Ehemaliges Café am Breitscheidplatz: Im Wartesaal der Talente
Wo seit 50 Jahren das Europa-Center steht, war zuvor das berühmte „Romanische Café“. Eine Erinnerung.
Ungezählte Anekdoten ranken sich um das Romanische Café am Breitscheidplatz, und nicht nur angenehme. Denn der Treffpunkt der Berliner Dichter und Literaten sowie jener, die auch dazugehören wollten, zog auch Verachtung auf sich – Verachtung der „Asphaltliteratur“, die da an den Tischen entstand, befeuert nicht nur von Kaffee. Seinen Namen verdankte es dem Umstand, dass es im „Romanischen Haus“ angesiedelt war, und zwar dem zweiten Romanischen Haus. Ein erstes gab es bereits, nur auf der anderen Seite der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.
Denn Kaiser Wilhelm II. nahm großen Einfluss auf die Gestaltung seiner preußischen und Reichs-Hauptstadt. Den Bau der Kirche im gerade erst erschlossenen Westen zur Erinnerung an seinen Großvater hatte er dem Architekten Franz Schwechten anvertraut, der spätestens mit dem Entwurf des Empfangsgebäudes des Anhalter Bahnhofs zu einem der führenden Baumeister der Epoche aufgestiegen war. Heute ist sein Werk fast vergessen. Allenfalls die Ruine der Gedächtniskirche wird mit seinem Namen in Verbindung gebracht. Schwechten war insbesondere mit der romanischen Baukunst seiner rheinischen Heimat vertraut, und für den protestantischen Kirchenbau in Preußen wurde die Neoromanik gerade modern. 1890 gewann Schwechten den Wettbewerb für die Gedächtniskirche. Noch ehe sie fertiggestellt war, wünschte der Kaiser eine Art „Romanisches Forum“ um die Kirche herum.
Erich Kästner schrieb darüber
Schwechten errichtete an den beiden spitzwinkligen Grundstücken gegenüber dem Hauptportal sowie gegenüber dem Chor jeweils ein Haus in romanischen Bauformen. Die Häuser mussten auf Wunsch des Kaisers repräsentative – damals sagte man „hochherrschaftliche“ – Wohnungen enthalten. Das zweite, an der Ecke zur Tauentzienstraße gelegene und 1901 fertiggestellte Romanische Haus erhielt im Erdgeschoss zunächst die von dem berühmten Hotel geführte „Konditorei Kaiserhof“, die aber bald darauf umgestaltet wurde und nunmehr, vom Haus abgeleitet, den Namen Romanisches Café erhielt.
Im Laufe der Zeit machten die zuvor im „Café des Westens“ am Kurfürstendamm beheimateten Literaten das Café zu ihrem Stammsitz. Zwei prachtvolle, ebenfalls in Neoromanik gehaltene Säle enthielt es, nach ihrer Stammkundschaft als „Schwimmerbecken“ und „Nichtschwimmerbecken“ benannt. Im ersten Saal verkehrten die Arrivierten, im zweiten, größeren, die Hoffnungsvollen. Erich Kästner, damals als Journalist tätig, schrieb 1928 bissig: „Das Romanische Café ist der Wartesaal der Talente. Es gibt Leute, die hier seit zwanzig Jahren, Tag für Tag, aufs Talent warten.“
1943 wurde das Café zerstört
Die Terrasse, die es bald mit Blick auf die Kirche gab, blieb der Laufkundschaft und den Touristen vorbehalten. 1906 richteten die Cafébetreiber an die Baubehörde das Gesuch, die Terrasse unter einem Zeltdach mit Glaswänden und Schiebetüren versehen zu dürfen. So entstand die geschützte Terrasse, die in den Jahren der Weimarer Republik unzählige Male fotografiert wurde. Seine Berühmtheit trugen dem Romanischen Café allerdings auch Übergriffe der Ende der 20er Jahre immer mächtigeren SA ein, die in der Ku’damm-Gegend mit provozierten Schlägereien auf sich aufmerksam machte. Das Café mit den ihnen verhassten „Asphaltliteraten“ war ein willkommenes Ziel.
Ab 1933 leerten sich die Tische, die verfolgten, vielfach jüdischen Schriftsteller gingen ins Exil, wenn sie die Möglichkeit hatten. Der verheerende Luftangriff vom 22. November 1943 machte dem Café schließlich ein Ende. Zusammen mit der Gedächtniskirche versanken die Romanischen Häuser in Schutt und Asche. Die Ruinen wurden 1954 abgetragen. Für Neoromanik hatte man damals nichts übrig; auch die Ruine der Gedächtniskirche sollte ja beseitigt werden und blieb 1956, als der Wettbewerb für die Neuerrichtung von Egon Eiermann gewonnen wurde, nur auf den Protest der Berliner Bürgerschaft hin stehen.
Das Wort Shopping Mall benutzte man noch nicht
Das Grundstück des Romanischen Cafés blieb am längsten leer. Zwischenzeitlich gastierten dort ein Zelt für Boxkämpfe und andere Rummelplatz-Attraktionen. Als unmittelbar nach dem Bau der Mauer der Unternehmer Karl H. Pepper vorschlug, dort einen Geschäftshauskomplex zu errichten, fand er die Unterstützung von Senatsbaudirektor Werner Düttmann. Pepper hatte mehrere Grundstücke in seiner Hand bündeln können, sodass ein solch großes Vorhaben überhaupt erst möglich wurde. Die Architekten des Düsseldorfer Büros Hentrich Petschnigg und Partner (HPP) wurden gewonnen, die kurz zuvor mit dem Düsseldorfer Thyssen-Hochhaus das wohl eleganteste Hochhaus der Bundesrepublik geschaffen hatten.
Das ganze, 1965 eröffnete Europa-Center ist eine Hommage an die amerikanische Architektur ihrer Zeit. Das Hochhaus ragt aus einer Einkaufspassage heraus; der Begriff der Shopping Mall war in Deutschland noch nicht gebräuchlich. Zugleich enthielt das Europa-Center mit der Eisbahn in einem der beiden offenen, später überdachten Innenhöfe eine Freizeitattraktion abseits des bloßen Konsums. Am Hochhaus mit seiner Vorhangfassade und den vertikalen Doppel-T-Trägern ist das Vorbild etwa des New Yorker Seagram Building deutlich ablesbar. Mit dem 13 Meter hohen, beständig sich drehenden Mercedes-Stern auf dem Dach des 85 Meter hohen Gebäudes erhielt West-Berlin eines seiner Wahrzeichen.
Der Artikel erscheint auf dem Ku'damm-Blog, dem Online-Magazin für die westliche Innenstadt.
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