Schulen in Berlin: Brennpunkt-Zulage: Geldsegen mit Hindernissen
Die Kritik am rot-rot-grünen Millionenprogramm reißt nicht ab. Es geht um die Tücken der Armutsquote und um tarifliche Risiken. Noch ist kein Cent geflossen.
Von der Zulage, die Lehrer und Erzieher für ihre Arbeit in ausgewiesenen sozialen Brennpunkten erhalten sollen, wird auch im Februar noch kein Euro an die Betroffenen fließen: Obwohl das Geld seit 1. Januar 2018 (!) im Haushalt verankert ist, konnte die Auszahlung bisher nicht beginnen. Allerdings sind inzwischen die Höhe der Zuwendung sowie der Adressatenkreis klar: Dieser ist größer als bisher angenommen. Das teilte die Bildungsverwaltung auf Anfrage mit.
Demnach haben auch „Pädagogische Unterrichtshilfen sowie Freundschaftspionierleiter und in der DDR ausgebildete Erzieher, die als Lehrkräfte arbeiten“ Anspruch. Diesen Gruppen war noch am 15. Januar bescheinigt worden, dass sie keinen Zuschlag bekommen. Diese Auskunft sei hinfällig, schrieb die Bildungsverwaltung inzwischen in einem weiteren Rundbrief mit Hinweis auf eine durch die Finanzverwaltung geänderte Verwaltungsvorschrift.
Als Zeitpunkt für die erstmalige Auszahlung wird für die Beamten der 1. März genannt. Die angestellten Lehrer sind erst Ende März dran, weil noch „eine weitere IT-Änderung nötig ist“, heißt es aus der Bildungsverwaltung. Über 2000 Lehrer erhalten dann zusätzlich 300 Euro pro Monat – rückwirkend ab 1. August 2018.
„Gut gemeint, aber schlecht gemacht“
Bei den Erziehern ist es noch komplizierter: Sie sollen keine Zulage wie die Lehrer bekommen, sondern werden tariflich höhergruppiert. Dafür ist aber die Beteiligung der Personalräte vorgeschrieben, erläutert Beate Stoffers, Sprecherin von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). Ziel ist ebenfalls Ende März, aber ob das klappt, scheint noch offen – und im Falle der freien Hortträger sogar unmöglich: Einige freie Träger klagen, wie berichtet, über den zusätzlichen Aufwand für 2018: „Wir müssen alle Gehaltsabrechnungen nochmals anfassen, wenn wir ab 1. August rückwirkend zahlen“, berichtet die Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes, Sabine Walther. Die Brennpunktzulage sei „gut gemeint, aber schlecht gemacht“. Jetzt soll eine Arbeitsgruppe der Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtshilfe und der Bildungsbehörde prüfen, wie die Zulage von freien Trägern umgesetzt werden kann, erläutert Elvira Kriebel, Referentin für schulbezogene Jugendhilfe beim Paritätischen Wohlfahrtsverband.
Große Unterschied bei der Zulage
Das komplizierte Tarifgefüge führt dazu, dass die Höhe der Zusatzzahlungen sehr stark variiert: Je nach Tarifgruppe und Erfahrungsstufe sind es bei den öffentlichen Horterzieherinnen monatlich 64,13 bis 446,46 Euro, wie die Bildungsverwaltung dem Tagesspiegel mitteilte. Das muss dann in abgewandelter Form auf die freien Träger übertragen werden.
Die damit verbundenen Probleme waren auch Thema bei einer Diskussion, zu der der Kinderschutzbund Koalitionsvertreter eingeladen hatte, um auf die Mängel der Zulagenregelung hinzuweisen. Zu den Mängeln zählt für die Betroffenen nicht nur das schwierige Verfahren sondern auch die Tatsache, dass Brennpunktbeschäftigte, deren Schulen knapp unter der festgelegten 80-prozentigen Hartz-IV-Quote liegen, keinen Zuschlag bekommen. Den Kinderschutzbund trifft dieser Schwellenwert besonders hart, weil er die Horte zweier Schulen in direkter Nachbarschaft betreut, wobei an der Erika-Mann-Grundschule „nur“ 78,5 Prozent der Familien von Sozialtransfers leben, an der Leo-Lionni-Schule aber über 80 Prozent, wie Walther berichtet: Die Beschäftigten der Erika-Mann-Schule gehen also leer aus. "Ungerecht" finden das die Betroffenen.
Die Tücken der 80-Prozent-Grenze
Zwar sehen sie ein, dass man einen Schwellenwert braucht, wenn nur eine bestimmte Gesamtsumme zur Verfügung steht. Dennoch wird immer lauter aus den betroffenen Schulen eine Nachjustierung gefordert. Sie verweisen darauf, dass ihre Armutsquote höher sei als formal verzeichnet, weil Familien aus EU-Ländern erst nach einer Wartefrist Transferleistungen beanspruchen dürften. „Diese Kinder sitzen dann in der Schule, können kein Deutsch, sind bettelarm, zählen aber nicht in die ausschlaggebende Statistik, mahnt eine Neuköllner Horterzieherin: Ihre Brennpunktschule liegt formal unter der 80-Prozent-Grenze, tatsächlich aber habe sie durch Schüler aus Bulgarien und Rumänien eine höhere Quote. Weiterer Frust entsteht wie berichtet dadurch, dass nicht die aktuelle Armutsquote gilt, sondern die von 2017/18.
Falls die Zulage, die erstmal nur für den Doppelhaushalt 2018/19 bewilligt wurde, anschließend wieder entfällt, würden die Lehrer ihre 300 Euro einbüßen. Anders die Erzieher: Sie bleiben in der höheren Entgeltgruppe – es sei denn, sie wechseln auf eigenen Wunsch an eine Schule, die unter der 80-Prozent-Marke liegt, erläutert Scheeres’ Sprecherin. Dann aber kommt ein weiteres Problem hinzu: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht nämlich die Gefahr, dass die Erzieher in diesem Fall sogar weniger Geld hätten als vor der Höhergruppierung - eine Befürchtung, die mit den tariflichen Stufenlaufzeiten zusammenhängt. GEW-Tarifexperte Udo Mertens spricht von einem "Desaster" und geht davon aus, dass die Personalräte die Beschäftigten "auf die Risiken hinweisen werden".
Zunächst sollten nur die Lehrer profitieren
Dass die Brennpunktzulage erst Ende Dezember 2018 formal beschlossen wurde, obwohl das Geld schon seit 1. Januar 2018 im Haushalt war, hängt mit dem komplizierten Abstimmungsprozess zwischen Koalition und Bildungsverwaltung zusammen: Die Koalition wollte zunächst eine Zulage für Brennpunktlehrer, schwenkte dann aber um und forderte stattdessen eine Stundenermäßigung. Das aber schien wegen des Lehrermangels nicht umsetzbar. So kam die Koalition wieder auf die Zulage zurück.
Zu weiteren Verzögerungen führte der nachträglich vorgetragene Wunsch der Koalition, dass auch Erzieher profitieren sollten. Das führte zu den genannten tariflichen Problemen.
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