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Flussidylle: "Helene" heißt das Boot der Familie Eisenhardt.
© Kitty Kleist-Heinrich

Hausboote in Berlin: Bett auf dem Wasser

Vier Zimmer, Küche, Boot: das Leben auf einem Hausboot kann romantisch sein. Aber man braucht starke Nerven. Ein Erfahrungsbericht.

„Und wo wohnst du so?“

Eine typische Party-Frage, mit eher mäßigem Interesse gestellt.

„In Friedrichshain.“

„Und wo da?“

„Auf der Halbinsel Stralau.“

„In einer dieser noblen Stadtvillen?“

„Nein, ich wohne auf einem Hausboot.“

Nach diesem Satz leuchten die Augen meines Gesprächspartners. Er ist nun ganz bei der Sache und hat viele Fragen. Die meisten von ihnen höre ich nicht zum ersten Mal.

„Kann man mit eurem Schiff auch fahren?“

„Nein, es hat keinen Motor. Wenn es bewegt werden soll, müssen wir es am Ufer entlangziehen oder ein Schubschiff anfordern.“

„Schaukelt es bei euch manchmal heftig?“

„Nein, seekrank wird man auf der ,Helene‘ nicht.“

„Aber im Winter ist es doch bestimmt ziemlich kalt bei euch?“

„Nein, wir heizen mit einem ausgeklügelten skandinavischen Kaminofen, außerdem ist das Schiff gut gedämmt.“

„Und woher bekommt ihr euren Strom?“

„Wir produzieren ihn selbst – von März bis Oktober mit Solarkollektoren, im Frühling und Herbst freut sich unser Windrad über kräftige Stürme, und im Winter läuft alle zwei bis drei Tage unser Blockheizkraftwerk. Das ist ein Generator, der die Wärme des Motors für die Heizung nutzt.“

„Wie kommt man denn überhaupt auf die Idee, so zu wohnen?“

„Tja“, muss ich dann antworten. „Eigentlich basiert das auf einem Missverständnis.“

***

Um das aufzuklären, müssen wir die Zeit ein wenig zurückdrehen, ins Frühjahr 2002. In einem holzgetäfelten Saal in der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft haben sich etwa 60 Menschen versammelt, die in ihrem Berufsleben auf irgendeine Weise mit den Berliner Gewässern zu tun haben – beschlipste Beamte und Geschäftsführer, hemdsärmelige Tankstellenbetreiber, Bootsvermieter und Schiffsgastronomen, Mitarbeiterinnen aus Ämtern und Verwaltungen in Kostümen und Hosenanzügen. Die Sitzung hat begonnen, gerade spricht der Präsident eines Sportverbands.

„Ich erwarte, dass bei Ihrer neuen Konzeption nicht nur motorbetriebene Boote berücksichtigt werden. Das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt verbietet nämlich uns Ruderern und Kanuten auf vielen Kanälen die Durchfahrt!“

„Natürlich, Herr Präsident, werden wir auch die muskelbetriebenen Boote berücksichtigen“, versichert der moderierende Staatssekretär.

„Es gibt viel zu wenig Liegeplätze in der Stadt“, beschwert sich ein Hotelier.

„Da haben Sie recht“, sagt der Staatssekretär.

„Die Genehmigungsverfahren für öffentliche Liegestellen sind schwierig und langwierig“, bemängelt eine Dame von der Industrie- und Handelskammer.

Auch das bestreitet der Staatssekretär nicht. „Ja, es ist notwendig, an dieser Stelle mehr Transparenz walten zu lassen.“

Jetzt schaltet sich ein Vermieter von Motoryachten ein: „Die Tourismus-Werber müssen mehr Wasserkarten von Berlin verteilen.“

Ein Stadtplaner entgegnet: „Aber man darf das Wasser nicht nur als Wirtschaftsfaktor sehen. Der Naturschutz hat immer noch Vorrang!“

„In der Tat müssen wir da abwägen“, bestätigt der Staatssekretär.

„Stell dir vor, die wollen Liegestellen für Hausboote schaffen!“

Auch mein Mann Felix, der zu dieser Zeit Veranstaltungen für das Land Berlin organisiert, sitzt in dieser illustren Runde, in der noch diverse andere Anliegen vorgebracht werden. Anschließend hole ich Felix ab. Die Sitzung hat ihn völlig euphorisiert.

„Stell dir vor, die wollen Liegestellen für Hausboote schaffen!“ Er zieht ein paar Blätter aus seiner Tasche und hält sie mir unter die Nase.

„Die Stadt muss sich stärker zum Wasser hin öffnen“, lese ich. „Alternative Wohn- und Lebensformen an und auf dem Wasser wie etwa Hausboote, Restaurantschiffe oder Floating Apartments tragen zur Vernetzung von Wasser und Stadt bei. Beispiele aus den USA oder den Niederlanden verdeutlichen, wie solche Nutzungsformen integrative Bestandteile von Stadtentwicklung sein können.“

„Hmh, ja“, mache ich, verstehe aber nicht, was das mit mir zu tun haben soll.

„Hej, stell dir vor, du liegst im Bett und hörst die Wellen, wie sie gegen das Schiff klatschen. Dann wachst du auf und an deinem Fenster schwimmen Enten und Schwäne vorbei!“, begeistert sich Felix. „Oder du putzt dir die Zähne und siehst aufs Wasser, in dem sich das Sonnenlicht spiegelt! Das ist doch geil!“

Wir wohnten damals in einer Dachgeschosswohnung. Von unserer Terrasse schaute man auf den Mariannenplatz, auf grüne Bäume und die malerische Kulisse der Thomaskirche. Wir fühlten uns dort wohl, wussten aber, dass die Wohnung für uns vier allmählich zu klein wurde.

Über das Wohnen auf dem Wasser hatte ich bis dahin niemals nachgedacht. Ich bin keine Wasserratte, Schwimmen finde ich langweilig, und bei hohem Seegang wird mir schlecht. Felix dagegen liebt das Meer, auf das er gern hinaussegelt – der Freiheit wegen, die zu seinem querdenkenden Geist passt. Und in diesen hatte sich nun eine Idee eingenistet, die Idee vom eigenen Hausboot.

***

Mein Gegenüber will mehr hören. „Und dann habt ihr euch einen Liegeplatz gesucht?“

„Ja, das war gar nicht so einfach.“

***

Die Suche nach einem Liegeplatz

Blick ins Wohnzimmer des Hausboots.
Blick ins Wohnzimmer des Hausboots.
© Kitty Kleist-Heinrich

Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, einen Liegeplatz zu bekommen. Man kann bei Häfen und Marinas nachfragen, allerdings sind diese Liegeplätze in der Regel sehr teuer und nicht immer schön. Deutlich preis- und oft auch lebenswerter ist ein Platz, an dem man nicht die Untermieterposition einnimmt. Für dessen Genehmigung muss man drei Behörden um Erlaubnis fragen: das zuständige Bezirksamt, Herrin des Uferbereiches, die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und schließlich das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt, denn die Spree ist eine Bundeswasserstraße, die Schifffahrt darf nicht behindert werden.

Man braucht also ein dreifaches „Ja“, eines vom Bezirk, eines vom Land und eines vom Bund. Wer jemals mit Behörden verhandelt hat, weiß, wie unrealistisch dieses Ergebnis ist. Dennoch probierten wir es, reichten Vorschlag um Vorschlag ein – ohne Erfolg. Was war aus der Idee von der „stärkeren Öffnung der Stadt zum Wasser“ und den „transparenten, schnellen Genehmigungsverfahren“ geworden? Felix hatte offensichtlich den politischen Willen zur Umsetzung der Pläne aus der Sitzung im Jahr 2002 überschätzt. Die schöne neue Hausbootwelt ist bis heute Idee geblieben. (Siehe zum Berliner Umgang mit Hausbooten auch den Text unten rechts auf dieser Doppelseite.)

Felix hörte aber nicht auf zu recherchieren. Im März 2003 zeigte er mir freudestrahlend ein Fax.

„Bootsliegeplatz im Osthafen“, las ich.

„Ich habe beim Osthafen angerufen. Die haben einen Liegeplatz für uns. Die Miete ist moderat, Wasser und Strom gibt’s auch. Dort könnten wir liegen, bis wir etwas anderes gefunden haben.“

„Das ist ein Industriehafen! Da fahren Lkws und eine Bahn, da stehen Container und Kräne, die ständig Sand und Steine verladen. Dort willst du wohnen? Mit zwei kleinen Kindern?“

Für seine bahnbrechende Nachricht fiel ich meinem Mann nicht um den Hals. Aber da ich mich in der Rolle der Ideen-Killerin nicht wohlfühle, gab ich nach und wir inspizierten in den nächsten Tagen unsere potenzielle neue Wohngegend, den Osthafen in Berlin-Friedrichshain. Hier, wo sich einst Europas größter Binnenhafen befunden hatte, wo 40 mit jeweils 600 Tonnen beladene Schiffe gleichzeitig festmachen konnten, hier siedelten sich seit zwei, drei Jahren neben ein paar verbliebenen Baustoff- und Logistikfirmen zunehmend Medienunternehmen wie Universal, MTV und die Berliner Fernsehwerft an. Als wir zur Besichtigung eintrafen, sahen wir zwar noch einige Verladekräne und Schienen für die Transportbahn, die quer übers Gelände führten. Doch dem 90 Jahre alten Hafen war deutlich anzumerken, dass er immer weniger als Güterumschlagplatz genutzt wurde. Er erschien freundlicher als angenommen. Wir hatten einen Liegeplatz gefunden!

***

„Jetzt fehlte euch nur noch ein Schiff?“

„Ja, das haben wir dann auch gefunden – auf der Internetseite der VEBEG, der Verwertungsplattform der Behörden und Dienste der Bundesrepublik Deutschland.“

„Ach, dort, wo all die alten Flugzeuge und Kräne angeboten werden?“

„Ja, dort kann man auch Schiffe ersteigern.“

***

Das Traumschiff mit der Nummer WS 3454

Im Winter 2003 stieß Felix auf das 23 Jahre alte Bauhüttenschiff „WS 3454“. In Arneburg lag es am Ufer der vereisten Elbe an mächtigen Dalben vertäut, ein 32 Meter langer und fünf Meter breiter grüner Stahlkasten mit quietschroten Lüftern, die sich auf dem Dach drehten. Eine kleine Rauchwolke stieg in den wintergrauen Himmel, sie kringelte sich aus einem Schornstein empor, der sich ebenfalls auf dem Schiffsdach befand. Mein Blick fiel auf die weißen Gardinen aus Plastik-Tüll, die an der Steuerbordseite hinter sieben kleinen Fenstern hingen. Dieses Schiff wirkte schon von außen recht wohnlich, ganz anders als etwa das Peilschiff oder der Tonnenleger, die wir im Sommer angeschaut hatten und in deren Innerem wir über riesige Motorblöcke und Aggregate geklettert waren. Ein Leben mit zwei kleinen Kindern konnten wir uns darauf nicht vorstellen.

Aber dieses hier war anders. Es war schon immer zum Wohnen bestimmt gewesen, wenn auch seine bisherigen Bewohner keine besonders großen Ansprüche an die Schönheit ihrer quadratisch-praktischen Unterkunft gestellt hatten. Es waren Bauarbeiter, die im Schichtdienst die Wasserstraßen der Deutschen Demokratischen Republik instand gehalten hatten.

Zehn Interessenten hatten es sich bereits angeschaut. Vier Stunden vor Auktionsschluss war Felix der Letzte, der durch WS 3454 gegangen und unter das Deck des Schiffs gekrochen war, seinen prüfenden Blick auf den Stahl geheftet, mit dem Schraubenzieher mal hier und mal dort kratzend, um zu prüfen, wie tief sich der Rost in das Material gefressen hatte.

„Wir brauchen ein Faxgerät“, meinte Felix anschließend.

„Wir bieten?“, fragte ich.

„Ja, das Schiff hat Rost, aber nur oberflächlichen. Die Substanz ist gut.“

„Okay. Und wir erfahren wirklich erst hinterher, wie viel die Konkurrenz geboten hat?“

„Ja“, sagte Felix. „Dann wissen wir, ob wir uns ärgern dürfen. Entweder zahlt der glückliche Käufer nur ein paar Euro mehr, als wir aufgerufen haben, oder wir sind die glücklichen Käufer, haben aber viel mehr gezahlt, als nötig gewesen wäre, um die anderen auszustechen. Das nennt sich ,blind bieten‘.“

„Die Chancen, sich zu ärgern, stehen also ziemlich gut“, fasste ich zusammen. „Hast du den Verkäufer gefragt, von welchem Preis er ausgeht?“

„Er rechnet mit mindestens 7000 Euro.“

„Also müssen wir 10.000 bieten.“

„Ich würde es wie bei Ebay-Auktionen machen und lieber eine krumme Summe nehmen“, meinte Felix. „Was hältst du von 10.076?“

„Dann bin ich für 10 137 Euro.“

Es war mittlerweile zehn Uhr. Bis 13 Uhr musste unsere Offerte beim Verkäufer eingegangen sein – per Fax. Ob wir es pünktlich zu unserem Faxgerät im heimatlichen Berlin schaffen würden?

„Wir fahren auf eine Autobahnraststätte“, sagte Felix. „Die werden wohl ein Faxgerät haben!“ Ich war fest davon überzeugt, dass man uns selbst in der lausigsten Frittenbude ein Faxgerät servieren würde. Wenn Felix ein Ziel verfolgt, zählen keine Hindernisse.

In der Nacht schliefen wir unruhig. Das WS 3454 war ein tolles Angebot, eines, das nicht alle Tage auf dem Bootsmarkt auftauchte. Wir hatten uns ja neben Tonnenleger und Peilschiff noch einige weitere angesehen, auf dem Rhein und der Spree, an der Ost- und Nordsee, Kutter und Barkassen, Schlepper und Fährschiffe. Die meisten hätte man erst aufwendig umbauen müssen, zu aufwendig für den Preis, den ihre Besitzer verlangten.

Zuletzt hatten wir über den Kauf der „Anastasia“ verhandelt, einer kleinen Schiffspension mit einem bestechend schönen runden Bug. Der aus der Kaiserzeit stammende ehemalige Lastkahn war ein Schmuckstück. Seinen wohnlichen Aufbau hatte er zu DDR-Zeiten bekommen, Ende der neunziger Jahre hatte ihn eine junge Frau zur Pension umgestaltet. Nun wollte sie zu ihrem Freund ziehen und ihr Leben als Schiffspensionsbetreiberin aufgeben.

Auf der Anastasia hätte man sofort wohnen können. Die fünf Duschen, die in den fünf Gästezimmern eingebaut worden waren, wollte Felix zu Kleiderschränken umbauen, plus einen Schrank für meine Schuhkollektion. Den Gedanken, mir mit dem Kauf dieses Schiffs eine lange Bauphase zu ersparen, fand ich äußerst sympathisch. Doch die „Anastasia“ war nur mit Styropor gedämmt. Man würde im Winter frieren und im Sommer schwitzen – oder doch aufwendig umbauen müssen.

Aber wenige Stunden später war die Anastasia ohnehin kein Thema mehr. „Wir haben den Zuschlag bekommen!“, jubelte Felix in den Telefonhörer. „Uta, wir sind jetzt Schiffsbesitzer! Und stell dir vor, wir lagen nur 50 Euro über dem nächsthöheren Bieter!“

50 Euro? Hatte mein Vorschlag den Ausschlag dafür gegeben, dass das Schiff nun uns gehören würde? Ich konnte es noch nicht glauben. Bis jetzt war alles lediglich eine Fantasie gewesen, ein Spiel mit den Möglichkeiten. Erst in diesem Moment wurde mir klar, dass wir nun Verantwortung übernehmen würden, Verantwortung für rund einhundert Tonnen Stahl.

***

„Ihr hattet nun ein Schiff. War es denn wirklich so schlimm mit den Bauarbeiten?“

„Es war ziemlich anstrengend: zwei kleine Kinder, unsere Jobs und nebenbei die Bauarbeiten. Noch mal würde ich so etwas nicht tun.“

***

Spinnen-Invasion!

Autorin Uta Eisenhardt an Deck ihres Hausboots.
Autorin Uta Eisenhardt an Deck ihres Hausboots.
© Kitty Kleist-Heinrich

In einer Werft wurde das Schiff, das wir „Helene“ tauften, entkernt, im Osthafen erfolgte der Innenausbau. Im Frühsommer 2004 waren die Räume bis auf das Badezimmer gedämmt und mit Rigips-Platten verkleidet, die Heizkörper angebracht und an ein neues Leitungssystem angeschlossen, ebenso waren die Trinkwasserleitungen ausgetauscht. Ungleich länger war die Liste der unerledigten Arbeiten. Um nicht länger neben unserem Kredit auch noch Miete zu zahlen, wollten wir so schnell wie möglich auf unser schwimmendes Heim ziehen. Wir fragten die Handwerker nach ihrer Meinung. Frühestens in acht Wochen sei es so weit, lautete deren grobe Schätzung. Okay, dachte sich Felix. Dann machen wir denen mal ein bisschen Druck und verkürzen die Frist auf sechs Wochen. Er ahnte damals nicht, dass ein so knapp angesetzter Termin nur uns in Stress versetzen würde, niemals aber einen Handwerker. Obendrein wollten die Nachmieter, die wir für unsere Wohnung fanden, diese zwar renovieren, aber bereits in vier Wochen einziehen.

Am 12. Juli 2004 war es so weit. Das Umzugsunternehmen brachte unser Hab und Gut auf eine Baustelle. Kein fließendes Wasser, keine Dusche und keine Toilette mit Wasserspülung. Der Zwei-Komponenten-Anstrich, mit dem unsere Abwassertanks gestrichen worden waren, musste noch mindestens eine Woche trocknen, genauso wie der Spezialanstrich des Trinkwassertanks. Vorerst mussten wir unser Trinkwasser also aus Flaschen beziehen, bei meiner Mutter duschen und eine mobile Mini-Chemie-Toilette nutzen. Wir nahmen mit kalter Küche vorlieb, sortierten Kisten, putzten beständig gegen den Staub an, den die Handwerker machten, und ließen unsere Kinder von Oma, Onkel und Freunden betreuen oder mit schlechtem Gewissen vom Videorekorder.

Acht Wochen nach unserem Einzug waren die wichtigsten Arbeiten aber abgeschlossen – genau in dem Zeitraum also, den die Handwerker prognostiziert hatten. Allmählich gewöhnte ich mich an das Schaukeln des Schiffs, das interessanterweise weniger von den großen Lastkähnen ausgelöst wird, die langsam und ruhig an der Helene vorbeiziehen. Die größten Turbulenzen entstehen, wenn kleine Motorboote mit überhöhter Geschwindigkeit durchs Wasser pflügen.

Das ist vor allem im Sommer der Fall, wenn ununterbrochen Schiffe an unserem Hausboot vorbeiziehen: Tret- und Ruderboote, Kanus, Stand-up-Paddler, Fahrgastschiffe. Die Musikanlagen der Partyboote wetteifern miteinander, zuweilen überschneiden sich drei Songs gleichzeitig. Erst im Winter kann man die Ruhe des Flusses wieder genießen. Und die anfangs durchaus gewöhnungsbedürftige Geräuschkulisse unseres schwimmenden Heims: das Ächzen der Leinen, das Knacken des Parketts, das den Schiffsbewegungen nachgibt, der auf das Stahldach prasselnde Regen, das Rütteln des Winds, die Wellen, die an stürmischen Tagen gegen den Bug klatschen und uns heute sanft in den Schlaf wiegen.

Das Trappeln der Krähen auf dem Dach

Ich erschrak zu Beginn auch noch über die Katzen, die nachts über das Schiff jagen, über das Trappeln der Krähen auf dem Dach, das Klappern von Schnäbeln am Rumpf, wenn Enten und Schwäne die dort haftenden Algen verputzen.

Ich staunte über das Licht im Hausboot: Fast jeden Tag ist es da. Es kommt von allen Seiten, reflektiert sich auf dem Wasser, tanzt und glitzert auf den Wellen. Von dort hüpft es ins Innere des Schiffs, wo es flüchtige Motive an Decken und Wände wirft. Es entfaltet die faszinierend-beruhigende Wirkung, die gewöhnlich einem offenen Feuer zugeschrieben wird.

***

Es ist spät geworden. Eins will mein Gesprächspartner aber noch wissen: „Auf einem Schiff gibt es doch auch Ratten, oder?“

„Damit kämpfen eher die Eigner von Schiffen, die aus einem Stahlponton bestehen, auf den ein Holzaufbau gesetzt wurde. An der stählernen Helene finden die Tiere nicht genügend Ein- und Ausgänge. Nervig ist eher die jährliche Spinneninvasion.“

***

Ich hatte schon vor unserem Einzug auf dem Boot die zahlreichen Achtbeiner registriert, die sich auf dem Schiff einquartiert hatten. Unter ihnen waren stattliche Exemplare, täglich schienen es mehr zu werden. Ihre Anwesenheit soll von einem guten Raumklima zeugen. Zu Beginn unseres ersten Hausbootsommers beschloss ich, sie zu ignorieren. Im Herbst würden sie ohnehin abziehen, dann wollte ich in einer konzertierten Aktion ihre Netze beseitigen.

Ich wusste damals noch nicht, dass Spinnen einen Stoffwechsel haben. Also, theoretisch schon, aber nicht aus der Praxis. Bald wunderte ich mich über die schwarzen Kleckse an den Scheuerleisten, an den frisch gestrichenen Wänden und auf der Wäsche, die gerade trocknete. Kleckse, die wie Pech hafteten. Spinnenkacke. Jetzt ahnte ich, wie das Wort „verschissen“ entstanden sein konnte. Das hatten nun diese Tiere bei mir. Seitdem gilt ihnen gegenüber Null-Toleranz. Gnadenlos werfe ich sie aus dem Schiff. Doch egal, ob man die Spinnen an der Wasser- oder an der Landseite aussetzt – sie krabbeln oder schwimmen zu uns zurück. So geht das den ganzen Sommer lang.

***

Die meisten Gäste sind gegangen, auch ich werde mich verabschieden. Von meinem Gesprächspartner habe ich nicht mehr als seinen Namen erfahren. Ich nehme mir fest vor, beim nächsten Mal der Frage nach meinem Wohnen auszuweichen – oder einfach ein Buch darüber zu schreiben, auf das ich dann verweisen kann.

***

Das hat unsere Autorin nun getan: „Vier Zimmer, Küche, Boot – eine Familie zieht aufs Wasser“ ist bei Delius Klasing erschienen und für 22,90 € im Buchhandel erhältlich.

Warum Berlin den Hausbootmetropolen Amsterdam und London hinterherhinkt, lesen Sie in unserer Recherche zum Leben auf dem Wasser.

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