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Die Hausbootkolonie an der Tiergartenschleuse.
© Kitty Kleist-Heinrich

Hausboote in Berlin: Leben auf dem Wasser

Anders als in London oder Amsterdam halten die Behörden in Berlin nicht viel von Hausbooten. Warum eigentlich nicht?

Berlin braucht Wohnraum. Bis 2020 müssen mindestens 60 000 neue Wohnungen her, sagen Experten, die bezweifeln, ob der massive Neubaubedarf in diesem Tempo gedeckt werden kann.

Berlin hat Wasser. Flüsse, Kanäle und Seen stellen zusammen rund sechseinhalb Prozent der Stadtfläche, in absoluten Zahlen sind das knapp 60 Quadratkilometer – nicht einmal die Grachtenstadt Amsterdam (52 Quadratkilometer) ist so wasserreich.

Warum also nicht nachmachen, was Amsterdam, was auch London seit Jahrzehnten vormacht? Mehrere tausend Menschen leben in beiden Städten auf mobilen Hausbooten oder fest verankerten Pontonhäusern, sogenannten „floating homes“. Könnte da nicht auch Berlin wasserwärts expandieren?

Derzeit ist das Wohnen rund um Spree, Havel und Dahme noch etwas für wenige Liebhaber. Wie viele Hausboote es in Berlin genau gibt, weiß man bei keiner der drei städtischen Instanzen, die Genehmigungen für Bootsliegeplätze erteilen. Um die 60 könnten es sein, schätzt Barbara Unverzagt vom Berliner Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA). Etwa zehn Boote liegen – teilweise seit Jahrzehnten – im Flutkanal der Tiergartenschleuse – dort befindet sich die älteste Hausbootkolonie in Berlin. Noch einmal jeweils rund ein Dutzend sind im Plötzenseer Kolk in der Nähe des Weddinger Westhafens sowie an der Parkstraße in Spandau vertäut. Größtenteils aufgelöst hat sich dagegen 2013 die ehemals vierte Berliner Wohnschiffkolonie am Treptower Park, nachdem der Eigentümer der Steg-Anlagen, die „Stern und Kreisschiffahrt“, den dortigen Bootsbewohnern Eigenbedarfskündigungen schickte.

In Hamburg gibt es einen Hausbootbeauftragten

Neue Dauerliegeplätze haben seitdem nur zwei der Treptower Boote gefunden – auf Vermittlung des Bezirks können sie ab 2017 voraussichtlich an der Schnellerstraße in Niederschöneweide anlegen. Drei andere Boote liegen derzeit noch am Ufer des Treptower Parks, zwar mit Genehmigung des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamts, aber gegen den Willen der Bezirksverwaltung, die diesen Standort nicht genehmigen will – die Boote werden hier sozusagen nur vorläufig geduldet. Und der Rest der ehemaligen Kolonie? Hat sich wohl jenen „Einzelkämpfern“ angeschlossen, die laut Barbara Unverzagt vom WSA in unbekannter Anzahl an anderen Berliner Uferstellen vertäut sind.

Die Suche nach einem Liegeplatz ist die größte Hürde für alle, die vom Wohnen auf dem Wasser träumen. Die drei bestehenden Berliner Bootskolonien werden auf absehbare Zeit nicht erweitert. Ausgewiesene Liegestellen für Hausboote gibt es in Berlin grundsätzlich nicht, Bootsbesitzer müssen den Behörden selber Vorschläge machen – und sich dann auf einen langen Marsch durch die Institutionen und Unterinstitutionen einstellen, denn anders als etwa in Hamburg gibt es in Berlin keinen zentralen „Hausbootbeauftragten“, der behördenübergreifend Auskunft geben kann.

Grünes Licht muss hier zunächst die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung geben, die prüft, ob „der individuelle Wohnwunsch auf Gewässern dem Wohl der Allgemeinheit entgegensteht“, wie es Sprecherin Petra Rohland ausdrückt. Eine Rolle spielen dabei naturschutzrechtliche, denkmalpflegerische sowie stadt- und landschaftsplanerische Erwägungen. Absegnen muss den Liegeplatz außerdem der jeweilige Bezirk, der baurechtliche Fragen prüft und im Einzelfall auch als Eigentümer des Ufergrundstücks sein Einverständnis geben muss. Das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt stellt schließlich sicher, dass das Hausboot nicht den Schiffsverkehr behindert.

Wie kompliziert das Prozedere ist, verrät der letzte Satz eines WSA-Informationsblatts für Hausboot-Interessenten: „Es wird empfohlen, bei der Standortsuche und insbesondere bei der Beantragung eines Liegeplatzes für ein Hausboot ein fachkundiges Büro einzuschalten, das Erfahrungen mit dem einschlägigen Verwaltungsrecht hat.“

Täglich rufen Interessenten an

Anfragen von Interessenten gebe es jede Menge, sagt Barbara Unverzagt vom WSA – in den Sommermonaten rufe eigentlich jeden Tag jemand an. Die immense Nachfrage ändert jedoch nichts am mageren Angebot. In Treptow-Köpenick etwa, erklärt Bezirksstadtrat Rainer Hölmer, habe man „in einer umfangreichen Analyse die gesamte Uferlänge dahingehend untersuchen lassen, wo Liegeplätze für Hausboote eingerichtet werden können“. Erstaunliches Ergebnis der Großrecherche: Im gesamten wasserreichen Bezirk hielt man nur einen einzigen Standort für geeignet. Die Liegestellen, die in Niederschöneweide für die Umzügler vom Treptower Park eingerichtet werden, dürften auf absehbare Zeit also die letzten Bootsstandorte sein, für die in Berlin neue Genehmigungen erteilt werden. Im Grunde, sagt Barbara Unverzagt vom WSA, könne man derzeit nur ins Hausbootleben einsteigen, wenn ein anderer Bootsbesitzer aussteige – sprich: wenn ein Boot mitsamt genehmigter Liegefläche verkauft wird.

Andere Städte legen Hausbootfans nicht so viele Steine in den Weg. In einer Reportage über das städteplanerische Potenzial des Wohnens auf dem Wasser zitierte die BBC kürzlich Koen Olthuis, den Gründer eines niederländischen, auf Wohnschiffe spezialisierten Architekturbüros. Seit einiger Zeit, erklärte Olthuis, beobachte er, dass die ursprüngliche Abwehrhaltung städtischer Behörden in Unterstützung umschlage. „Hausboote werden interessanter für die Kommunen, auch weil sie sie zunehmend wie Immobilien behandeln, die Grundsteuern abwerfen.“

In Berlin ist man davon weit entfernt. Gefragt, warum eine Erweiterung der hiesigen Hausbootszene offenbar ausgeschlossen wird, erklärt Petra Rohland von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung: „Eine Verlagerung von Siedlungsflächen vom Land auf Gewässer führt zu nachteiligen Auswirkungen für das Schutzgut Wasser.“ Die Behörde beruft sich dabei unter anderem auf die Europäische Wasserrahmenrichtlinie. Warum dieses EU-Regelwerk aber offenbar in Amsterdam (rund 2500 Hausboote) und London (mehr als 4000, Tendenz steigend) komplett anders ausgelegt wird als im wasserscheuen Berlin, bleibt das Geheimnis der Senatsverwaltung.

Mehr zum Thema Hausboote in Berlin lesen Sie in unserem Erfahrungsbericht einer Bootsbewohnerin.

Jens Mühling

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