Neue Landesbibliothek: Teurer Protzbau zu Lasten der Bezirksbüchereien
Die neue Landesbibliothek auf dem Tempelhofer Feld soll erheblich teurer werden. Hatice Akyün hat für den kostspieligen Protzbau kein Verständnis, denn die wichtigen Bezirksbüchereien benötigen das Geld deutlich dringender.
Nun komme ich ja viel rum. Ich meine, wenn ich aus meinen Büchern lese. Selten mit Publikum bis zum Horizont, aber meistens so viel, dass sich eine gute Stimmung auch in einen großen Raum überträgt.
Ich lese gerne in Bibliotheken, umringt von Büchern und Menschen, die das zu schätzen wissen. Ich kenne die Städtische Bibliothek in Stuttgart, sehr nachgefragt, gut ausgestattet und ein modernes Gebäude. Die in Duisburg ist ein Funktionsbau der siebziger Jahre mit einer Jugendbuchabteilung, Neuheiten und Schlangen vor den Ausgabeschaltern.
Ich erinnere mich an die Minibücherei einer Nordseeinsel, überschaubar, liebevoll geführt, und das, was nicht da war, wurde über Fernleihe besorgt. Ich kenne auch Stadtbüchereien, die es ausbaden müssen, dass die Kommune ihr Defizit dort vergeblich wegsparen will, die im Eingang um Bücherspenden betteln. Was wohl aus mir geworden wäre, dem Türkenmädchen, das der Stadtbücherei Duisburg und seinem Bücherbus sein Deutsch und den nimmersatten Hunger auf die Welt verdankt, wenn die Trostlosigkeit, bedingt durch zusammengestrichene Budgets, mir als Kind nur leere Bücherregale geboten hätte? Als Kind wartete ich jeden Donnerstag darauf, dass der Bücherbus um die Ecke bog. Lesen war für mich der Blick in eine Welt, die ich bis dahin nicht kannte.
Ich komme darauf, weil ich letzte Woche wieder kurz vor einem Tobsuchtsanfall war, als ich lesen musste, dass die neue Landesbibliothek am Tempelhofer Feld mal so eben 50 bis 100 Millionen Euro mehr kosten werde. Reg’ dich ab, versuchte ein Freund zu beruhigen. Hätte es den Bund der Steuerzahler schon ab dem Mittelalter gegeben, gäbe es heute kein Neuschwanstein, keinen Kölner Dom, keine Museumsinsel, nichts. Alles zu teuer und zu verschwenderisch. Auf die Jahrhunderte gerechnet spielten Mehrkosten keine große Rolle.
Die kleinen Büchereien könnten das Geld dringend gebrauchen
Meine Wut hat ja auch noch eine andere Quelle. Gehen Sie mal in die Stadtbücherei Ihres Bezirks. Ich habe es mit meiner Tochter getan. Unterirdisch ausgestattet. Aber für den nächsten Protzbau großspuriger Ignoranz ist Kohle da, oder was? Eine Landesbibliothek kann eine feine Sache sein. Auch der Normalbürger kann sich über Themen, Werke, Gattungen umfassend informieren. Man kann E-Books ausleihen, in Zeitschriftenarchiven digital stöbern, man kann der Geschichte Berlins und der ganzen Welt auf den Grund gehen. Aber bitte, habt ihr da oben immer noch nicht ausreichend den Nachweis erbracht, dass ihr bei Großprojekten mit dem Horizont eines Heimwerkers, der sich eine Laube zusammenschraubt, nicht weit kommt?
Im Mittelalter gab es keine Bibliotheken, kaum Menschen, die etwas aufgeschrieben haben, und noch weniger, die lesen konnten. Die Menschheit verblödete damals. Heute haben wir das Internet und bald eine Landesbibliothek, auf der noch kein Preisschild klebt. Das Wecken und Kultivieren von Neugier muss aber trotzdem irgendwo gelernt werden. Die Bezirksbüchereien sind so Orte, an denen das passiert. Denkt daran, wenn ihr das nächste Mal Haushalte konsolidiert und damit anderen Chancen wegnehmt. Oder wie mein Vater sagen würde: „Cöplükte yatar, vezir rüyasi görür.“ Auf dem Misthaufen liegen, aber wie ein Wesir träumen.
Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer montags über ihre Heimat.