Bio-Lebensmittel: Öko-Landbau wehrt sich gegen härtere Auflagen
Die EU-Kommission plant für Bio-Produkte strengere Pestizid-Grenzwerte. Doch das Europaparlament macht nicht mit.
Wer Bio-Möhren auf den Speiseplan setzen will, muss nicht lange suchen. Im Supermarkt um die Ecke gibt es verpacktes „Bio-Suppengemüse“, das natürlich auch „Bio-Karotten“ enthält. Im Discounter liegen Möhren der Marke „Gut Bio“ im Regal. Und der Bio-Supermarkt ein paar Straßen weiter lässt sich sowieso nicht lumpen – hier können sich Kunden an gewaschenen Demeter-Karotten bedienen.
Das Geschäft mit Bio-Produkten boomt. Nach Angaben der EU-Kommission hat sich der Markt mit ökologisch erzeugten Lebensmitteln im vergangenen Jahrzehnt vervierfacht. Das hat allerdings zur Folge, dass sich Kunden auch die Frage stellen, ob überall wirklich Bio drinsteckt, wo Bio draufsteht. Mehrere Skandale in der Branche haben das Vertrauen der Verbraucher erschüttert. In Italien wurden über Jahre hinweg mehr als 700 000 Tonnen Mehl, Soja und Trockenfrüchte als Bio- Waren verkauft, obwohl sie aus konventionellem Anbau stammten. Ende 2011 ließen italienische Beamte die Betrügerbande hochgehen, deren angebliche Bio-Produkte vor allem aus Rumänien und anderen osteuropäischen Ländern kamen. Zuvor war ein Teil der Ware auch nach Deutschland gelangt.
Der Europäische Rechnungshof legte Mängel im Kontrollsystem offen
Im folgenden Jahr veröffentlichte der Europäische Rechnungshof dann einen Bericht, in dem Mängel im Kontrollsystem der Öko-Branche kritisiert wurden. Damit war das Maß für die EU-Kommission voll. Die Brüsseler Behörde nahm eine komplette Überarbeitung der europäischen Öko-Verordnung in Angriff. Dieses EU-Gesetz stammt ursprünglich aus dem Jahr 1991 und wurde bereits 2009 schon einmal überarbeitet. Es setzt einen Mindeststandard für die Öko-Produktion fest. Produkte, die diesen Standards genügen, bekommen das lindgrüne Öko-Siegel der EU – ebenjenes Siegel, das sich auch auf den Bio-Möhren im Supermarkt findet.
Im März des vergangenen Jahres präsentierte die Kommission nun ihren Entwurf für die Revision der Öko-Verordnung. „Die Kommission strebt nach mehr und besseren Bio-Erzeugnissen für die EU“, sagte der damalige Agrarkommissar Dacian Ciolos seinerzeit. Er rühmte die Arbeit seiner Behörde mit den Worten, dass das Paket zur Generalüberholung der geltenden Verordnung „Verbrauchern und Landwirten gleichermaßen“ zugutekomme. Doch vor allem die Öko-Bauern sehen das anders. Sie wittern bis heute hinter dem Brüsseler Gesetzespaket den Versuch, ihren Markt zu beschneiden.
Berichterstatter Häusling lehnt Gleichsetzung von "bio" und "schadstofffrei" ab
Und so folgte auf die Präsentation des Rumänen Ciolos ein langwieriger Gesetzgebungsprozess, an dem viele Akteure in Berlin und Brüssel mitwirken. In diesen Tagen kommt es im Europaparlament zum Schwur, wenn die Abgeordneten ihre Position zum Gesetzesentwurf der Kommission beschließen. Als Knackpunkt gilt der Vorschlag der Brüsseler Behörde, den Bio-Bauern strengere Grenzwerte bei den Pestiziden aufzuerlegen als den konventionellen Landwirten. Nach den Vorstellungen der Kommission soll ein Produkt nur noch dann als „bio“ vermarktet werden können, wenn ein ähnlich niedriger Schwellenwert wie bei der Babynahrung eingehalten wird. „Es wäre problematisch, wenn man ,bio‘ als ,schadstofffrei‘ definieren würde“, sagt der Grünen-Europaabgeordnete Martin Häusling.
Am Mittwoch wollen die Experten im EU-Parlament eine gemeinsame Linie festzurren
Häusling ist als Berichterstatter zur Revision der Öko-Verordnung dafür verantwortlich, für das gesamte EU-Parlament eine Position zum Kommissionsvorschlag auszuarbeiten. Am kommenden Mittwoch will er sich in Straßburg mit den Kollegen treffen, die in den anderen Fraktionen für das Dossier zuständig sind. „Wir wollen die beiden großen Fraktionen mitnehmen“, sagt Häusling und meint damit die konservative Europäische Volkspartei (EVP) sowie die Sozialdemokraten. Wenn alles glatt läuft, soll Häuslings Stellungnahme im Agrarausschuss am 13. Oktober eine Mehrheit finden. Danach kann in einem Schnellverfahren der sogenannte Trilog zwischen EU-Kommission, den europäischen Agrarministern und dem Europaparlament beginnen, in dem die Neufassung der Öko-Verordnung weiter festgezurrt wird.
Der gelernte Landwirt Häusling kann darauf zählen, dass er im EU-Parlament viel Unterstützung findet für seine Ablehnung strengerer Grenzwerte bei den Erzeugnissen der Öko-Landwirtschaft, für die der Verzicht auf synthetische Pestizide ohnehin zum Credo gehört. „Es soll keine separaten Schwellenwerte für Bio-Produkte geben“, sagt der CDU-Europaabgeordnete Norbert Lins, der in der EVP-Fraktion für die Neufassung der Öko-Verordnung zuständig ist.
Öko-Verband hat nichts gegen Stichproben
Ähnlich sieht das auch Felix Prinz zu Löwenstein. Der Präsident des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft hat nichts gegen Laboranalysen, die dabei helfen können, möglichen Betrügereien auf die Spur zu kommen. Solche Stichproben sind bereits nach der gegenwärtigen Fassung der Öko-Verordnung vorgeschrieben. Die Einführung eines eigenen Grenzwerts für ökologisch erzeugte Lebensmittel hält Löwenstein aber für verfehlt. „Wenn ich sage, dass bei Bio-Bauern nichts drin sein darf, dann heißt das letzten Endes, dass es keinen Bio-Landbau geben darf“, warnt der Verbandschef. Schließlich sei es nicht auszuschließen, dass auch das Feld eines Bio-Bauern durch den Nachbarn, der konventionell wirtschaftet, mit Pestiziden kontaminiert werde. Ein solches Risiko trügen etwa Bio-Weinbauern, deren Betriebe häufig vergleichsweise klein sind.
Weltweiter Standard nach EU-Vorbild wird abgelehnt
Probleme hat Löwenstein auch mit einem anderen Punkt der Revision der EU-Kommission. Dort geht es um eine strengere Kontrolle von Bio-Lebensmitteln, die aus Drittländern außerhalb der EU importiert werden. Auch diese Importe sollen nach dem Willen der Kommission künftig nach den geltenden EU-Standards kontrolliert werden. Einerseits findet es Löwenstein vernünftig, dass die EU-Behörde nicht an der geltenden Regelung rütteln will, der zufolge Lebensmittel ohne Einschränkungen aus den Nicht-EU-Ländern eingeführt werden, deren Kontrollvorschriften den EU-Standards entsprechen. Die gilt beispielsweise für Lieferungen aus Costa Rica, der Schweiz oder den USA. Welche Öko-Richtlinien sollen aber beispielsweise gelten, wenn Ananas aus Uganda importiert werden, wo es keinen unmittelbar mit der EU vergleichbaren Standard gibt? „Die EU-Kommission hat mittlerweile selbst kapiert, dass dies nicht möglich ist“, sagt Löwenstein. Statt einer weltweiten Angleichung der Prüfmethoden nach EU-Vorbild schlägt er vor, dass sich die Europäische Union künftig an den Standards der Internationalen Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen (IFOAM) orientieren solle, die in den einzelnen Weltregionen voneinander abweichen.
Löwenstein versteht ohnehin nicht, dass sechs Jahre nach der letzten Überarbeitung der Öko-Verordnung jetzt wieder eine Novelle ansteht. Die Revision, so lautet sein Fazit, habe einen „enormen Aufwand und Rechtsunsicherheit für die Öko-Branche“ zur Folge.
Der Text erschien in der "Agenda" vom 6. Oktober 2015 - einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.