„Uns geht es nicht mehr nur um die Täter“: Betroffene der rechten Anschlagsserie in Neukölln fordern Untersuchungsausschuss
Seit Jahren gibt es keine Ermittlungsergebnisse zu mehr als 70 rechtsmotivierten Straftaten. Die Betroffenen fordern einen Untersuchungsausschuss.
Mindestens 72 Brandanschläge, Schmierereien, Drohungen, von denen bis heute kein einziger Vorfall aufgeklärt ist: Am 4. November 2019 übergaben Betroffene der rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln eine Petition mit 25.000 Unterschriften an den Berliner Senat, in der sie einen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Straftaten forderten. Ein Jahr später ziehen sie ernüchterte Bilanz - und fordern weiterhin eindrücklich eine Einbeziehung der Zivilgesellschaft.
Die Betroffenen hatten damals nicht zufällig den Jahrestag der Enttarnung des rechtsextremen NSU gewählt. Sie sehen gewisse Parallelen zu den Anschlägen des selbsterklärten "Nationalsozialistischen Untergrundes" auch in den Anschlägen in Neukölln. Insbesondere vermuten sie Verbindungen zwischen den drei Hauptverdächtigen, den polizeibekannten Rechtsextremisten Sebastian T., Tilo P. und Julian B., und den ermittelnden Behörden.
"Uns geht es schon lange nicht mehr nur um die Täter", sagte Ferat Kocak, "uns geht es um die Frage, welche Verflechtungen dazu geführt haben, dass wir seit elf Jahren - trotz bekanntem Täterkreis - mit einer Aufklärungsquote von 0 Prozent abgespeist werden." Das Auto des Linken-Politikers wurde im Februar 2018 angezündet, nur durch Zufall griff das Feuer nicht auf das Wohnhaus seiner Familie über. Später stellte sich heraus, dass die Behörden ihn trotz entsprechender Hinweise vorab nicht gewarnt hatten.
Er verwies auf mehrere Skandale rund um die Ermittlungen, die in den vergangenen Monaten publik geworden waren. So zog etwa die Generalstaatsanwältin die Ermittlungen an sich, nachdem der bislang leitende Staatsanwalt wegen des Anscheins einer möglichen Befangenheit versetzt worden war.
Die Betroffenen bemängeln einerseits, dass die Sicherheitsbehörden ihre Hinweise und Kritik nicht ernst nehmen würden. "Die BAO Fokus hat in eineinhalb Jahren nicht einmal mit uns gesprochen", sagte Claudia von Gélieu mit Verweis auf die Sonderkommission, die kürzlich ihren Abschlussbericht vorgestellt hatte. Auch Claudia von Gélieu wurde Opfer eines Brandanschlages auf ihr Auto.
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Parallel warf sie Innensenator Andreas Geisel (SPD) und Polizeipräsidentin Barbara Slowik vor, die Brandanschläge und das "Staatsversagen" bei der Aufklärung zu verharmlosen. Geisel würde, statt "konsequent politisch zu handeln", die Aufklärung der Serie mit immer neuen Ermittlungsgruppen "aussitzen", sagte sie.
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Erst kürzlich hatte Geisel eine Kommission externer Fachleute benannt, die die Ermittlungen im Neukölln-Komplex neu aufrollen sollen. Die frühere Polizeipräsidentin von Eberswalde, Uta Leichsenring, und der ehemalige Bundesanwalt und NSU-Ermittler Herbert Diemer sollen diese leiten. Viele Erwartungen an die Kommission haben die Betroffenen allerdings nicht. Auch die neue Kommission sei von der Zuarbeit der Behörden abhängig, erklärte etwa der Buchhändler Heinz Ostermann, der bereits mehrfach Ziel von Angriffen war.
Die Betroffenen fordern, neben der Einrichtung eines Untersuchungsausschusses, unter anderem eine Einbeziehung früherer Vorfälle ab 2003 in die Ermittlungen. Außerdem solle der Kreis der Tatverdächtigen erweitert und auf Verbindungen etwa auch zu Parteien wie der NPD und AfD überprüft werden. Aufgrund der unmittelbaren Bedrohungssituation für die Bevölkerung und dem fortschreitenden Vertrauensverlust in die Behörden sei die Situation dringend, so die Betroffenen.
"Mit Blick auf die gesellschaftliche Entwicklung, etwa den Mord an Walter Lübcke, habe ich die Befürchtung, dass auch andere Personen Nektar aus der unaufgeklärten Anschlagsserie ziehen", sagte Heinz Ostermann. "Und dann steht vielleicht mal jemand direkt vor mir im Buchladen."