Von TISCH zu TISCH: Colette
Eine Brasserie im Altersheim? Tim Raues neues Hobby. Nun gibt es eines dieser Restaurants auch in Berlin. Die Speisekarte spricht deutsch-französisch
Brasserie, Brasserie... Da war schon mal was in den letzten Wochen, eigentlich ist da ständig was. Nur keine steifen Sitten, nur keine festen Menüs! Stattdessen französische Klassiker, die jedem schmecken und fertig. Tim Raue ist natürlich mit seiner Imponier-Macht derjenige, der dem Thema am meisten Schwung verliehen hat. Gleich drei Brasserien namens „Colette“, und alle im Altersheim untergebracht in München, Konstanz, Berlin – was soll das denn werden? Ich verzichte jetzt freiwillig auf alle Späßchen, in denen die Worte „Püree“ und „Rollator“ vorkommen, denn das mit dem Altersheim ist eben einfach so, dass der Chef der drei besagten Tertianum-Residenzen erstens Platz hatte und zweitens Lust auf einen PR-Coup, und das hat ja nun ersichtlich funktioniert. Es handelt sich um ein ganz normales Restaurant, in dem natürlich auch die Bewohner essen können.
Es schmeckt nach Raue
Kenner der Berliner Szene erinnern sich noch, dass Siegfried Rockendorf es kurz vor seinem Tod auch hier versucht hat, allerdings eine Tür weiter und mit einer furchtbar spießigen Einrichtung à la Hotel. Das passiert Raue nicht, die Vintage-Ausstattung wirkt anheimelnd und authentisch, der L-förmige Raum ist eher dunkel, aber da, wo es sein muss, gut beleuchtet; zum Wohlfühlen gibt es ein paar Kuschelkissen. Die Küche aller drei Brasserien wird von Steve Karlsch geführt. Dennoch schmeckt alles nach Raue. Gut? Ich bin mir nicht sicher, das ist der Punkt, an dem sich die Geister scheiden werden. Denn die durchgehend süß-saure Abstimmung der Saucen mit einem scharfen Schubs am Ende ist unnachahmlich und typisch. Die Sachen hauen rein, Fadheit ist verboten – aber mir ist das auf Dauer zu uniform. Die Speisekarte spricht deutsch-französisch. „Pastete Paysanne“ heißt ein Gang, und ich habe mich bei falschen Erwartungen erwischen lassen, dachte an eine kalte, saftig-deftige Traditionspastete. Dann kam aber eine warme, etwas bröselig-fette Scheibe, die schätzungsweise gut zur Hälfte aus süßen Trockenfrüchten bestand – eine Enttäuschung trotz Salat und feinen sauer marinierten Gemüsen (14 Euro). Viel besser passte der „Salat Landes“ mit gut gegartem Entenklein und Äpfeln in einer dieser griffigen Raue-Vinaigrettes (10 Euro).
Und schon ein Signature Dish
Ein Höhepunkt der Colette-Küche ist zweifellos die mit etwas Wasabi gewürzte Entenleberterrine mit Röstbrot und Frisée-Salat (18); ein gutes Beispiel für geschickte Dekonstruktion ist der Nizza-Salat, der hier mit Sashimi-Thunfisch, Kartoffelchips und Sardellen-Mayonnaise serviert wird, aber auch die traditionellen grünen Bohnen enthält (16). Ein bemerkenswert großes und saftiges Stück Kabeljau kommt in einer grünen Vinaigrette mit Kapern und Sellerie-Estragonpüree (18), und als eine Art künftiger „Signature Dish“ fungiert wohl das Huhn unter der Teighaube (24) mit Haselnüssen, Topinambur und einer ordentlichen Portion Trüffelkrümel in der aromatisch enorm dichten Sauce – echt Raue. Madame Colette ist übrigens eine Crêpe-Bäckerin, die den sehr jungen Raue mal kulinarisch begeistert hat; ihr gewidmet ist das köstliche Dessert mit bananengefüllten Crêpes, Vanilleeis und einem markanten Butterkaramell, der damals in der Bretagne sicher nicht so mutig gesalzen war...(12). Im Weinangebot finden sich die üblichen hochrangigen Verdächtigen von Dreißigacker über Schneider bis zu Luxus-Bordeaux, und auch der fröhlich selbstbewusste und gut informierte Service arbeitet so, als sei er aus einem anderen Raue-Betrieb einfach umgezogen. Die Nagelprobe wird wohl darin zu sehen sein, ob und wie die Karte sich weiterentwickelt. Das wird sicher spannend.
- Brasserie Colette, Schöneberg, Passauer Str. 5-7, Tel. 2199 2174, täglich außer Mo/Di von 12-15 und 18-23 Uhr.