Jugendamt Steglitz-Zehlendorf: Berlin prüft Pflegeeltern für junge Flüchtlinge
Tausende unbegleitete Minderjährige sind in der Hauptstadt und suchen einen Vormund. Die Behörden prüfen, ob Berliner Jugendliche auch privat aufnehmen könnten.. Lesen Sie dazu auch das große Interview mit Grünen-Stadträtin Christa Markl-Vieto. Seitdem gibt es aber schon viele neue Entwicklungen.
Mit der steigenden Zahl von Asylbewerbern in Berlin nimmt auch die Anzahl von Jugendlichen zu, die ohne Eltern und oft auf sich allein gestellt die Stadt erreichen. Es kamen 2015 schon mehr als 1000 Jugendliche, meist 16 bis 17 Jahre alt und männlich, aus Syrien, Afghanistan, vom Balkan und aus den früheren Sowjetrepubliken, aus Afrika, viele traumatisiert mit langer, schrecklicher Fluchtgeschichte.
Bis zu 3000 insgesamt werden laut Jugendverwaltung in diesem Jahr erwartet, allein seit Juli 2015 habe sich die Zahl im Vergleich zum Juni verdoppelt. Allein im Juni kamen 165 unbegleitete Minderjährige nach Berlin, im Juli waren es schon 326 junge Menschen. Oft legte die Familie für eine bessere Zukunft zusammen – oder die Eltern sind vermisst oder tot oder es haben sich alle verloren. Die Minderjährigen haben einen gesetzlichen Anspruch auf einen Vormund – doch den können die Behörden kaum erfüllen.
Kriterien für Pflegeeltern werden gerade entwickelt
Weil die Jugendhilfeeinrichtungen aus allen Nähten platzen, werden jetzt sogar geprüft, ob Berliner als Pflegeeltern die jungen Flüchtlinge zuhause aufnehmen könnten. Kriterien werden entwickelt. Und ausgerechnet jetzt war seit Jahresbeginn die EU-Förderung für das erfahrene Berliner Netzwerk „Akinda“ für die Ausbildung und Betreuung von Einzelvormundschaften zum großen Teil ausgelaufen. Das Projekt ist seit Mitte Oktober gerettet,
Die Bundesregierung spricht in einer aktuellen Drucksache über die Qualifikation von ehrenamtlichen Vormündern davon, dass in Berlin "das Netzwerk Einzelvormundschaften Berlin - Akinda' die Qualifikation der durch die vermittelten ehrenamtlichen Vormünder sicherstellt".
Jugendverwaltung half "Akinda"
Doch plötzlich ging alles ganz schnell: Nach Tagesspiegel-Recherchen teilte die Senatsjugendverwaltung nun mit, man werde prüfen, welche „finanziellen Ressourcen aus dem Landeshaushalt beigesteuert werden können“. Die Mittel gab es dann je zur Hälfte vom Senat und aus EU-Mitteln, teilte die Senatsjugendverwaltung am 17. Oktober mit. Der Bezirk Steglitz-Zehlendorf prüfe derzeit, ob eine Kooperation mit Akinda auch finanziell, allein oder auf dem Wege einer gemeinsamen Finanzierung durch alle Bezirke, realisiert werden kann.
Bei Akinda hieß es vor der Finanzzusage, man hoffe dringend darauf, denn fast 400 Interessenten stehen bereits auf einer Warteliste, um sich schulen zu lassen. Die Akinda-Koordinatorinnen könnten wieder anfangen, neue Ehrenamtliche peu à peu auszubilden, zu vermitteln und während der Tätigkeit zu betreuen - allein die notwendigen finanziellen Mittel fehlen.
Vormund zu sein, bedeutet aber nun nicht, dass man den Jugendlichen auch zuhause aufnimmt oder nehmen muss. Die Kinder und Jugendlichen sind im Normalfall in Jugendhilfeeinrichtungen unter gebracht, wo sie sozialpädagogisch betreut werden. Sie wohnen nicht bei ihren ehrenamtlichen Vormündern.
Wenn ein junger Mensch allein in Berlin ankommt, erkundet zunächst die Erstaufnahmestelle für junge Flüchtlinge in Steglitz-Zehlendorf, ob Eltern oder Erziehungsberechtigte ausfindig gemacht werden können.
Anspruch auf Vormünder
Wenn nicht, haben minderjährige unbegleitete Flüchtlinge nach dem Bundesgesetzbuch Anspruch auf Vormünder, die Ämtergänge im Blick haben, Hilfe bei Schulproblemen geben, aber auch Rat bei persönlichen Problemen vermitteln. Und einfach beim Ankommen in einer fremden Welt helfen.
Diese Aufgabe übernehmen Amtsvormünder beim stellvertretend für alle Berliner Bezirke tätigen Jugendamt in Steglitz-Zehlendorf, und es tun auch die rund 50 aktiven, qualifizierten Ehrenamtliche von „Akinda“. Berufsvormünder werden von den Berliner Familiengerichten kaum angefragt, sie sind zu teuer.
Die Zahl der Inobhutnahmen minderjähriger Flüchtlinge, die in Deutschland auf sich allein gestellt sind, hat sich schon von 2010 mit 2882 auf 6584 im Jahr 2013 mehr als verdoppelt. Auch in Berlin ist die Tendenz weiter steigend, sagt die Staatssekretärin Sigrid Klebba von der Jugendverwaltung. Waren es 2010 noch 651 Flüchtlinge allein, so kamen 2015 bis Ende Juli schon 1054.
Mehr als 200 in der Warteschlange
Das zeigen auch die Zahlen vom Jugendamt Steglitz-Zehlendorf. Zum 31. Juli waren berlinweit insgesamt 333 Mündel unter 18 Jahren für eine Vormundschaft erfasst, Ende August waren es schon über 400. Doch laut den Vorgaben dürften die fünf Fachleute mit ihren 4,3 Stellen eigentlich nur je 50 Mündel betreuen – in der Praxis sind es weit mehr, die Leistungen sind kaum zu erbringen.
Laut dem stellvertretenden Jugendamtsleiter Oliver Gulitz bräuchte Steglitz-Zehlendorf noch drei zusätzliche Stellen, um weitere 150 Jugendliche betreuen zu können; mehr als 200 sind schon für die allernächste Zukunft in der Warteschlange.
Mittel für den Bezirk fehlen
Das sagte Gulitz am Montag – am Dienstag waren es wegen der steigenden Zahlen und der aktuellsten August-Auswertung schon fünf benötigte Stellen. „Es kann nicht sein, dass das Lageso mehr Personal bekommt, aber wir am Rande der Arbeitsfähigkeit sind“, sagt Grünen-Stadträtin Christa Markl-Vieto. Sie warnt auch vor einem "Fiasko".
Sie brauche auch Mittel für die Erstaufnahmestelle, sie könne nochmal so viele Jugendliche aufnehmen. Derzeit können 60 Jugendliche in der Erstaufnahmestelle aufgenommen werden. Und das Jugendamt Steglitz-Zehlendorf bittet nun in Kooperation mit allen Bezirken Berliner, minderjährige unbegleitete Asylbeweber bei sich zuhause aufzunehmen. Interessenten sollen intensiv, aber rasch überprüft werden. Mit der Übernahme einer Vormundschaft hat die Aufnahme zuhause aber nichts zu tun, beides sind unterschiedliche Hilfsangebote - jeder Berliner kann generell einen jungen Flüchtling zuhause aufnehmen, wenn er die Voraussetzungen des Jugendamtes dafür erfüllt.
Ein erweitertes Führungszeugnis ist Pflicht, der Wille zur Kooperation Voraussetzung, pädagogische Grundhaltungen werden abgefragt, räumliche Voraussetzungen geprüft. Aber auch potenzielle ehrenamtliche Vormünder mögen sich weiter melden.
Ehrenamtlich Vormund sein? Bei Interesse bitte eine Mail ans Bezirksamt senden: jugendamt-muf@ba-sz.berlin.de. Wer einen jungen Flüchtling aufnehmen möchte, möge sich bitte an das Jugendamtes seines Bezirks wenden.
"Akinda - Netzwerk Einzelvormundschaften" braucht immer dringend Spenden. Interessenten für das Ehrenamt gibt es bei dem Netzwerk derzeit genug, die Mittel für die Qualifizierung etwa in rechtlichen Fragen der Ehrenamtlichen, für die Vermittlung und die Betreuung während der anspruchsvollen Tätigkeit können aber nie genug sein. Auch potenzielle Einzelspender können unterstützen, wer Geld geben will, erfährt mehr unter www.betterplace.org/p67