Bikini Berlin verändert die City-West: Aufbruchsstimmung am Breitscheidplatz
Das alte Zentrum nimmt wieder Anlauf: Vor wenigen Monaten eröffnete der Zoo Palast, jetzt folgt das Bikinihaus. Wird der Breitscheidplatz zum Magneten der City-West?
Das neue Bikinihaus hat einen einzigartigen Standort: vorne das Zentrum der City West, hinten der Zoologische Garten. Nichts deutet vor dem Haus darauf hin, was dahinter alles kreucht und fleucht! In welcher europäischen Großstadt gibt es so etwas schon? Passt das überhaupt zusammen? Ja, aber nur in Berlin! Die einmalige Lage des Hauses ist Ausdruck der besonderen Geschichte einer Stadt, die erst in den Boomjahrzehnten zwischen 1880 und 1910 zur Weltstadt aufstieg und nach 1945 brutal gespalten wurde.
Die Geburtsstunde des Neuen Westens schlug 1882 mit der Eröffnung des Bahnhofs Zoologischer Garten und endete 1907 mit der Eröffnung des KaDeWe. Vor 1882 gab es am heutigen Breitscheidplatz noch keine Stadt, auch kein Dorf, wohl aber suburbane Freizeitwelten wie den bereits 1844 eröffneten Zoologischen Garten. Seit 1889 entstand schließlich der zentrale Platz des Neuen Westens, der Auguste-Viktoria-Platz – ein Unikum. Das in den 1890er Jahren errichtete „Romanische Forum“ mit der Kaiser- Wilhelm-Gedächtniskirche und zwei „Romanischen Häusern“ simulierte eine mittelalterliche Geschichte, die es an dieser Stelle nie gab. Typisch amerikanisch, würde man heute lästern. Auf alle Fälle ein städtebaulicher Fremdkörper, ein schweres, düsteres, starres und nicht gerade wirtschaftliches „Forum“, aber ein Ort mit Wiedererkennungswert, mit Profil. Und kurioserweise ein Treffpunkt des keineswegs schwerblütigen, gar nicht so konservativen, stark jüdisch geprägten Bürgertums des Neuen Westens.
Aus dem Auguste-Viktoria Park wird der Breitscheidplatz
In nur 25 Jahren war ein komplettes großstädtisches Zentrum buchstäblich aus dem Nichts entstanden – eine typische Berliner Erfolgsgeschichte. Den Zoologischen Garten hat man damals erhalten, aber hinter einem Bauwerk versteckt. Doch die Naziherrschaft beendete die Blütezeit des ersten Zentrums: sozial bereits nach 30 Jahren durch die Vertreibung und Verfolgung der jüdischen Bürger, baulich nach fast 40 Jahren durch die Bomben des Zweiten Weltkriegs.
Nach dem Krieg feierte das zerstörte Romanische Forum ein kaum glaubliches Comeback. Auferstanden aus Ruinen, aber wie! Aus dem Auguste-Viktoria- Platz wurde 1947 der Breitscheidplatz. Nichts sollte mehr an die ungeliebte Kaiserzeit erinnern. So wurde in nur zehn Jahren von 1955 an ein durch und durch modernes Zentrum hochgezogen, mit dem Herzstück am Zoo samt Bikinihaus, mit Schimmelpfeng-Haus, neuer Kirche und Europa-Center. Der schönste dieser Neubauten, das Bikinihaus, verbarg wiederum den Zoologischen Garten.
Das neue Zentrum West-Berlins war das Schaufenster des Westens schlechthin, Symbol der gespaltenen Stadt, Spiegel des Kalten Krieges. Und ein typisch sozialdemokratisches Zentrum dieser Jahre, ein wenig ruppiger als früher, weniger intellektuell, weniger bürgerlich, geschichtslos. Aber genauso starr wie einst. Und vor allem autofreundlich – mit Autotunnel vor dem Bikinihaus, mit Auto- Schnalle vor und Mercedes-Stern auf dem Europa-Center. Ein Dokument der sozial nivellierten Mittelstandsgesellschaft.
Mauerfall- Was wird aus West-Berlin?
Allerdings blieb das zweite Zentrum ein Fremdkörper in der Altbaulandschaft Charlottenburgs. Nunmehr igelte es sich sogar noch ein wenig ein – durch das Brückenbauwerk über der Kantstraße, ein schwerer städtebaulicher Fehler. Dass der Breitscheidplatz mehr ein simuliertes denn ein wirkliches Zentrum war, hat niemanden gestört. Wo gab es denn schon in Europa eine Großstadt mit einem solch radikal modernisierten Stadtkern? Eigentlich nur noch in Ost-Berlin. West-Berlin aber hatte die Nase vorn!
Was sollte jedoch nach dem Fall der Mauer aus dem Zentrum West-Berlins werden, ohne West-Berlin? Die Attraktionen in der historischen Mitte, die Verlagerung des Schwerpunktes der Berlinale an den Potsdamer Platz und die Degradierung des Bahnhofs Zoologischer Garten schrumpften das Gewicht des Breitscheidplatzes. Die Bauten aus den 1950er Jahren gerieten ins Wackeln, das Schimmelpfeng-Haus wurde abgebrochen, die Kirche bröckelte, das Bikinihaus verkümmerte. Das zweite Zentrum prosperierte gerade einmal ein Vierteljahrhundert, kürzer noch als das erste.
Auf der anderen Seite mehrten sich die Zeichen eines neuen, dritten Zentrums: Der Breitscheidplatz wurde 2006 fußgängerfreundlicher gestaltet, der Autotunnel im gleichen Jahr zugeschüttet, die Auto- Schnalle war schon 1978 verschwunden. Nach langem Hin und Her wurde der Hochhausturm Zoofenster errichtet und 2013 eröffnet – zweifellos das spektakulärste Symbol einer Neugeburt. Sein Bau holte die östliche Kantstraße aus dem städtebaulichen Hinterhof. Unübersehbar sind die Sanierungsarbeiten an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Stark verändert hat sich auch das Hinterland des Platzes, nicht zuletzt durch die neuerliche Aufwertung der Tauentzienstraße als Top-Einkaufsmeile.
Schrittweise wird modernisiert
In diesem veränderten Kontext wird das Bikini Berlin seinen Platz finden. Eine attraktive Lage, die erst durch die fußgängerfreundliche Gestaltung des Breitscheidplatzes möglich wurde. Die aber immer noch nicht optimiert ist, solange der Hardenbergplatz als Parkplatz vor sich hindümpelt. Und solange die östliche Kantstraße sich von ihrer Abschnürung noch nicht erholt hat.
Auch sozial hat sich der Breitscheidplatz verändert. Das Waldorf Astoria ist ein Luxushotel, das gastronomische Angebot differenziert sich aus. Mit dem Shopping-Konzept des Bikini Berlin wird dieser Trend fortgesetzt. Die Veränderungen am Platz werden sich beschleunigen – vor allem durch den Bau eines zweiten Hochhauses. Nicht nur West-Berlin, auch die nivellierte Mittelstandsgesellschaft wird verabschiedet.
Welche Rolle wird das alte Zentrum des Westens im wiedervereinigten Berlin spielen? Vielleicht die Rolle einer City West, wie es heute so schön heißt? Aber was ist das denn überhaupt: eine City West?
In der Tat ein merkwürdiger, nichtssagender, eigentlich unwürdiger Begriff. Denn er erklärt nichts, er weckt keine Assoziationen und ignoriert jede Geschichte des Ortes.
Baulich ist klar: Das dritte Zentrum des inzwischen Alten Westens stellt das zweite in den Schatten. Das zweite Zentrum wird aber nicht mehr komplett weggeräumt, sondern partiell modernisiert und umgenutzt, wie eben das Bikinihaus, der Zoo Palast und das Amerika Haus.
Es mangelt an kulturellem Angebot
Das künftige Zentrum des Westens kann aber nicht nur vom Shopping leben, denn der anspruchsvolle Besucher, ob Berliner oder Tourist, erwartet einen Ort mit besonderem Profil. Es braucht daher deutlich mehr Kultur – wieder eine größere Rolle bei der Berlinale, möglichst eine sichtbare Präsenz der Technischen Universität Berlin und der Universität der Künste – etwa mit einem Showroom zur Geschichte und Zukunft der Wissenschaft, einen Ort, an dem die einzigartige Geschichte des Platzes erzählt werden kann, ein Romanisches Café, das mehr bietet als einen berühmten Namen, vielleicht sogar die Ansiedlung des jüdischen Theaters, das jetzt an der Friedrichstraße ein wenig untergeht. Vor allem aber braucht es mehr öffentliche Initiative. Zwei große Aufgaben stehen auf der Tagesordnung: die Urbanisierung des Hardenbergplatzes und – noch schwieriger – des Schlüsselareals hinter dem Bahnhof ohne Riesenrad, wo jetzt noch der Busbahnhof wertvollen Boden verstellt.
Das Bikini Berlin ist ein weiterer, sehr wichtiger Schritt in Richtung drittes Zentrum – und zugleich eine Herausforderung für die öffentliche Hand.
Harald Bodenschatz ist Universitätsprofessor a. D., Assoziierter Professor am Center for Metropolitan Studies der Technischen Universität Berlin, Angehöriger des Bauhaus-Instituts für Geschichte und Theorie der Architektur und der Planung an der Bauhaus-Universität Weimar.