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Schneller kommt man auch gut zum Abi, die ostdeutschen Länder machen es vor. Aber dümmer werden die Schüler nicht, wenn sie ein Jahr mehr im Bildungssystem verbringen.
© Armin Weigel/dpa

Rückkehr zum G9: Mehr Zeit für Bildung ist sinnvoll

Mit der Rückkehr zum G9-Abitur knickt Bayern vor den Wut-Eltern ein. Trotzdem ein guter Anlass, die verbreitete Bildungseile zu beenden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anja Kühne

Heute so, morgen so. Nun soll der Weg zum Abitur auch in Bayern wieder wie früher 13 Jahre dauern. Die Regierung knickt ein vor den Wut-Eltern. Die haben nicht aufgehört, die überladenen Stundenpläne ihrer Kinder zu kritisieren.

Auf die Umsetzung der bayerischen Reform wirft das kein gutes Licht. Dass zwölf Jahre bis zum Abitur durchaus reichen, führen die ostdeutschen Länder seit Jahrzehnten erfolgreich vor. Doch längst ist in Deutschland ein Flickenteppich der Schulzeiten entstanden, alle möglichen Modelle existieren nebeneinander. Das erschwert die Mobilität. Und das Rumfummeln an den Schulstrukturen, bald in diese, bald in die andere Richtung, stört die Arbeit am und im Unterricht, auf die es letztlich ankommt. Die Rolle rückwärts ist überflüssig. Nur neun Prozent der Eltern sehen ihre Kinder vom Turbo-Abi überfordert, wie eine Studie zeigt.

Umso merkwürdiger ist es aber, dass dennoch fast 80 Prozent der Eltern die Rückkehr zum langsameren Abi wünschen. Das scheint irrational. Unerklärlich ist es aber nicht. Schließlich hat die Bildungspolitik der vergangenen 20 Jahre das gesamte System unter Zeitdruck gesetzt. Die Absolventen sollten in der überalterten Gesellschaft schneller in die Sozialkassen einzahlen. Einschulung mit fünf Jahren, Abitur nach zwölf Jahren, besser noch als Schnellläufer nach elf Jahren. Und mit dem Bachelorabschluss nach drei Jahren einen Job haben, im Alter von 20. So wollte es der neoliberale Zeitgeist.

Im Temporausch wird übersehen, dass Bildung Zeit braucht

Viele Eltern haben sich, nicht zuletzt aus Abstiegsangst, davon beeindrucken lassen. Sie fahren das Kind vom Frühenglisch zur Frühmathematik. Und steht später ein Schuljahr im Ausland zur Debatte, wird am Abendbrottisch gefragt: Ist es das wirklich wert, dafür ein Jahr in Deutschland wiederholen zu müssen, es also zu „verlieren“? Dass das Kind im Auslandsjahr nur gewinnt – Lebenserfahrung, Selbstbewusstsein, interkulturelle und sprachliche Kompetenz – wird im Temporausch übersehen.

Bildung ist aber etwas anderes als so viel Stoff wie möglich so schnell wie möglich in ein Kind zu stopfen, es zur rasenden Presswurst zu machen. Daran erinnert das Wort „Kindergarten“. Der Pädagoge Friedrich Fröbel stellte sich Mitte des 19. Jahrhunderts vor, dass dort „unter der Sorgfalt erfahrener, einsichtiger Gärtner im Einklang mit der Natur“ die „Kinder als Keime“ langsam heranreifen sollen. Das Wort „Schule“ hat seinen Ursprung sogar in den griechischen und lateinischen Begriffen für „Müßiggang“ und „Nichtstun“.

Reife braucht Zeit, nicht Hektik und Druck. Berlin hat darum die Früheinschulung abgeschafft. Und die Masse der Studierenden will sich mit dem kurzen Bachelor nicht begnügen, sondern strebt in den Master – sehr viele überziehen dabei wie frühere Generationen kräftig die Regelstudienzeit.

Auch das muss so wenig sein wie das Abi nach erst 13 Jahren, natürlich ginge es meist auch schneller. Andererseits macht es junge Leute nicht dümmer, wenn sie ein paar Jahre länger als nötig im Bildungssystem zubringen. Deutschlands Sozialkassen werden es aushalten. Und die Gesellschaft gewinnt durch die Entschleunigung Lebensqualität zurück.

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