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Auch 1952 waren die massiven Zerstörungen aus dem Zweiten Weltkrieg noch deutlich erkennbar.
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70 Jahre nach schweren Luftangriffen: Die Nacht, in der die Uhr stehen blieb

Vor 70 Jahren lag das Berliner Zentrum in Schutt und Asche: Nach dem massiven Luftangriff der Westalliierten am Abend des 22. November waren fast 200 000 Berliner obdachlos. Zerstört wurden auch die Gedächtniskirche, der Zoo, die Museumsinsel sowie das Schloss Charlottenburg.

Die Uhrzeit des Angriffs konnten die Berliner noch jahrelang ablesen. Die Zeiger der ausgebombten Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche am östlichen Ende des Kurfürstendamms standen noch viele Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg auf 19.40 Uhr, jener Stunde, in der große Teile der Innenstadt in Schutt und Asche versanken. Und mit ihr die Menschen.

Mehr als 40 Kirchen in ganz Berlin erinnern am Freitag mit einem Gedenkläuten an die schweren Luftangriffe auf die Hauptstadt im Jahr 1943. Das viertelstündige Läuten beginnt um 19.30 Uhr zur gleichen Zeit wie die ersten Bombenabwürfe vor 70 Jahren, wie die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz am Mittwoch im Berlin ankündigte. Im Anschluss an das Läuten findet in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche am Breitscheidplatz eine Andacht statt.

764 Bomberflugzeuge flogen 1943 aus Westen kommend gegen die Reichshauptstadt. Die Piloten der Royal Air Force fanden bei ihrem Anflug ungünstige Wetterbedingungen vor. Berlin lag geschlossen unter einer Wolkendecke. Obwohl die Besatzungen Schwierigkeiten hatten, ihre Markierungen des Zielgebiets, die so genannten „Christbäume“ zu setzen, war der Einsatz für sie erfolgreich. Das Tagebuch der britischen Luftwaffe spricht vom „most effective raid on Berlin of the war“. Mehr als 175 000 Berliner wurden in dieser Nacht obdachlos. Und heimatlos. Der Schmerz über das Verlorene sollte viele Überlebende zeitlebens nicht mehr loslassen.

Augenzeugen schrecklicher Szenen

Es war die Nacht, wo zwischen dem Charlottenburger Schloss und dem Alexanderplatz mehr als 5 000 Häuser zerstört wurden. In einem davon wohnten Fitzners. Wilhelm und Käthe Fitzner, wohnhaft in der Levetzowstraße 21 gleich gegenüber der Synagoge an der Ecke zur Jagowstraße. Wilhelm und Käthe Fitzner waren zwei von Millionen von Berlinern, die einen mehrjährigen Bombenkrieg über sich ergehen lassen mussten.

Der 1891 geborene Wilhelm Fitzner hatte sich nach dem Ersten Weltkrieg in der Berliner SPD hochgearbeitet. Er hatte einen der insgesamt 34 Regierungspräsidentenposten erhalten, die im Staate Preußen zu vergeben waren. Wilhelm Fitzner war genau an seinem 41. Geburtstag seiner hohen politischen Ämter enthoben worden. Mit dem Staatsstreich Franz von Papens, der als „Preußenschlag“ in die Geschichte eingegangen ist, wurden mit dem preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun und dem Minister des Innern, Carl Severing, alle führenden SPD-Politiker ihrer Ämter enthoben.

Wilhelm Fitzner schlug sich nach 1933 als Steuerberater durch. Er hatte zwei Söhne aus erster Ehe, die mit ihm und seiner Frau Käthe eine Fünf-Zimmer-Wohnung im dritten Stock im Vorderhaus der Moabiter Levetzowstraße bewohnten. Die Ehe war überschattet vom Alltag. Fitzner hatte bereits 1933 im Columbiahaus eingesessen, einem der ersten „wilden“ Konzentrationslager gegenüber dem Flughafen Tempelhof.

Fitzner hatte Angst. Die war berechtigt. Warum er Deutschland nicht verlassen hat, wissen wir nicht. Das Unglück verschärfte sich. Ab 1941 wurden Fitzners Augen- und Ohrenzeugen der ersten Deportationen der Berliner Juden. Fitzners beobachteten die schrecklichen Szenen von ihrem Balkon aus. Mitten in der Stadt. Für jeden sichtbar und von jedem sichtbar. Es werden kaum die einzigen beiden gewesen sein, die beobachtet haben, wie SS-Einheiten auch Frauen und Kinder auf wartende Lastwagen prügelten und zu Eile anhielten. Das geschah in der Regel in den späten Abendstunden und in den frühen Morgenstunden.

Die ersten Bomben fallen 1940

Gesehen haben es diese beiden Berliner in jedem Falle. Doch nicht lange. Wilhelm sorgte dafür, dass beide rasch ins Haus zurückkehrten. Er hatte schnell das Licht gelöscht. Käthe war da weniger vorsichtig, vielleicht auch weniger ängstlich als er, wenn es darum ging, das Leid zu erfassen, das anderen entgegenschlug. Sie hat später viel davon berichtet. Das lehrte mehr als jedes Geschichtsbuch. Aber sie hatte trotzdem auch Angst. Diese Angst lähmte sie so, dass sie niemanden hat helfen können. Wer kann, wer möchte da richten? Sie hat sich mit dem mutigen Bekenntnis, ihr Fehlen zugegeben zu haben, auch selbst angeklagt. Und sie hat diese Last bis zu ihrem Tod im Jahre 1990 getragen.

Doch selbst in der Zeit der beginnenden Deportationen war die Wohnung noch ein Refugium. Durch die aufgehobenen demokratischen Grundrechte jederzeit von außen bedroht, bot sie noch eine scheinbare Rückzugsmöglichkeit. Noch gab es eine existente bürgerliche Welt. Noch stand im Salon ein Flügel. Es gab Saffianledermöbel, Sofa und Sessel. Ziegenleder konnte sich nicht jeder leisten. Im Buffet stand aufgeschichtet Porzellan von Rosenthal, es gab eine Bibliothek. Bis in den Krieg hinein wurde das Mädchenzimmer noch von einem Dienstmädchen bewohnt.

Die ersten Bomben waren schon im August 1940 auf Berlin gefallen. Die ersten Toten von insgesamt 55 000 Luftkriegstoten allein in Berlin waren unweit des Kottbusser Tors im Südosten der Innenstadt zu beklagen. Flächendeckend waren bis November 1943 auch schon einige Straßenzüge im eleganten Bayerischen Viertel vernichtet worden. Die Umgebung um das Schöneberger Rathaus hatte bereits im Frühjahr 1943 erste Schäden davongetragen. In dieser Zeit fuhren die Berliner in die ersten zertrümmerten Straßen ihrer Heimatstadt. Man wollte sonntags die aufgerissenen Häuser bestaunen, ohne zu ahnen, dass man bald selbst an die Reihe kommen sollte. Die Kinder sammelten Bomben- und Granatensplitter. Es war ein schaurig-vergnüglicher Bombentourismus. Man gab sich den Anschein eines geregelten und kontrollierten Alltags. Und doch ahnte man vielleicht, dass dieser Alltag längst anderen Gesetzen folgte als dem eigenen Willen.

Zuflucht im Luftschutzkeller

Denn nun wurden die Berliner hellhörig. Und misstrauisch. Nach dem anfänglichen Bombentourismus wurden spätestens ab Sommer 1943 die ersten Kisten und Koffer gepackt. Man hatte begonnen, Entbehrliches, Ererbtes und Erworbenes auszulagern. Gleich den großen Museen, Sammlungen und Schlössern wurden wichtigste Stücke wie Tisch- und Bettwäsche, Porzellane, das Familiensilber und mancherlei Wäschestück aus der Stadt hinausgebracht. Nach Potsdam und nach Pommern, vieles wurde in der Stadt unter den Kohlen versteckt.

Am Abend des 22. November 1943 wurde Vollalarm gegeben. Die Hausgemeinschaft suchte den Luftschutzkeller im Hause auf. Als die Mieter nach der Entwarnung die Kellerräume verließ, rief der Blockwart: „21 brennt“. Der Funkenflug hatte das bis unmittelbar nach dem Ende des Angriffs unbeschädigte Haus entzündet. Vielleicht war auch direkt eine Brandbombe eingeschlagen. Die Mieter der oberen Etagen hatten nach Einschätzung des Blockwarts noch etwa eine Viertelstunde Zeit, in die Wohnungen hinauf zu gehen, um das eine oder andere an Hausrat zu bergen.

Wilhelm Fitzner hatte völlig den Kopf verloren. Sein bürgerliches Refugium zerbrach nun vollends. Anhand einer irgendwo im Chaos ergatterten Wäscheleine versuchte er, vier Esszimmerstühle vom Balkon des dritten Stocks auf die Straße niederzulassen. Ein hilfloser und bestürzender Versuch, eine Welt zu retten, die längst implodiert war. Um ihn selbst nicht zu gefährden, sorgten Sohn und Ehefrau dafür, dass er sicher auf die Straße kam und warten sollte. Was war jetzt zu tun? Was war zu bergen? Käthe Fitzner und ihr Stiefsohn standen vor einer schwierigen Aufgabe. Zunächst gelang es, eine Eichentruhe aus dem Korridor nach unten zu schaffen. Vorsorglich war hier drinnen schon ein Wesentliches an Papieren und Dokumenten und möglicherweise an anderem Wichtigen zusammengestellt worden.

Die Nacht, in der die Gedächtniskirche brannte

Beide kamen mit dieser letzten Habe – Betten, Lebensmittel und Wintermäntel – heil und unten auf der Straße an. Mittlerweile hatte sich der Funkenflug erheblich gesteigert. In der Levetzowstraße brannten nun verschiedene Häuser, die gar nicht von den Bomben getroffen worden waren. Die durch den Luftdruck aus den Angeln gehobenen Haus- und Hoftüren, die zerbrochenen Fensterkreuze und -scheiben ließen einen Luftzug durch. Die zerrissenen Gardinen entzündeten sich darin. Nun verbrannten die Salons und die Schlafzimmer der Fitzners. Alles perdu. Der Flügel, die Lederfauteuils, Bücher und Porzellan, das Kristall. Um zu trauern, war keine Zeit.

Es war auch die Nacht, wo die Gedächtniskirche brannte. Die Journalistin Ursula Kardoff (1911-1988) notierte in ihrem Tagebuch. „Wir gingen auf den Kurfürstendamm. Die Gedächtniskirche eine leuchtende Brandfackel. Zum erstenmal wirkte sie wie ein romanischer Bau. Rund um die Gedächtniskirche hatten andere Gewalten die Lichtreklame angezündet als in den Zeiten der Vergnügungen. Es schien, als brenne der ganze Platz. Das Romanische Café, längst schon entseelt, seit die Nazis es seiner Bohème-Tradition beraubten, brannte auch.“

Es war die Nacht, wo der Zoo umgepflügt worden war. In dieser und in der nachfolgenden, noch schwereren Nacht wurde das Aquarium zertrümmert. Vier leblose Krokodile versperrten einer Tierärztin den Weg. Wenn die Krokodile nicht vom Luftdruck getötet worden waren, so war es die herbstliche Kälte. Das Elefantenhaus brannte aus, ebenso das Direktor-Wohnhaus. Das Restaurant und das Antilopenhaus waren dem Erdboden gleichgemacht. Unter den toten und verbrannten Tieren waren allein sieben Elefanten und ein Giraffenpaar.

Berliner Zentrum geht in Flammen auf

Es war die Nacht als in der Oranienburger Straße in Mitte die Synagoge brannte. Das Gotteshaus hatte dank mutigen Eingreifens eines protestantischen Polizisten und seiner Mannschaft die Brandstiftung in der Pogromnacht am 9. November 1938 überstanden.

Es war die Nacht, in der das Schloss Charlottenburg brannte. Die Goldene Galerie, der Eichensaal, die Wohnräume der preußischen Königinnen wurden ein Raub der Flamme. Es versanken der Schinkel-Pavillon und das Belvedere.

Es war die Nacht, in der es auf der Museumsinsel brannte. Das Neue Museum, in dem bis 1939 die Ägyptische Sammlung mit der berühmten Büste der Nofretete untergebracht war, war in Schutt und Asche gelegt worden. Und es brannte Unter den Linden. Das alte Palais, in dem sich Kaiser Wilhelm I. am historischen Eckfenster bis zu seinem Tod 1888 gezeigt hatte, brannte. Und die „Linden“ runter zum Brandenburger Tor war eine Luftmine in den Fahrstuhlschacht des Hotels Bristol gefallen und im Keller explodiert. Mehr als 200 Tote waren zu beklagen. Nebenan gab es Schäden an der geschlossenen sowjetischen Botschaft.

Es war die Nacht wo zwischen Kurfürstendamm und Friedrichstadt die Hotels zerstört wurden. Der „Kaiserhof" war perdu, auch das „Eden“ in der Budapester Straße. Hier gab es den berühmten 5-Uhr-Tanztee in der Weimarer Republik, hier aber auch war Rosa Luxemburg heimtückisch im Januar 1919 ermordet worden.

Treffer hatten nahezu alle Botschaften im Tiergartenviertel erhalten, es brannte am Lützowplatz und im „Haus Vaterland“ am Potsdamer Platz. Berühmt war dort das künstliche Gewitter auf den „Rheinterrassen“. Es hieß im alten Berlin, „Haus Vaterland machts gründlich – im Haus Vaterland gewitterts stündlich“. Das letzte Gewitter riss die Rheinterrassen in die Tiefe, symbolisch für Deutschland verbrannten die anderen Säle, die mit regionalen deutschen Attributen ausgestattet waren. Und gegenüber stand das ehemals jüdische Warenhaus Wertheim am Leipziger Platz in Flammen. Und überhaupt die Leipziger Straße. Dort hatten Fitzners eingekauft. Teppiche bei Herpich, einen Pelz bei Sala unweit vom Postmuseum. Alles verloren.

Der Wunsch nach Versöhnung

Es war die Nacht, in der die große Künstlerin Käthe Kollwitz in der Weißenburger Straße 25 im Prenzlauer Berg ihr Zuhause verlor. Sie war in dieser Nacht nicht in Berlin. Aus der Ferne versuchte sie zu erfahren, was geschehen war. Sie konnte es sich nicht vorstellen, dass es die Welt, die sie in ihrem Kopf und in ihrem Herzen trug, nicht mehr gab. Käthe Kollwitz schrieb an ihre Kinder vom thüringischen Nordhausen eine Woche später. „Liebe Kinder.. ja – es hat mich zuerst hart getroffen. Es war ja meine Heimat seit über 50 Jahren. Aus diesen Stuben sind fünf Menschen, so geliebte Menschen für immer fortgegangen. Erinnerungen füllten alle Räume. Und doch Hans, Du hast recht, das Einzelschicksal reiht sich ein in das Schicksal von Tausenden… Es ist ein grenzenloser Zusammenbruch.“ Die Kollwitz war traurig. Diese Traurigkeit hat bis in die heutige Zeit hinein viele der Menschen nicht verlassen, die ihr Erworbenes und ihr Ererbtes verloren hatten. Und mehr noch. Die Kollwitz, die Kardoff und auch Fitzner spürten ein weiteres. Es war nicht die Rache gegenüber den feindlichen Armeen, es war über das persönlich Verlorene hinaus der Verlust an nationaler Kultur, der Verlust an Grundwerten und Idealen. Auch daraus entstanden später der Wunsch nach Verzeihung und Versöhnung. Und der persönliche Wunsch, nicht ein neues Leben zu beginnen, sondern mit dem Wissen um das Geschehene weiter zu leben.

Es war die Nacht, in der Erich Kästner ausgebombt wurde. Er verlor seine viertausendbändige Bibliothek. Auch er stand vor dem Nichts und der unendlichen Traurigkeit. Er prägte – und noch in der Not ist Kästner Kästner – das Bonmot: „Eine Wohnung ohne Schlüssel – das ist peinlich. Aber ein Schlüssel ohne Wohnung – das ist unangenehm.“

Berlin überstand bis zum 2. Mai 1945 insgesamt 363 registrierte Luftangriffe. 500 000 Tonnen Bomben – etwas mehr als ein Drittel der gesamten tödlichen Last, die auf das Reichsgebiet niedergegangen war – verwandelten Berlin in das größte zusammenhängende Trümmerfeld Europas. Der Schutt hätte 7,5 Millionen Eisenbahnwaggons füllen können. 612 000 Wohnungen wurden zerstört. Bertolt Brecht entgegnete nach seiner Rückkehr aus dem amerikanischen Exil, was Berlin für ihn bedeute, mit der Gegenfrage: „Berlin? Was ist das? Ach ja, es ist der große Trümmerhaufen bei Potsdam.“ (mit KNA)

Volker Wagner

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