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Auf Werbefeldzug. Radikale Islamisten wenden sich mit Aktionen wie dem Verteilen kostenloser Koran-Exemplare vor allem an Jugendliche.
© dpa

Beratungsstellen in Berlin: Damit mein Kind kein Dschihadist wird

Nicht erst seit den Anschlägen in Frankreich haben Beratungsstellen zum Islamismus großen Zulauf. Langsam übersteigt der Bedarf das Angebot. Vom Senat fühlen sich manche Aufklärer alleingelassen.

Wenn man Claudia Dantschke ans Telefon bekommt, muss es schnell gehen. Die Leiterin der Beratungsstelle „Hayat“ hat viel zu tun in diesen Tagen. Immer wieder hat sie besorgte Angehörige vor allem von Jugendlichen am Telefon, die sich von islamistischen Gruppen angezogen fühlen, von ultrakonservativen Salafisten oder von militanten Dschihadisten, die mit der Waffe für ihren Glauben kämpfen wollen. „Das hat in den vergangenen Monaten stark zugenommen – nicht erst seit Paris“, sagt Dantschke. Die studierte Arabistin leitet seit 2010 die „Arbeitsstelle Islamismus und Ultranationalismus“ in der Gesellschaft Demokratische Kultur, einer auf extremistische Bewegungen spezialisierten Initiative, die vor drei Jahren die Beratungsstelle „Hayat“ gründete.

„Wir bekommen inzwischen mehr Anfragen, als wir bearbeiten können und sind unterbesetzt“, sagt Dantschke. Rund 120 Fälle haben die Mitarbeiter von Hayat demnach bearbeitet, darunter 90 laufende, bei denen viele Gespräche mit den Betroffenen nötig seien. Vor allem über die Zusammenarbeit mit der Beratungsstelle Radikalisierung des Bundesinnenministeriums landen viele Anrufer bei Dantschke und ihren drei Mitarbeitern, denn Hayat ist einer von vier regionalen Partnern des bundesweiten Modellprojekts vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

"Der Bedarf ist größer, als wir bewältigen können"

Die Fallzahlen der vom Bundesamt 2012 eingerichteten Beratungsstelle Radikalisierung haben sich „drastisch entwickelt“ und gegenüber dem Vorjahr fast verdoppelt, sagt Referatsleiter Patrick Schmidtke auf Anfrage. So wurden 2013 bundesweit 86 Fälle registriert, in denen Familien sich um Angehörige sorgten, die in den religiösen Extremismus abzudriften drohten, 2014 waren es schon 191. Nun will der Bund die Länder in die Pflicht nehmen, mehr für die Salafismus-Beratung und Deradikalisierung zu tun.

„In Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen gibt es schon gute Kompetenzzentren – andere haben da noch Entwicklungspotenzial“, sagt Schmidtke mit Blick auf Berlin. Eine Kritik, die auch Jochen Müller teilt, Mitgründer der Beratungsstelle Ufuq. Er und seine Kollegen – drei Festangestellte und zahlreiche freie Mitarbeiter – bieten Schulen und anderen Einrichtungen Aufklärung an, um Jugendliche vor den Angeboten von Salafisten zu schützen, außerdem schulen sie Lehrer und Jugendarbeiter. „Der Bedarf ist größer, als wir bewältigen können“, sagt Müller, der studierter Islamwissenschaftler ist. Sein von Neukölln aus arbeitender Verein, der finanziell vor allem vom Bund unterstützt wird, bekommt Anfragen aus der ganzen Republik – aus Berlin allerdings „eher wenige“, wie er sagt: „Die Stadt ist da etwas hinterher.“ Das führt er auch auf das aus seiner Sicht wenig abgestimmte Vorgehen und die fehlende Unterstützung des Senats zurück, auch wenn sich das inzwischen langsam ändere.

Mehr Aufklärung an Schulen

Praktiker wie Claudia Dantschke beklagen vor allem, dass es in Berlin keine zentrale Anlaufstelle für Beratung und Prävention von Radikalisierung gebe – wie sie auch Innensenator Frank Henkel (CDU) selbst immer wieder gefordert hat. Man arbeite derzeit an einem Programm, teilte die Innenverwaltung auf Anfrage mit. Das Konzept soll im ersten Quartal 2015 vorgelegt werden. Henkel will für Prävention und Salafismus zusätzliche Stellen in seinem Ressort einplanen.

"Wieso werden nicht vor allem bestehende zivilgesellschaftliche Strukturen gestärkt?“, fragt der Grünen-Innenpolitiker Benedikt Lux. Außerdem solle das Land mehr tun, um mit Experten in den Schulen aufzuklären. Dort gibt es allerdings schon eine rege Zusammenarbeit mit vielen Vereinen, die sich für die Aufklärung über den Islam und das friedliche Zusammenleben der Religionen starkmacht, wie Beate Stoffers von der Senatsschulverwaltung sagt. Dennoch findet auch der Linken-Politiker Hakan Tas, dass in den Schulen mehr Aufklärung nötig sei. Skeptisch sieht Tas allerdings den pauschalen Ruf nach mehr Stellen für bestehende Angebote. Erst müsse evaluiert werden, welche Einrichtung was leistet. Mindestens genauso wichtig sei es, allgemeine Kürzungen bei Jugendprojekten infrage zu stellen. Viele Angebote seien bedroht oder abgeschafft worden, die Jugendlichen Halt gegeben hätten.

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