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Die Reparatur von Berlins Straßen ist mittlerweile zur Aufgabe für Generationen geworden.
© dpa

Wenn Sparen teuer wird: Berlins Milliardenlöcher

Nicht nur die Straßen sind Flickwerk, sondern auch die Pläne, nach denen der Senat und die Bezirke ihre Gelder für öffentliche Aufgaben verteilen. Der strikte Sparkurs ist überall zu merken – ob an maroden Schulen und Krankenhäusern oder fehlenden Mitarbeitern in Ämtern und Büchereien.

Bereits Jahre, bevor der Bund es vorschreibt, hat das Land Berlin einen ausgeglichenen Haushalt. Neuste Erfolgsmeldung: Auch die Bezirke geben - jedenfalls per Saldo – weniger aus, als sie einnehmen. Doch die Sparerfolge sind teuer erkauft.

So belohnt der Senat jene Bezirke, die bei der Beschaffung von Sozialarbeitern für die „Hilfen zur Erziehung“ von Kindern in zerrütteten Familien weniger bezahlen als im Land sonst üblich. Die eingesparten Lohnkosten gegenüber den vom Land pauschal überwiesenen Beträgen dürfen die Sparfüchse unter den Bezirken behalten. Verstärkt die öffentliche Hand Lohndumping beim Einkauf von Dienstleistungen? Jedenfalls trägt sie dazu bei, dass die Einkommen in Berlin weit unter dem bundesdeutschen Durchschnitt liegen - und dieser Abstand wächst weiter, wie das Statistische Landesamt ebenfalls diese Woche mitteilte.

Die kräftig angezogene Schuldenbremse hinterlässt Spuren in der Stadt: Schlaglöcher auf den Straßen, marode Schulen und Sporthallen, verrottende Spielplätze, wild wucherndes Gewächs und weniger Blumen in öffentlichen Grünanlagen – das sind Folgen der drastischen Kürzungen bei den staatlichen Aufgaben und Investitionen. Rechnungshof- Chefin Marion Claßen-Beblo hatte bereits 2013 gewarnt, dass angesichts von Investitionen in Höhe von damals rund 1,6 Milliarden Euro jährlich Berlin „auf Kosten der Substanz“ spare.

Die Investitionen werden laut aktuellem „Investitionsprogramm“ der Finanzverwaltung trotzdem weiter gekürzt: auf 1,4 Milliarden im Jahr 2016. Das bringt den Chef vom Bund der Steuerzahler in Berlin Alexander Kraus auf: „Die Sanierung des Haushaltes geht zu Lasten der Infrastruktur und das rächt sich doppelt und dreifach“. Angesichts einer steuerlichen Belastung der Bürger in Rekordhöhe, sei es nicht hinzunehmen, dass etwa Bildungseinrichtungen „marode sind wie in Schwellenländern“.

Flickwerk bei den Straßen

Allein der Bezirk Mitte hat im Straßenbau einen Sanierungsstau in Höhe von 50 Millionen Euro. Stadtweit sind es laut ADAC Angaben 500 Millionen Euro. Straßen, die nicht kontinuierlich instand gehalten werden, müssen vorzeitig komplett erneuert werden – und das wird wesentlich teurer als ständige Pflege.

Reinigung

Viele öffentliche Gebäude wie die Poelchau-Schule sind desolat.
Viele öffentliche Gebäude wie die Poelchau-Schule sind desolat.
© Mike Wolff

Die Bezirke können eine Menge sparen, wenn sie bei der Sauberkeit ihre vielen Immobilien Abstriche machen. Dies gilt insbesondere für die Schulen, da sie einen Großteil der öffentlichen Gebäude ausmachen. Hier zeigt sich exemplarisch, wie die (Sauberkeits-)Spirale nach unten funktioniert: Bezirke, die wenig für die Reinigung ausgeben, setzen die Maßstäbe, an denen sich die anderen messen lassen müssen: Wer viel in die Sauberkeit investiert, wird dadurch bestraft, dass er ins Haushaltsminus rutscht und dadurch andernorts Handlungsspielraum verliert. Somit gibt es das Bemühen, im nächsten Jahr weniger auszugeben. Dadurch aber sinkt der so genannte Medianwert, der die durchschnittlichen Ausgaben aller Bezirke pro Schüler beziffert. Dies bedeutet, dass man im nächsten Jahr noch weniger ausgeben muss, um nicht ins Minus zu rutschen.

Wohin diese Spirale führt, war jüngst in Friedrichshain-Kreuzberg zu besichtigen: Im Bemühen, sparsam zu sein, wurde bei den Ausschreibungen ausschließlich auf den niedrigsten Preis geguckt. Zum Zuge kamen Billiganbieter, und die Schulen waren unzufrieden. Das Billigputzen führt nicht nur zu stinkenden Toiletten, sondern auch dazu, dass die Putzkräfte verheizt werden. Zudem verkommen PVC-Fußböden und Möbel, wenn sie falsch oder nur oberflächlich gereinigt werden.

Bezirkspersonal

Wer sparen will, ohne die Substanz zu gefährden, muss intelligent ausschreiben, Angebote auf Plausibilität prüfen und genau kontrollieren. Aber auch das kostet Geld, das nicht da ist, denn die Mitarbeiter in den Ämtern wurden reduziert, die für Ausschreibungen, Kontrollleistungen und Beschwerdemanagement eingesetzt werden könnten. Mit dieser Situation können bestenfalls Bezirke wie Neukölln umgehen, die professionell geführt werden. Unerfahrene Bürgermeister oder Stadträte kommen mit dem Spardruck nicht so gut zurecht.

Fehlende Schulbauten

Der Spardruck zwingt die Bezirke dazu, Schulstandorte zu schließen, die nicht voll ausgenutzt werden, denn je weniger Schüler eine Schule hat, desto höher sind pro Schüler die Kosten für Heizung und Reinigung. Wohin übereilte Standortschließungen führen können, zeigt sich jetzt in etlichen Bezirken, die mit teuren Behelfsbauten auf den Platzmangel reagieren müssen. Hinzukommt, dass An- und Umbauten planerisch kaum zu bewältigen sind, weil in den Bauämtern Personal eingespart wurde. Ein Teufelskreis, der an die Situation bei der Schulreinigung erinnert. Vielerorts sind auch die Klassen überfüllt. oder die Container, also teure Provisorien einrichten.

Zustand vieler öffentlicher Gebäude ist desolat

1,7 Milliarden: So groß ist der Investitionsbedarf bei Charité und Vivantes.
1,7 Milliarden: So groß ist der Investitionsbedarf bei Charité und Vivantes.
© dpa

Gesundheitsdienst

Das Personal im öffentlichen Gesundheitsdienst wurde seit den Zeiten des Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) massiv heruntergefahren. Ein Einstellungsstopp jagte den nächsten, und die Vorgaben bei der Personaleinsparungen sind noch immer nicht erreicht. Wenn dann doch mal eine Stelle besetzt werden könnte, tritt das nächste Problem zutage: Die im Vergleich zu den Krankenhäusern niedrigen Gehälter führen dazu, dass von den wenigen zugestandenen Stellen einige frei bleiben. Wozu das personelle Ausdünnen der Gesundheitsdienste führt, lässt sich vor allem in den geburtenstarken Bezirken besichtigen: Selbst Pflichtaufgaben wie die Einschulungs- und die Reihenuntersuchungen in den Kitas können nicht mehr überall in der vorgeschriebenen Zeit bewältigt werden. Somit besteht die Gefahr, dass Kinder, die dringend einer Behandlung bedürften, erst verspätet Hilfe bekommen oder nicht rechtzeitig vor der Einschulung eine gezielte Förderung erhalten.

Marode öffentliche Einrichtungen

Bröselnder Putz, herabfallende Fliesen, zerstörte WCs – der Zustand zahlreicher öffentlicher Gebäude ist desolat. Auf gewaltige 1,6 Milliarden Euro beläuft sich der Sanierungsstau allein in dem „Sondervermögen Immobilien des Landes Berlin“, wie der Senat zu gibt.

Kaum etwas illustriert die Folgen der langjährigen Sparpolitik so gut wie der Zustand der Schulen. Der Investitionsstau beläuft sich grob geschätzt auf eine Milliarde Euro. Da die Bezirke wegen ihrer beschränkten Budgets dafür nicht aufkommen können, legt das Land seit vielen Jahren eigene Schul -und Sportstättensanierungsprogramme auf, die allerdings nur einen Teil der nötigen Investitionen abdecken können. Deshalb gibt es weiterhin überall uralte Fenster, feuchte Keller und bröckelnde Fassaden zu besichtigen.

Hinzu kommen jene öffentliche Gebäude, die nicht zentral verwaltet werden und beispielsweise von einzelnen Trägern in den Bezirken oder von diesen selbst gemanagt werden. Keine Angaben macht de Senat bisher über den Sanierungsstau bei den Krankenhäusern. Wie berichtet, liegt der langfristige Investitionsbedarf des größten Klinikums in Europa, der Charité, sowie des landeseigenen Krankenhauskonzerns Vivantes nach Meinung von Experten bei 1,7 Milliarden Euro. Der Finanzexperte der Grünen Jochen Esser nennt als weitere Beispiele das Krankenhaus Neukölln und das Klinikum Benjamin Franklin in Steglitz. Mit weiteren zwei Milliarden Euro hatten die Berliner Hochschulen im vergangenen Jahr ihren Investitionsstau beziffert. Hinzu kommt hunderte von Millionen fürs ICC und die stillgelegten Airport-Gebäude am Tempelhofer Feld.

Ausdünnung der Bibliotheken

Die neue Landesbibliothek soll etwa 300 Millionen Euro kosten.
Die neue Landesbibliothek soll etwa 300 Millionen Euro kosten.
© Simulation: Senat

Vom Sparen bleiben auch jene Bereiche nicht ausgenommen, die zur Stabilisierung sozialer Brennpunkte dienen. Den engen Zusammenhang zwischen Armut, schlechter Bildung und Erwerbslosigkeit hat die wissenschaftliche Durchleuchtung der sozialen Lage in Berlin im Auftrag des Senats („Monitoring“) belegt. Und es zeigte auch: Hartz IV wird sehr oft „vererbt“ von den Eltern auf die Kinder, wenn nicht durch Quartiersmanagement und Bildungsinitiativen gegengesteuert wird. Doch ausgerechnet die Zahl wichtigsten Bildungseinrichtungen in den Kiezen, die Stadtteilbibliotheken, wurde von 217 im Jahr 1997 auf 85 halbiert. Dabei werden die Sparanreize so gesetzt, dass die ausgerechnet die wichtige Zielgruppe der bildungsfernen Haushalte benachteiligt wird. Belohnt werden solche Stadtteilbibliotheken, die besonders viele Besucher haben und besonders viele CDs und Bücher verleihen, wie die Stadtteilbibliothek im bürgerlichen aber kinderarmen Schmargendorf. Sie wird geschätzt von wohlhabenden Pensionären – also von jenen, die ohnehin viel und gerne lesen. In Neukölln dagegen schlossen viele kleine Bibliotheken, weil Migranten oder Erwerbslose das Angebot selten nutzten. Statt ein auf sie zugeschnittenes Angebot an Videos und Lektüre zu schaffen, wie es Hamburg tut, eröffnete der Bezirk die größere zentral gelegene Helene-Nathan-Bibliothek. Die ist ein Erfolg. Doch Experten warnen: Viele Besucher kommen wiederum aus Eigenheimsiedlungen etwa in Britz. Für die Kinder aus der Sonnenallee ist der Standort dagegen unattraktiv.

Spandau führt. Die Bezirke in der Übersicht.
Spandau führt. Die Bezirke in der Übersicht.
© Fabian Bartel

Was der Finanzsenator sagt

Die Senatsverwaltung für Finanzen will sich ihre Erfolge bei der Durchsetzung des Sparkurses nicht madig machen lassen: Auf die Frage, wie hoch die Finanzexperten den Investitionsstau schätzen, hieß es: Eine Aussage dazu sei schon „aus methodischen Gründen“ nicht möglich. Es gelte „bei der Investitionsplanung konsequent Prioritäten“ zu setzen, „die sich an den finanziellen Möglichkeiten des Landes orientieren“. Hauptsache, der Haushalt ist ausgeglichen, zumal es „auch weiterhin auf einen Schuldenabbau hinzuarbeiten“ sei. So gesehen, ist in Berlin alles zum Besten bestellt.

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