Flüchtlinge in Berlin-Wilmersdorf: Der Besuch der alten Damen
Kaum jemand kann Flüchtlinge in Deutschland so gut verstehen wie Bürger, die Ähnliches im Zweiten Weltkrieg durchmachen mussten. Das zeigten zwei generationenübergreifende Treffen.
Die beiden Seniorinnen wissen, wie sich Flüchtlinge fühlen – schließlich gehörten sie einst selbst dazu. Während des Zweiten Weltkriegs floh die heute 85-jährige Hildegard Budtke aus Schlesien, begleitet von ihrer Mutter und nur mit den nötigsten Dingen auf einem Handwagen. „Ich dachte, wir könnten irgendwann wieder nach Hause“, erinnert sie sich. Doch diese Hoffnung trog.
Anita Reimann (96) irrte mit ihrer Mutter und Tochter monatelang obdachlos durch Berlin, nachdem eine Bombe das Haus der Familie zerstört hatte. Heute sagt sie: „Am liebsten würde ich ein Bett für Flüchtlinge zur Verfügung stellen, aber ich habe ja nur eine kleine Seniorenwohnung.“
Verein „Freunde alter Menschen“ stellte den Kontakt her
Zwei Mal haben sich die alten Damen nun mit der sechsköpfigen Flüchtlingsfamilie Muaad aus dem Irak getroffen – zuerst im Oktober in der Notunterkunft im Rathaus Wilmersdorf und dann, weil man sich gut verstand, ein paar Wochen später in Kreuzberg beim Verein „Freunde alter Menschen“. Dieser vermittelt Besuchspartnerschaften zwischen jungen und alten Menschen und hatte den „Internationalen Tag der älteren Generation“ als Anlass für die erste Begegnung gewählt. Daran nahmen auch der Staatssekretär für Flüchtlingsfragen, Dieter Glietsch, und Berlins frühere Ausländerbeauftragte Barbara John teil.
Rasch zeigten sich Gemeinsamkeiten zwischen den einstigen und jetzigen Flüchtlingen. Sowohl Hildegard Budtke als auch der 50-jährige Vater aus der Familie Muaad erzählten von der Hilfe unter Betroffenen, aber auch von schlechter Behandlung durch manche andere Menschen. So mussten sich Budtke und ihre Mutter einst auf dem Gut eines Bauern, auf das Behörden sie eingewiesen hatten, von selbstgesammelten Kartoffelresten, Beeren und Pilzen ernähren; der Landwirt verfütterte sein Getreide lieber ans Vieh.
Die irakische Familie berichtete von „harter Behandlung“ in Ungarn, man habe auch gesehen, wie andere Flüchtlinge von Sicherheitsleuten geschlagen wurden.
Folter und Bomben im Irak
Durch Fernsehfilme über den Zweiten Weltkrieg hatten die Muaads bereits vor einigen Jahren im Irak vom einstigen Flüchtlingselend unter Deutschen erfahren. Dass es sie selbst einmal treffen würde, ahnten sie damals nicht. Der Vater war 35 Jahre lang Beamter. Aber nach dem Sturz des Staatschefs Saddam Hussein wurde er geschlagen und gefoltert, er hat jetzt eine künstliche Hüfte. Die nordirakische Heimatstadt wurde abwechselnd von der Armee und der Terrormiliz IS angegriffen, einmal traf eine Bombe das Wohnhaus.
Fast wäre die Familie ertrunken
Die Flucht mit vier Söhnen im Alter von 13 bis 18 Jahren führte zunächst in die Türkei, wo Schlepper 8000 Euro für die Überfahrt nach Griechenland verlangten. Die Muaads verkauften alles, was sie hatten; Geld kam auch von Verwandten. Berlin war das Ziel, weil die Schwester der Mutter schon hier lebt.
Doch das Boot, auf dem rund auch rund 50 Syrer waren, kenterte. Fünf Stunden lang trieb die Familie nachts in Todesangst nahe der griechischen Küste im Wasser, bis Retter kamen. Seine Mutter hasse jetzt das Meer, sagt einer der Söhne. Trotzdem ging es noch per Schiff weiter nach Mazedonien, dann war das Geld alle und man musste nach Ungarn laufen.
Endlich in Sicherheit
Barbara John fragte die Familie, ob irgendwann einmal eine Rückkehr in den Irak denkbar sei. Eigentlich würde man gerne wieder in die Heimat, sagten die Eltern, aber auf absehbare Zeit sei „das Chaos zu groß“. In Deutschland fühle man sich endlich sicher. Jetzt wollen die Muaads erst einmal die deutsche Sprache lernen, einer der Söhne möchte hier sein Biologiestudium fortsetzen.