Friedrichshain-Kreuzberg: Bezirk stoppt Verkauf von Wohnungen
Friedrichshain-Kreuzberg hat sein kommunales Vorkaufsrecht ausgeübt, weil Spekulation drohte. Ein Präzedenzfall, sagen die Grünen. Jetzt folgt wahrscheinlich ein Rechtsstreit.
In der Berliner Innenstadt sind Mieterhöhungen und Verdrängung aus dem Kiez ein Dauerthema. Immobilienfirmen aus aller Welt treiben die Preise für schlichte Altbauten teilweise in astronomische Höhen, am Ende sollen Mieter die Zeche zahlen, oder Anleger, die ihr Erspartes in Betongold ummünzen wollen. Für rund 30 Mieter in der Wrangelstraße 66 in Kreuzberg hat die Spekulationsspirale nun ein vorläufiges Ende gefunden. Sie wurden vom Bezirk gewissermaßen rausgekauft, das Haus soll in „Gemeingut“ umgewandelt werden. Ein einmaliger Fall in Berlin, ein „Präzedenzfall“, sagen die Grünen und fordern jetzt, daraus einen Modellfall zu machen.
Die Beteiligten halten sich mit Details noch zurück. Rein formal hat der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sein Vorkaufsrecht im Milieuschutzgebiet geltend gemacht, zugunsten Dritter, in diesem Fall der Wohnungsbaugesellschaft Gewobag. Zusätzlich soll eine Stiftung als Kooperationspartner auftreten, um eine Million Euro vom Kaufpreis, der bei 3,7 Millionen Euro liegt, zu finanzieren. Es soll sich um die Stiftung Umverteilen handeln, die ebenfalls im Kreuzberger Kiez verankert ist. Der Eigentümer des Hauses, eine Luxemburger Immobilienfirma, kann gegen die Entscheidung des Bezirks Widerspruch einlegen und anschließend klagen. Eine Anfrage an die Kanzlei, die das Immobilienunternehmen vertritt, blieb ohne Antwort.
Vorbilder sind München und Hamburg
„In dem Haus befinden sich 30 Wohnungen, deren Bewohner verhältnismäßig günstige Mieten zahlen. Durch den geplanten Verkauf aller Wohnungen bestand der dringende Verdacht, dass das Gebäude zum Objekt von Spekulation wird“, sagt Baustadtrat Hans Panhoff (Grüne), der die Verhandlungen geführt hat. Die Kreuzberger SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe spricht von einem „Riesenerfolg“, der jetzt in eine andere Immobilienpolitik münden sollte. Vorbilder sind München und Hamburg. Dort ist das kommunale Vorkaufsrecht in attraktiven Quartieren bereits etabliert und in die Verkaufsmargen eingepreist. In der Regel unterschreiben die Käufer eine „Abwendungsvereinbarung“, garantieren also bestimmte Mietkonditionen. In Berlin wurde das Vorkaufsrecht im Milieuschutz bereits Anfang des Jahres in Tempelhof-Schöneberg angewendet, allerdings ging es um Häuser der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima), dem Vermögensverwalter des Bundes. Weil der Bezirk gleichzeitig den Kaufpreis von 48 Wohnungen in der Katzlerstraße/Großgörschenstraße drücken wollte, ging die Bima in die Offensive und verklagte den Bezirk. Das Verfahren läuft noch.
Jede Wohnung einzeln verkauft - an denselben Käufer
Auch im aktuellen Fall Wrangelstraße ist ein Rechtsstreit wahrscheinlich. Die Luxemburger Firma wollte laut Panhoff das Haus nicht als Ganzes verkaufen, sondern jede Wohnung einzeln an denselben Käufer. Damit wäre rein theoretisch das Vorkaufsrecht umgangen, doch Panhoff vertritt eine andere Rechtsauffassung. „Wenn die Summe aller Einzelteile verkauft wird, ist es wie ein Gesamtverkauf“. Die Bezirksverordneten haben ihm mit einem fast einstimmigen Beschluss Rückendeckung gegeben.
Bausenator Andreas Geisel (SPD) unterstützt das Vorgehen des Bezirks, sieht im Vorkaufsrecht allerdings noch keine „flächendeckende Regelung“ zur Entspannung des Berliner Wohnungsmarktes, sagte Geisels Sprecher Martin Pallgen. „Es ist politisch gewollt, dass immer mehr Wohnungen in kommunale Hand kommen.“ Das geschieht in der Regel durch den Ankauf von größeren Beständen privater Wohnungsfirmen. Die Zielmarke hat Geisel von 300 000 auf 400 000 Wohnungen hochgesetzt. Im nächsten Jahr wird Berlin wahrscheinlich die Zahl von 300 000 städtischen Wohnungen erreichen.
In Prenzlauer Berg fast überall Milieuschutz
Auch Pankow versuchte, das kommunale Vorkaufsrecht gegen Spekulation und Verdrängung einzusetzen, allerdings bislang ohne Erfolg. In zwei Fällen seien Anfragen bei einer Wohnungsbaugesellschaft und einer Genossenschaft, als Käufer aufzutreten, negativ beantwortet worden. „Die geforderten Kaufpreise waren zu hoch“, sagt Baustadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne). Gegenwärtig gebe es keinen akuten Handlungsbedarf. Das seit Frühjahr geltende Umwandlungsverbot von Miet- in Eigentumswohnungen habe die „Verwertungskette in den Milieuschutzgebieten unterbrochen“. Prenzlauer Berg steht inzwischen fast flächendeckend unter Milieuschutz, ähnlich sieht es in Kreuzberg aus, in Friedrichshain, Schöneberg und Neukölln stehen dagegen nur einzelne Kieze unter Schutz.
Der Wrangelkiez ist eine Hochburg Kreuzberger Sozial-Engagements. Eine Mieterinitiative kämpft seit Jahren gegen Mieterhöhungen und die Verdrängung von Künstlern und Gewerbetreibenden. Zuletzt machte der Gemüseladen Bizim Bakkal Schlagzeilen, der nur ein paar Häuser entfernt seit 28 Jahren den Kiez prägt. Der neue Eigentümer des Hauses Wrangelstraße 77 wollte dem Ladeninhaber kündigen und löste damit einen beispiellosen Proteststurm in der Nachbarschaft aus. Die Kündigung nahm er schließlich zurück.