EU-Fördermittel: Brüssel überweist Berlin 850 Millionen Euro
Die deutsche Hauptstadt kann auf EU-Fördermittel in Höhe von fast einer Milliarde Euro zurückgreifen. Doch wofür wird das Geld ausgegeben?
Wer sich nicht auskennt, würde an dem schmalen, dreistöckigen Gebäude in der Avenue Michel-Ange 71 im Brüsseler Europaviertel bestimmt vorbeigehen. Denn nur ein kleines Messingschild mit dem Berliner Bären und der Aufschrift „Senatsverwaltung für Kultur und Europa. Büro des Landes Berlin bei der EU“ verrät, dass Berlin im Quartier Schuman seit 1989 eine Repräsentanz hat.
Büroleiter Volker Löwe, 53, arbeitet seit zwölf Jahren in Brüssel und begleitet mit fünf Stammkräften die EU-Politik. „Das Wissen um EU-Politik, die Informationsweitergabe, die Früherkennung von Berlin-relevanten Themen und die Europäisierung der Verwaltung sind unser Kerngeschäft“, sagt Löwe.
Gerade die Metropolen sind zunehmend in den Fokus der EU geraten. Und ohne Geld aus Brüssel würde es in Berlin weniger Kiezprojekte, Sanierungen von Schulen, Verschönerungen von Treptower Park und FEZ sowie weniger Start-ups geben. Und keine exquisiten Schokoriegel.
Die Brüsseler Strukturförderung ist ein Dauerbrenner. Sie ist auf den ersten Blick kompliziert, aber wer Informationen braucht, erhält sie direkt in Brüssel bei der EU-Kommission und in Berlin in den Hauptverwaltungen, Bezirken, bei externen Dienstleistern oder auf Förderdatenbanken. Man muss sich also nicht „an Brüssel“ wenden, um Förderung zu erhalten.
In fast allen Berliner Bezirken gibt es einen EU-Beauftragten
Die zentrale Kontaktstelle in Berlin ist das Referat Europäische Strukturförderung in der Wirtschaftsverwaltung. Sie ist auch für die Koordinierung der Strukturfonds verantwortlich: Das Referat vergibt die Fördermittel an die Hauptverwaltungen, die wiederum die Fördermittel an die Bezirke weiterreichen. Jeder Bezirk muss transparent Auskünfte über seine Projekte geben können.
Bis auf Charlottenburg-Wilmersdorf gibt es in jedem Bezirk einen EU-Beauftragten. Seit 2017 ist diese Stelle im Berliner Westen vakant. Immerhin soll sie jetzt im Juli wieder besetzt werden. Diese EU-Beauftragten sollten genau über die Strukturförderung Bescheid wissen und informieren. Der Arbeitskreis der EU-Referenten trifft sich regelmäßig. Und das Brüsseler Büro bietet für jede Verwaltung Hospitanzen und Praktika an.
Die 850 Millionen Euro Fördermittel, von denen Berlin profitiert, stammen in der Förderperiode 2014 bis 2020 aus zwei Töpfen: dem EU-Strukturfonds für regionale Entwicklung (Efre) und dem Europäischen Sozialfonds (ESF). Aus dem Efre stehen Berlin 635 Millionen, aus dem ESF 215 Millionen Euro zur Verfügung. Diese 850 Millionen Euro werden in der gleichen Höhe um Landes- oder Bundesmittel ergänzt.
1,7 Milliarden Euro stehen Berlin aus EU-Mitteln zur Verfügung
Das heißt, Berlin hat für die gesamte Förderperiode 1,7 Milliarden Euro zur Verfügung. Das ist viel Geld für Investitionen. Nicht nur für Berlin: Mit Efre-Mitteln werden gemeinsame Projekte über die Innovationsstrategie Berlin-Brandenburg finanziert, die übrigens die einzige biregionale in der EU ist. Mit der „Inno BB 2025“ werden Projekte in der Gesundheitswirtschaft, Informations- und Kommunikationstechnik, Energietechnik, Mobilität sowie Optik und Photonik gefördert.
Die Strategie 2014 bis 2020 richtet sich nach drei Prioritäten: intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum. Mit Efre-Mitteln sollen in dieser Förderperiode die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt, Forschung und Entwicklung in kleinen und mittleren Unternehmen und Gründer unterstützt werden. Ein Beispiel: Die Firma Scopis erhielt Efre-Mittel in Millionenhöhe.
Ihre chirurgischen Instrumente ermöglichen eine 3D-Analyse der menschlichen Anatomie, führen Chirurgen durch die Operation und warnen davor, wenn vom Operationspfad abgewichen wird. Aus dem Start-Up ist inzwischen ein international erfolgreiches Unternehmen geworden. Oder die Bibliotheken: Sie erhalten im Programm „Bibliotheken im Stadtteil“ rund vier Millionen Efre-Mittel für die Modernisierung oder zur Umgestaltung der Räume zu Treffpunkten der Besucher.
Berlin wird weniger Geld erhalten
Der Löwenanteil der Efre-Mittel mit 330 Millionen Euro geht an die Wirtschaftsverwaltung. Analog dazu erhielt die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales mit 101 Millionen Euro aus dem Sozialfonds den größten Anteil. Fast 1000 Projekte wurden bis Ende 2018 mit ESF-Mitteln umgesetzt: Förderung der Stadtteilmütter, des Freiwilligen Ökologischen Jahres, Qualifizierung für Beschäftigung, Integrationsmaßnahmen, Berufsorientierung von Schülern, Alphabetisierungskurse, Inklusionsprojekte oder bürgerschaftliches Engagement.
In fast allen Ressorts sind die Fördermittel noch nicht voll abgerufen worden. Das ist auch noch nicht notwendig. Denn bis spätestens zum Ende des dritten Folgejahres müssen die Gelder einer Jahrestranche ausgegeben und mit der EU-Kommission abgerechnet worden sein. In der vorigen Förderperiode wurden die Efre- und ESF-Mittel erstmalig in Berlin zu 100 Prozent ausgeschöpft.
So viel Geld wie bisher wird Berlin aber nicht mehr erhalten. Zurzeit laufen in Brüssel die Haushaltsberatungen für die Förderperiode 2021 bis 2027. Die EU-Experten schätzen, dass Berlin mindestens zehn Prozent weniger Fördermittel als bisher erhalten wird. Dessen ungeachtet rührt das Berliner Büro in Brüssel weiter kräftig die Werbetrommel für die Hauptstadt. Die Auftritte von Berliner Kleinkünstlern in Brüssel kommen laut Büroleiter Löwe gut beim Publikum an. Demnächst wird Wladimir Kaminer zur Lesung erwartet.