Debatte um Hochhaus am Bahnhof Zoo: Architektur in Berlin: Posemuckel lebt
Der Vorschlag für ein weiteres Hochhaus am Hardenbergplatz findet wenig positive Resonanz – die Stadt hat anscheinend zunehmend ein Problem mit architektonischen Grenzüberschreitungen, meint unser Autor.
Wer Visionen haben will, sollte zum Architekten gehen. Sogar für Berlin wird er dort ein paar fulminante Entwürfe erhalten, große, zukunftsträchtige Ideen, die von den verantwortlichen Bedenkenträger dann nach und nach auf null gebracht werden. Vor allem das Hochhaus – definiert als zumindest erkennbar oberhalb der Berliner Traufhöhe endend – ist immer noch ein Problemfall. Es wird offenbar stellvertretend für seine weltweit verrufenen Bewohner geprügelt, die Investmentbanker und Hedgefondsmanager, die ihre Teufeleien ungern unterhalb des 40. Stockwerks austüfteln.
Seelenlose Bankenarchitektur!
Entsprechend schmallippig reagierten die theoretisch zuständigen Instanzen deshalb auf den eigensinnigen Vorstoß der AG City, die sich vom Architekten Christoph Langhof einen 209 Meter hohen Wolkenkratzer für den Hardenbergplatz zeichnen ließ. „Anregender Vorstoß“ hätte man ohne jegliches Präjudiz sagen können, oder „gut, dass die AG City eigene Impulse setzen möchte“. Statt dessen kam das Übliche: „Kein historischer Bezug“, mault der Baustadtrat, bei Bausenator Müller sind sie verärgert und die Senatskanzlei will gar nicht kommentieren. Da könnte ja jeder kommen. Und schnell machten sich auch Kritiker bemerkbar, die um die Besonnung der empfindlichen Zoo-Elefanten fürchteten.
Immerhin ist die West-City ja grad dabei, sich so etwas wie eine Skyline zuzulegen. Der Upper-West-Neubau wird bald zusammen mit dem Waldorf-Astoria die Berliner Twin Towers darstellen. Und auch das von Kleihues entworfene KapHag-Haus am Kantdreieck, das einst auf Betreiben der Baustadträtin vom eleganten Blickfang zum untersetzten Vollpfosten gestutzt wurde, könnte wieder wachsen. Immerhin wird über eine Aufstockung auf die ursprünglich geplante Höhe ernsthaft diskutiert, das allerdings auch schon seit 2008 – mögliche Investoren warten offenbar immer noch entspannt ab, was hier geht und was nicht.
Corbusier-Haus, Hansaviertel, Karl-Marx-Allee
Berlin war schon mal offener für visionäre Architektur. Mitten im Grünen einen weithin sichtbaren Wohnblock aufrichten, der dem Vogelzug im Weg steht, Schatten auf wertvolle Biotope wirft und die Durchlüftung der Stadt gefährdet? Auf solche Ideen kam einfach niemand, als 1957 das Corbusier-Haus gebaut wurde. Und auch das Hansaviertel kam zur richtigen Zeit und zeigte zukunftsweisenden Wohnungsbau, ohne dass gravierende Einwände laut wurden.
In Ost-Berlin entstand in dieser Zeit, selbstverständlich undebattiert, die Stalinallee, wuchtige Zuckerbäckerei mit eingebautem Machtanspruch – heute als Unikat einer untergegangenen Epoche geschützt und akzeptiert. Allerdings griff später im Westteil auch niemand ein, als die brachialen Sozialwohnungsbauten am Mehringplatz oder Kottbusser Tor geplant wurden, denn Wohnungsbau genoss absoluten Vorrang und wurde so hoch subventioniert, dass sogar ein leicht irres Projekt wie die Schmargendorfer Autobahnüberbauung realisiert wurde.
Entgleisungen und behutsame Stadtreparatur
Solche Entgleisungen waren es schließlich, die die Idee von der „behutsamen Stadtreparatur“ quasi zur Berliner Staatsphilosophie beförderten. Diese Idee begann einst als Grundgerüst zur Rettung Kreuzbergs, wirkt aber auch heute noch, wo es doch langsam einmal wieder darum ginge, Visionen zu fördern. „Posemuckel“ war das Stichwort, als Daimler-Benz pikiert das futuristische „Grand Design“ von Richard Rogers ins Gespräch brachte gegen den siegreichen Entwurf von Hilmer/Sattler, der als „Niveau der Müllerstraße“ verhöhnt wurde. Posemuckel setzte sich durch – doch heute will es niemand mehr gewesen sein, die Zahl seiner Freunde schwindet von Jahr zu Jahr. Die Müllerstraße hat zwar nicht gesiegt, wird aber schulterzuckend hingenommen und beim nächsten Objekt gleich präventiv miteingebaut, das zeigt auch die demonstrativ retrospektive Antimoderne des Humboldt-Forums; zu größeren Würfen ist Berlin scheinbar nicht fähig. Wer zum Beispiel mal als Blickfang ein größeres Wasserbecken konzipiert, tut das auf eigenes Risiko: Wer soll denn so was sauberhalten?
Manchmal bringt ein neues Projekt quasi wie ein Katalysator Schwung in die Debatte, beispielsweise als das Riesenrad hinter dem Bahnhof Zoo die Fantasie der Planer beflügelte. Mit dessen Absturz aber waren dann auch die Ideen Makulatur. Glatt durch gehen eigentlich nur noch Großentwürfe, die versprechen, alles beim Alten zu belassen, wie es beim Bikini-Haus geschah.
So geht es nun weiter. Wer mochte, der konnte ein leises Aufseufzen quer durch die Stadt hören, als die Volksabstimmung über das Tempelhofer Felds auch gleich den Wettbewerb für die neue Stadtbibliothek abräumte, der schon wie ein Wiedergänger der lähmenden Großdebatten wirkte. Wer nichts wagt, der kann auch nichts verlieren, so einfach ist das. Wie absurd bisweilen in Berlin argumentiert wurde, um fundierte und sinnvolle Planungen aus dem Weg zu schießen, daran erinnert Hermann Rudolph in seinem gerade erschienenen Buch „Berlin – Wiedergeburt einer Stadt“: Als der Tunnelkomplex unter dem Tiergarten geplant wurde, bildete sich ein keineswegs einflussarmes Bündnis, das befürchtete, der Bau werde „den Tiergarten austrocknen und in eine Sahara-ähnliche Wüstenei verwandeln“; seriöse Planer sagten der Stadt den kompletten Verkehrskollaps für den Fall voraus, dass die Autos aus dem Tunnel auf die schon vorhandenen Straßen treffen. Was sie bis heute kollapsfrei tun.
Vorauseilender Phantomschmerz
Weltweit beachtete Beispiele der Architektur des 21.Jahrhunderts wird man also nicht finden in einer Stadt, die schon bei der Ankündigung, die Neue Nationalgalerie müsse umfassend saniert werden, eine Art vorauseilenden Phantomschmerz entwickelt. So furchtbar viele moderne Ikonen dieser Güteklasse besitzen wir nicht, und die, die es gibt, werden nicht so geschätzt, wie sie es verdient hätten.
So ist zum Beispiel die Humboldt-Bibliothek in Tegel, die Charles Moore zur IBA 1984/87 entworfen hatte, aus der Hauptblickrichtung einfach entfernt worden. Die Johanniter haben ein Seniorenheim in kostengünstig gerasterter Wegwerfarchitektur davorgesetzt, das dem Betrachter in Gestalt von Mülltonnen und einer vergitterten Fluchttreppe offensiv den Stinkefinger zeigt. Ähnlich vergeigt wurde die Umgebung des Hauptbahnhofs, bei der wir uns angewöhnt haben, jedes frisch eröffnete Gebäude dafür zu loben, dass es zumindest nicht so schlecht sei wie jenes berüchtigte Hostel, das zur Eröffnung dieses Stadtquartiers hingemörtelt wurde.
Von der Shopping-Architektur ist die Erlösung auch nicht zu erwarten. Das untere Ende der Skala markiert das Alexa am Alexanderplatz, das sogar vom irgendwie oberverantwortlichen Klaus Wowereit als scheußlicher Klotz kritisiert wurde. Und nicht sehr viel weiter oben steht in den Augen der professionellen Architekturkritiker die „Mall of Berlin“ am Leipziger Platz, die als einfallslose Zweckarchitektur mit den üblichen Gestaltungsmitteln kritisiert wurde. Manchen Projekten würde man also sogar wünschen, dass sie in die Mühlen der typischen Berliner Endlos-Debatten geraten.
- Der Artikel erscheint auf dem Ku'damm-Blog, dem Online-Magazin für die westliche Innenstadt.