Geflügelzucht in Zeiten der Vogelgrippe: Dann kräht bald kein Hahn mehr
Vogelgrippe, Massenschlachtungen, streitsüchtige Nachbarn: Private Geflügelzüchter und Öko-Bauern haben es derzeit nicht leicht.
Dass sich mancher viel Müh’ mit dem lieben Federvieh gibt, wusste Wilhelm Busch schon vor mehr als 150 Jahren. Doch immer mehr Landwirten und privaten Geflügelzüchtern werde ihr Hobby derzeit vergällt, sagt der Vorsitzende des Landesverbandes der Rassegeflügelzüchter Berlin-Brandenburg, Rolf Graf: „Erst dieser groteske Prozess um die Frage, wie oft und wie laut ein Hahn krähen darf, und nun auch noch die Vogelgrippe mit offensichtlich überforderten Behörden.“
Der Streit zweier Nachbarn im Dörfchen Zitz im Landkreis Potsdam-Mittelmark war, wie berichtet, bei einem Gütetermin beigelegt worden. Ein Hobby-Geflügelzüchter wird künftig statt acht nur noch zwei Hähne halten, sein gesamtes Federvieh darf – weil das Krähen und Gackern den Nachbarn stört – nur noch von 8 bis 20 Uhr ins Freie. Am Wochenende muss es zudem zwischen 13 und 15 Uhr in den Stall.
Beim Landesverband der Rassegeflügelzüchter ist man nicht erfreut. „Erstens landen die Tiere im Stall oder Suppentopf“, sagt Rolf Graf. „Zweitens heißt das Signal: Man muss sich nur lange genug aufregen, um Tiere, die ja auf dem Lande völlig normal sind, zu verdrängen.“
In Cottbus wurden Tiere eines Geflügelhalters erschossen
Diese Signalwirkung sei fatal, denn der Streit von Zitz sei kein Einzelfall, sagt Graf. In Cottbus habe vor einiger Zeit sogar die Polizei ermittelt, weil mehrere Tiere eines Hobby-Geflügelhalters erschossen worden waren. In Berlin-Buch zeigten Nachbarn eine Frau an, weil sie ihre Tiere angeblich nicht artgerecht hielt. „Das war total erfunden“, sagt Graf. „Ich war dort und habe selten eine so saubere Anlage gesehen. Die Frau hat mit behinderten Kindern gearbeitet und wurde schon deshalb laufend kontrolliert.“
Öko-Eier? Ja bitte, aber am besten aus dem fernen Polen
„Alle wollen Öko-Eier“, resümiert Graf, „aber sie sollen möglichst weit weg und auf keinen Fall vor der eigenen Haustür produziert werden.“ Am besten in Polen, hätten ihm schon einige gesagt. Dort käme zumindest keiner auf die Idee, wegen krähender Hähne zu klagen: „In Berlin regen sich manche schon auf, dass morgens eine Amsel vor ihrem Fenster singt. Oder dass Tauben im Schlag zu laut mit den Flügeln klatschen und gurren.“
Auch der Sprecher des brandenburgischen Ministeriums für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft, Jens-Uwe Schade, erzählt von zunehmenden Anfeindungen. „Die Leute beschweren sich, dass ein Güllewagen riecht, ein Schwein grunzt oder ein Hund bellt“, sagt er: „Die wollen Landlust, aber ohne Landduft und Landgeräusche. Leider sind unsere Gerichte auf halbem Wege stehengeblieben: Dass Kinder Lärm machen dürfen, hat sich inzwischen durchgesetzt. Dass aber Tierhaltung zum ländlichen Raum gehört und Tiere auch Geräusche verursachen, offenbar noch nicht.“
"Unsere Tiere brauchen Sonne und Wasser, um sich fortzupflanzen"
3200 Mitglieder hat der Landesverband der Rassegeflügelzüchter. Sie betreuen in Brandenburg und Berlin etwa 50.000 Tiere und haben derzeit noch mehr Nachwuchssorgen als sonst. Wenn das Bundeslandwirtschaftsministerium die Stallpflicht wegen der Vogelgrippe weiter ausdehne, gäbe es nicht mehr viel zu züchten, sagt Rolf Graf: „Unsere Tiere brauchen Sonne und Wasser, um sich fortzupflanzen. Für die ist Stallpflicht schlimmer als Gefängnis für den Menschen.“
Zusätzliche Aufregung löste dieser Tage der Fall eines Geflügelzüchters in Schwante im Landkreis Oberhavel aus. Auf seinem Hof war nicht der Erreger H5N8, sondern die niedrigpathogene Influenzavariante H5N1 gefunden worden. 500 Tiere, Hühner, Gänse, Enten, Schwäne, wurden getötet. „Wir haben versucht, eine Sondergenehmigung für den Halter zu bekommen“, sagt eine Sprecherin des Verbraucherschutz-Ministeriums: „Leider ist das nicht gelungen. Normalerweise werden große Nutztier-Bestände in abgeschlossenen Stallanlagen mit Gas getötet, das war aber hier nicht möglich, weil die Anlagen nicht luftdicht verschlossen werden konnten.“
Medien berichteten, dass in Schwante ein regelrechtes Massaker stattgefunden habe. So sieht es auch Rolf Graf, der sich vor Ort informierte: „Die haben den Züchter nicht nur mit einer vernichteten Existenz, sondern auch mit riesigen Blutlachen zurückgelassen, die er gefälligst entsorgen soll – wir sind entsetzt und hoffen, dass sich Anwälte der Sache annehmen.“
16 Bestände in 13 Bundesländern sind bislang betroffen
Viele Rassegeflügelzüchter mache misstrauisch, dass angeblich Wildvögel das Virus in große industrielle Anlagen übertragen haben sollen, sagt André Mißbach. Er ist Redakteur der Geflügelzeitung und kann die Bedenken verstehen: „Diese Anlagen sind eigentlich hermetisch abgeriegelt, es gibt auch Wissenschaftler, die davon ausgehen, dass die wahren Ursachen in der Massentierhaltung liegen.“ Beim Friedrich-Loeffler-Institut (FLI), das alle Vogelgrippe-Fälle in Deutschland untersucht, geht man weiter davon aus, dass sich H5N8 durch „indirekten Eintrag“, also beispielsweise über den Kontakt mit Wasser oder Kot von den Wildvögeln auf Stallanlagen übertragen hat.
16 Bestände in 13 Bundesländern sind bislang betroffen, von einer Entwarnung kann, so eine FLI-Sprecherin, keine Rede sein. Im Gegenteil – man gehe inzwischen von einer Pandemie unter Wildvögeln, also einer kontinentübergreifenden Ausbreitung der Krankheit, aus.
Die Leidtragenden seien derzeit vor allem Ökobauern und viele kleine Züchter, sagt Rolf Graf. Einige ältere Verbandsmitglieder hätten schon angekündigt, dass sie nicht noch einmal neu anfangen, falls ihre Bestände durch die Vogelgrippe oder die damit verbundenen Maßnahmen vernichtet würden: „Dann haben wir endlich, was die Gesellschaft offenbar will: Massentierhaltung weit weg vom Schuss, wo niemand sieht, was vor sich geht. Und sterile Dörfer, in denen kein Hahn mehr auf dem Mist kräht.“
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