorbei sein könnte. Da war noch keine Rede von Corona.
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Tatsächlich ist der gesamte Saal jetzt als Restaurant eingerichtet. Das Lametta an den Wänden musste aus Brandschutzgründen weichen, jetzt ist dort eine Tapete im Look von altem Rohputz angebracht. Statt in langen Reihen stehen die alten Holztische jetzt einzeln. Sie sind eingedeckt mit goldumrandeten Tellern und Stoffservietten. „Wegen der Corona-Richtlinien mussten wir auf die Tafeln verzichten. Wir haben die aktuellen Vorgaben dann gleich in unser Konzept eingebaut“, sagt Bianca Zedler, die neue Betriebsleiterin.
Doch sobald es die Infektionsrate zulasse, gebe es wieder Tanzveranstaltungen, Konzerte und Lesungen. „Ein tägliches Programm ist in Planung“, sagt Zedler. Auch mit der Ballhaus-Band sei sie schon im Gespräch. Dass es in Zukunft wieder einen Mittagstisch geben wird, schließt die Chefin ebenfalls nicht aus.
Die neue Chefin arbeitete fürs Adlon und Tim Raue
Bianca Zedler ist 34 und arbeitet seit 18 Jahren in der Gastronomie. Bevor sie nach Berlin kam, arbeitete sie unter anderem im Adlon und eröffnete für Tim Raue seine drei „Colette“-Restaurants in München, Konstanz und Berlin. Das Clärchens kannte die gebürtige Rheinländerin vorher nicht. Aber sie habe ein Faible für alte Häuser mit Tradition. Sie erzählt, dass sie sich in das Clärchens gleich verliebt hat. „Ich habe das Gefühl, das basiert auf Gegenseitigkeit.“
Auf die Frage, ob sie sich sogar als das neue „Clärchen“ sieht, winkt sie lachend ab. „Nein, die Fußstapfen zu groß – vor allem für meine kleinen Füße.“ In ihrem schlichten Kleid kann man sie sich aber trotzdem gut als Vollblut-Gastgeberin vorstellen. „Ich finde es toll, dass das Clärchens vorwiegend von Frauen geführt wurde. Es ist mir eine Ehre, dass ich die Aufgabe übernehmen darf.“
Das "Shabby"-Konzept zieht sich durchs Haus
Das „Shabby“-Konzept zieht sich bis in den Wintergarten, der zuvor den Rauchern vorbehalten war. „Dies ist unser Private Dining Room“, erklärt Zedler. „Der ist natürlich für jeden zugänglich, aber man hat mehr Ruhe und einen Blick auf den hinteren Biergarten.“ Geraucht werden soll nur noch draußen. Auch dort stehen jetzt kleine Tische unter den Bäumen, es wirkt größer als vorher. „Wir haben viel aufgeräumt und Platz geschaffen.“ Insgesamt könne man draußen etwa 270 Plätze anbieten.
Der Spiegelsaal, wo es schon wieder eine kleine Hochzeit gegeben habe, wurde nicht verändert, da er unter Denkmalschutz steht – wie seit einigen Monaten auch die Wandvertäfelung an der neu gestalteten Bar und die Außenfassade des Gebäudes.
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2022 ist eine weitere Schließung wegen Bauarbeiten geplant. Dann sollen unter anderem die Leitungen erneuert werden – und eine größere Küche muss her. Viel Raum für bauliche Veränderungen gibt es nicht. Aber das sei auch gar nicht das Ziel, sagt Zedler. „Wir wollen den Berlinern ja nichts wegnehmen.“ Die Geschichte und die Tradition des Hauses sollten gewahrt werden.
"Ein Schock, dass das Lametta abgenommen wurde"
Die Besucher seien bisher zufrieden gewesen. „Dass wir das Lametta abgenommen haben, war für manche ein Schock, aber die meisten waren erleichtert, dass das Clärchens noch fast so aussieht wie vorher.“ Etwas Kritik gibt es aber doch. Eine Anwohnerin erzählt, dass sie früher gern mittags auf eine Pizza ins Clärchens gekommen war. „Man konnte zwischendurch einfach hingehen und was Kleines essen und trinken.“ Jetzt gebe es keinen Mittagstisch mehr und teurer sei es wohl auch geworden.
Bianca Zedler sagt, dass sich die Preise stark an dem bisherigen Angebot orientieren. Man habe den Fokus jetzt auf regionale und hochwertige Speisen gelegt. Das Motto sei die moderne Wirtshausküche. „Wir haben zum Bespiel die Bulette weiter im Programm, aber aus Kalbfleisch.“ Das alles soll auch das bunt gemischte Publikum nicht abschrecken. „Wir wollen, dass sich alle hier wohlfühlen.“
"Ein bisschen wie bei Oma"
Am Eingang zum Garten lesen ein Mann und eine Frau die Speisekarte. „Wir wollten mal schauen, wie es jetzt hier aussieht“, sagt die Frau. Früher sei er ja häufig hier gewesen, sagt der Mann. Das Ambiente habe ihm gefallen: „Ich mochte den großen Saal mit der festlichen Atmosphäre. Es war ein bisschen so, als würde man seine nette Oma besuchen.“ Auch auf die neue Speisekarte seien sie beide gespannt. „Die Pizza war gut, aber wir probieren auch gerne neue Sachen aus.“ Bis zum Nachmittag müssen sich die beiden aber noch gedulden.
Clärchens Ballhaus in der Auguststraße 24 in Mitte hat von Montag bis Freitag von 15 Uhr bis 23 Uhr, sowie am Samstag und Sonntag von 12 Uhr bis 23 Uhr geöffnet.