Zu wenige Frauen im Parlament: Darum kommt das Berliner Paritégesetz nicht voran
Eigentlich wollte Rot-Rot-Grün noch in diesem Jahr ein Paritégesetz beschließen. Doch die Grünen bremsen. Jetzt macht die SPD Druck.
Die Hälfte der Macht den Frauen. Eine alte Forderung, die auch im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag steht. Die politische Realität in Berlin – und auch in Brandenburg – sieht allerdings anders aus: Von den 160 Abgeordneten im Berliner Parlament sind nur 53 weiblich.
Um das zu ändern, wollte die Koalition eigentlich noch in diesem Jahr ein Paritégesetz beschließen, wie es Brandenburg und Thüringen bereits getan haben. Schon im März 2018 hatten sich SPD, Linke und Grüne in einer Resolution für die „paritätische Beteiligung von Frauen an der politischen Willensbildung in Parlamenten, Ämtern und Gremien“ ausgesprochen und angekündigt, die Einführung eines Paritégesetzes zu prüfen.
Bei den Grünen heißt es: Aus den Fehlern beim Mietendeckel-Gesetz wolle man lernen
Bis heute ist diese Prüfung nicht abgeschlossen, ausgerechnet die Grünen bremsen beim Paritégesetz, obwohl der Gesetzentwurf ihrer Kollegen in Brandenburg als Grundlage für das im Januar beschlossene Gesetz diente. Lieber noch eine juristische Meinung einholen, um das Gesetz rechtssicher zu machen, als mit einem Schnellschuss vor Gericht scheitern, heißt es.
Aus der Fraktion hört man: Aus den Fehlern beim Mietendeckel-Gesetz wolle man lernen – ein Blick in die juristische Glaskugel?
Jetzt macht die SPD Druck. „Es ist nach 100 Jahren Frauenwahlrecht Zeit zu schauen, wo wir mit der politischen Teilhabe von Frauen stehen, und den nächsten mutigen Schritt zu wagen: ein Paritégesetz“, fordert Gleichstellungssenatorin Dilek Kalayci in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel. „Ich bin überzeugt, ohne eine gesetzliche Verpflichtung aller Parteien, werden wir die Parität in der Volksvertretung nicht erreichen.“
Auch SPD-Fraktionschef Raed Saleh verspricht auf Nachfrage: „Ein Paritégesetz wird kommen, das ist für mich eine Frage von Gerechtigkeit, Fairness und Vernunft.“
Quotierte Listen allein machen noch keine Parität
Aber wie? Die Paritégesetze in Brandenburg und Thüringen zeigen, dass lediglich quotierte Listen, bei denen einem männlichen Bewerber eine weibliche Kandidatin folgen muss und umgekehrt, die Parität im Parlament nicht vollständig herstellen können.
Der Politikwissenschaftler Christian Stecker vom Zentrum für Europäische Sozialforschung an der Universität Mannheim hat für Brandenburg durchgerechnet, wie viele Frauen sich unter den 88 Mandatsträgern befänden, wenn die Parität bereits für den kürzlich gewählten Landtag vorgeschrieben gewesen wäre. Das Ergebnis: Sieben Frauen mehr säßen im Parlament – und sieben Männer weniger. Aktuell liegt der Frauenanteil bei 31,8 Prozent. Nach dem neuen Gesetz stiege er auf 39,8 Prozent.
Warum das so ist, zeigt das Beispiel der SPD in Brandenburg: Die deckt alle ihre 25 Sitze im Parlament über Direktmandate ab. Weil das Gesetz da nicht greift, würde es bei den 18 Männern und sieben Frauen in der Fraktion bleiben.
Deswegen fordert die Berliner Linksfraktion, die als einzige der Koalitionsfraktionen bereits im März einen Gesetzentwurf vorgelegt hat: Neben quotierten Listen müsse es paritätische Wahlkreisduos, also bestehend aus einer Frau und einem Mann, bei den Direktmandaten geben. Aus den bisherigen 78 Wahlkreisen würden 39, die Wähler hätten zwei Wahlkreisstimmen und müssten einen Mann und eine Frau wählen.
Ob das auch verfassungskonform ist, ist umstritten. In Brandenburg haben Piratenpartei, NPD und AfD Verfassungsbeschwerde gegen das Paritégesetz eingereicht.
Gleichstellungssenatorin Kalayci: Durchsetzung der Gleichberechtigung ist ein klarer verfassungsrechtlicher Auftrag
Auch Senatorin Kalayci verweist auf zwei konkurrierende Grundrechte: „Zum einen geht es um die Parteienfreiheit und zum anderen um das in Artikel 3 verankerte Gleichberechtigungsgebot.“ Sie habe abgewogen und sich entschieden: „Das Gleichberechtigungsgebot ist für mich schwerwiegender.“
Kalayci argumentiert mit Artikel 3 des Grundgesetzes, der 1994 eine Ergänzung bekommen hatte: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Dieser „klare verfassungsrechtliche Auftrag“ sei angesichts sinkender Zahlen von Frauen in Parlamenten von „größter Bedeutung“.
Aber bis Berlin so weit ist, könnte es noch dauern. Zwar sagt Saleh, er hoffe, das Gesetz 2020 zu beschließen. Doch Grüne und Linke fordern, dafür die Bezirkslisten abzuschaffen, weil sie der Parität im Weg stünden. Ob sich die SPD darauf einlässt, ist unklar. Anne Helm, die das Gesetz für die Linken verhandelt, ist ob der Verschleppung jedenfalls schon „ein bisschen frustriert“.