Berliner Bildungspolitik: Das Ende der kurzen Schulwege
Früher war ein Schulplatz im Einzugsgebiet für Erstklässler selbstverständlich. In mindestens sechs Bezirken klappt das dieses Jahr nicht mehr.
Alle reden vom Schulbau – und jetzt wird zunehmend spürbar, warum: In jedem zweiten Bezirk gibt es Schulen, in denen nicht mehr alle Erstklässler aus dem Einzugsgebiet aufgenommen werden können. In weiteren Bezirken wird es zumindest für die Geschwisterkinder eng. Das ergab eine Tagesspiegel-Umfrage in allen Schulämtern.
Dabei hätte es dieses Jahr eigentlich entspannter zugehen müssen, denn ein Viertel des Jahrgangs fällt weg, weil das Einschulungsalter um drei Monate angehoben wurde. Allerdings müssen jene 8500 Kinder versorgt werden, die vergangenes Jahr von der Schulpflicht zurückgestellt worden waren. Unterm Strich landet Berlin deshalb bei rund 28 400 Erstklässlern – rund 3500 mehr als vor fünf Jahren. Schon haben sich die ersten abgewiesenen Familien an das Verwaltungsgericht gewandt: „Bislang sind drei vorläufige Rechtsschutzanträge und 17 Klagen eingegangen“, teilte Gerichtssprecher Stephan Groscurth auf Anfrage mit. Die Bezirke im Einzelnen:
Charlottenburg-Wilmersdorf
Hier ist die Schulplatzvergabe für die ersten Klassen noch nicht abgeschlossen, aber die Lage relativ entspannt: Zum jetzigen Zeitpunkt wurden alle Kinder, die im jeweiligen Einschulungsbereich wohnen, aufgenommen, berichtet Bildungsstadträtin Heike Schmitt-Schmelz (SPD). Allerdings konnten an der Dietrich-Bonhoeffer-, Erwin-von-Witzleben-, Ernst-Habermann- und Halensee-Schule nicht alle Geschwisterkinder berücksichtigt werden. Dies gilt „voraussichtlich“ auch für die Katharina-Heinroth-Schule.
Friedrichshain-Kreuzberg
An der Hausburg-Schule in Friedrichshain und an der Fichtelgebirge-Grundschule in Kreuzberg können nicht alle Kinder, die im Einschulbereich wohnen, aufgenommen werden, sagt Bildungsstadtrat Andy Hehmke (SPD). Zudem ist es an der Hausburg-, Pettenkofer-, Ludwig-Hoffmann-, Charlotte-Salomon-, Bürgermeister-Herz-, Fichtelgebirge, Hunsrück- und Rosa-Parks-Schule so eng, dass alle Ummeldeanträge von Kindern, die in einem anderen Einschulbereich wohnen, abgelehnt werden mussten, „darunter auch Geschwisterkinder“.
Lichtenberg
Hier gibt es die prozentual stärksten Schülerzuwächse von ganz Berlin. Am engsten ist es in Lichtenberg-Mitte: Hier mussten Kinder der Schule am Roederplatz und der Schule im Gutspark weggeschickt werden, obwohl sie im Einzugsgebiet wohnen. In Bezug auf die Geschwisterkinder teilt Bildungsstadtrat Wilfried Nünthel (CDU) mit, dass der Bezirk sich „noch im Widerspruchsverfahren“ befindet – das gilt zumindest für die genannten Schulen sowie die Schule auf dem lichten Berg, die Obersee-Schule sowie die Schule am Wäldchen.
Marzahn-Hellersdorf
„In allen Schulen können die Kinder im Einzugsgebiet aufgenommen werden“, so Bildungsstadtrat Gordon Lemm (SPD). Allerdings werde es für Geschwister knapp. Das könnte die Schule am Fuchsberg, Pusteblume-, Schleipfuhl-, Strauß- und Geißenweise-Schule betreffen.
Neukölln
In Nord-Neukölln gibt es „einige wenige Schulen“, in denen vielleicht nicht alle Kinder aus dem Einzugsgebiet unterkommen. Ende Mai, wenn alle Wechselwünsche bearbeitet wurden, weiß Bildungsstadtrat Jan-Christopher Rämer (SPD) mehr. Künftig müssen wohl die Einzugsbereiche anders zugeschnitten werden.
Mitte
An der Gesundbrunnen- und Andersen- Schule wird es besonders eng. Ob für alle Geschwisterkinder Platz ist, war letzte Woche noch nicht klar, teilte Bildungsstadtrat Carsten Spallek (CDU) mit.
Pankow
3830 Erstklässler erwartet Pankow und damit über 1000 mehr als die anderen Bezirke im Schnitt. Entsprechend eng wird es: An der Thomas-Mann-, Arnold-Zweig-, Elisabeth-Shaw-, Platanen-, Bornholmer, Teutoburger Grundschule sowie an der Schule am Weißensee können nicht alle Kinder aufgenommen werden, die im Einzugsgebiet wohnen. Geschwisterkinder haben hier entsprechend kaum Chancen. Bildungsstadtrat Torsten Kühne (CDU) berichtet, dass im Einzelfall wieder Klassen mit bis zu 27 oder 28 Kinder aufgemacht werden müssen.
Reinickendorf
In Reinickendorf ist mehr Platz. Maximal für die Geschwisterkinder an der Charlie-Chaplin-Grundschule wird es eng: Hier läuft derzeit die Widerspruchsfrist, „sodass zum jetzigen Zeitpunkt noch keine verlässliche Aussage getroffen werden kann“, sagt das Schulamt.
Spandau
„Es wird wesentlich enger als sonst“, heißt es auch aus Spandau. Noch hofft das Schulamt aber, dass alle Kinder in ihren Einzugsgebieten und alle Geschwisterkinder aufgenommen werden können – notfalls durch das Einrichten zusätzlicher Klassen. Anfang Juni soll alles klar sein: Bis dahin weiß man, ob Kinder zurückkommen, die sich zunächst in anderen Schulen angemeldet hatten und dort vielleicht keinen Platz bekamen.
Steglitz-Zehlendorf
An der Sachsenwald-Schule können nicht alle Kinder aufgenommen werden, die im Einzugsbereich wohnen. Hier und an der Alt-Lankwitzer- sowie an der Käthe-Kruse-Schule können nicht alle Geschwisterkinder berücksichtigt werden.
Tempelhof-Schöneberg
„Alle künftigen Schulanfänger bekommen einen Platz an der zuständigen Grundschule“, teilt das Schulamt mit. An einigen Grundschulen mussten die Wechselwünsche für Geschwisterkinder kapazitätsbedingt teilweise formal abgelehnt werden. Diese Kinder seien jedoch „größtenteils“ zwischenzeitlich nachgerückt „oder werden als Geschwisterkinder aller Voraussicht nach noch nachrücken“.
Treptow-Köpenick
„Erfreulicherweise kann ich mitteilen, dass nach heutigem Kenntnisstand alle Schulanfänger einen Platz an ihrer zuständigen Schule erhalten werden“, meldet Bildungsstadträtin Cornelia Flader (CDU). Entwarnung gibt es auch für die Geschwisterkinder. Flader führt diese gute Bilanz darauf zurück, dass sowohl an der Schule an der Wuhlheide als auch an der Bouché-Schule eine zusätzliche Klasse eingerichtet wird.
Das Ende der Früheinschulung
Dieses Jahr greift erstmals die Entscheidung des alten SPD/CDU-Senats, die Früheinschulung abzuschaffen: Kinder, die erst nach dem 1. Oktober sechs werden, sind nicht mehr schulpflichtig. Das hatte die CDU gegen die SPD durchgesetzt. Vorher war jährlich die Zahl der Eltern gewachsen, die per Antrag ihre Kinder von der Früheinschulung befreiten.
Unter diesen „Antragskindern“ waren stets vor allem jene, die erst im letzten Quartal sechs wurden, aber teilweise auch Kinder, die früher Geburtstag hatten. Daher war absehbar, dass die Zahl der Anträge nicht auf Null sinken würde. Für die ersten drei Bezirke hat der Tagesspiegel jetzt die – noch nicht endgültigen – Daten erfahren. Demnach ist die Zahl der Rückstellungsanträge in Neukölln von 700 auf absehbar weit unter 300 gesunken. In Steglitz-Zehlendorf sind es knapp 150 statt 560 im Vorjahr. In Reinickendorf wurden bislang rund 180 gegenüber 624 im Vorjahr vermerkt.
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