Bibliotheken in Berlin: Die Hälfte der Büchereien ist geschlossen
Mehr als jede zweite Bücherei musste in den vergangenen Jahren schließen, weil das Geld fehlt. Das trifft vor allem Kinder aus sozialen Brennpunkten. In manchen Bezirken kümmern sich jetzt schon Ehrenamtliche um die Kiezbibliotheken.
Mehr als jede zweite Bücherei in Berlin hat in den vergangenen Jahren geschlossen. 217 Häuser zählte das Statistische Landesamt 1997 – im Jahr 2012 waren es nur noch 85. Barbara Schleihagen vom Deutschen Bibliotheksverband spricht von einem gefährlichen bundesweiten Trend, der auf den Sparzwang in den Kommunen zurückführen sei. Die Einschnitte in Berlin nennt Kirsten Marschall vom Berufsverband Information Bibliothek einen „Kahlschlag“. Kiezbibliotheken seien ein geschützter Raum für Kinder gerade in sozialen Brennpunkten, der nach und nach verloren gehe.´
Immerhin: Seit dem Pisa-Schock hat ein Umdenken eingesetzt. Denn wer nicht liest, schreibt auch schlechter. Marschalls Schlussfolgerung: Wer aus einem bildungsfernen Haushalt stammt, muss wenigstens in seinem Quartier Bücher angeboten bekommen. Fünf bis zehn Minuten zu Fuß, keine große Straße dazwischen, so kann die Bibliothek Teil des Alltags werden. Wenn das Angebot an Büchern, CDs und Spielen stimmt, „dann kriegen wir sie alle rein“, sagt Marschall.
Tiefe Einschnitte
Zugutehalten können sich die Bezirke, dass die Entleihzahlen trotz der tiefen Einschnitte nur wenig zurückgingen: Im Jahr 1997 wurden rund 21 Millionen Medien entliehen, 2012 waren es rund 20 Millionen. Allerdings: Im selben Zeitraum stieg die Einwohnerzahl. Und die Kürzungen treffen die Brennpunkte besonders stark: „Die Ausleihzahlen sind in sozial schwierigen Vierteln niedriger“, sagt die Bildungsstadträtin von Charlottenburg-Wilmersdorf, Dagmar König (CDU). „Die Bildungsfernen gehen allenfalls in eine Bibliothek um die Ecke, setzen sich aber nicht extra in den Bus.“
Trotzdem muss die Verwaltung bis 2016 weiter sparen. Allein in der City West werden voraussichtlich nur fünf der neun Stellen von Bibliothekaren ersetzt, die bis dahin in Rente gehen. Um das aufzufangen, müsste König zwei kleine Bibliotheken schließen oder mehrere zusammenlegen.
Aktuell steht eine Fusion in Treptow-Köpenick bevor. In diesem Jahr öffnet eine „Mittelpunktbibliothek“ in Schöneweide, in deren Einzugsgebiet rund 60 000 Bürger wohnen. Gleichzeitig schließen die Stadtteilbibliotheken im Baumschulenweg und in Johannisthal. Oberschöneweide hat seine Filiale schon verloren, Proteste verhallten schnell.
Stellenabbau trotz steigender Nutzerzahlen
Für den Leiter der Bezirksbibliotheken, Jürgen Radzkowski, ist die Fusion unausweichlich. „Wir müssen Stellen abbauen, allein 2014 verlieren wir vier Mitarbeiter.“ Am neuen Standort werde es längere Öffnungszeiten geben, zwölf Internetplätze, einen Veranstaltungsraum und ein viel größeres Angebot. Die Bezirksverordneten hätten nur zugestimmt, weil man mit der ersten Mittelpunktbibliothek in Köpenick seit 2008 gute Erfahrungen mache: „Die Nutzerzahlen haben sich mehr als verdoppelt.“
Aufgrund dieser Erfahrungen kann sich Radzkowski vorstellen, weitere Häuser zu schließen oder durch einen Bücherbus zu ersetzen. Eine „Fahrbibliothek“ kurvt bereits um den Müggelsee und erreicht entlegenere Orte wie Schmöckwitz, ist mit Öffnungszeiten von drei Stunden pro Woche aber eher ein Notbehelf.
Auch Marzahn-Hellersdorf hat ein Bibliothekssterben hinter sich. Man wolle aber keine weiteren Standorte schließen und Bibliotheken vom Personalabbau ausnehmen, sagt Stadträtin Juliane Witt (Linke). Im unterversorgten Süden des Bezirks ist sogar eine neue Filiale geplant. Parallel läuft die Aktion „Leseorte“ – eine Kooperation mit Büchereien in Schulen, Stadtteilzentren und Kliniken. Witt setzt auf attraktive Schwerpunktbibliotheken und viele kleinere Filialen.
Ehrenamtliche im Einsatz
Immer wieder erwägen Bezirke, Kiezbibliotheken an Ehrenamtliche zu übergeben. Die Thomas-Dehler-Bibliothek in Schöneberg wird schon seit 2002 von 22 Freiwilligen geführt. Viele Nutzer sind Schüler. Doch nach Ansicht des Berliner Datenschutzbeauftragten dürfen Kundendaten nur von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes eingesehen werden. Im Haus an der Martin-Luther-Straße dürfen keine Bibliotheksausweise ausgestellt oder verlängert werden. Bargeldeinzahlungen sind tabu, ersatzweise soll es bald ein EC-Kartenlesegerät geben.
In Prenzlauer Berg rettete der Verein „Pro Kiez Bötzowviertel“ 2008 die Kurt-Tucholsky-Bibliothek. Koordinatorin Uta Egerer sieht aber im Ehrenamt nur eine „temporäre Lösung“. Sie sagt: Bibliotheken „gehören in die Hände von Fachleuten“.