Grüne Verkehrspolitik „rechtlich fragwürdig“: Berlins Linke will Benziner und Diesel nicht aussperren
Massive Kritik an grüner Verkehrssenatorin: Der Ausbau von Nahverkehr und Radwegen müsse schneller gehen, fordert die Linke. Die Citymaut sieht sie kritisch.
Die Berliner Linke hat auf ihrer Fraktionsklausur am Templiner See in Potsdam die Verkehrspolitik der Grünen bemängelt. In ihrem Thesenpapier kritisieren die Linken die grüne Verkehrsstadträtin Regine Günther deutlich. Der Ausbau des ÖPNV müsse „endlich Fahrt aufnehmen“. Die Priorität müsse dabei auf der Anbindung der Stadtränder und des Speckgürtels liegen. Die großen Wohnungsbauprojekte könnte nur mit einer guten ÖPNV-Anbindung realisiert werden. Auch der Ausbau der Radinfrastruktur müsse „deutlicher vorangehen“ als bisher.
Der Straßenbahnausbau müsse priorisiert werden. Das fordern allerdings auch die Grünen. Die Linke will das U-Bahn-Netz modernisieren und so sanieren, dass „dichtere Takte zügig ab dem Eintreffen neuer Züge gefahren und mehr Fahrgäste transportiert werden können“.
Auch wenn die Berliner Linke den Bau der Straßenbahnen als Priorität ansieht, waren auf der Fraktionsklausur in Potsdam am Freitagabend andere Töne zu hören. „Ich glaube, unsere robuste Verweigerung über den U-Bahn-Ausbau nachzudenken, ist ein Fehler“, sagte Rechtspolitiker Sebastian Schlüsselburg. Mit Blick auf die wachsende Stadt müsse man „ran an die Frage U 11 oder U 10“. Damit versuchte er die Brücke zur SPD zu bauen, die den Bau der U10 nach Weißensee und eine Verlängerung der U2 fordert.
Schlüsselburg hatte die Rechnung aber ohne Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher gemacht. „Ich warne vor solchen Überlegungen. Was wir jetzt brauchen ist eine konzertierte Aktion, um schnell Verbesserungen zu erzielen.“ Lompscher forderte die Umverteilung des öffentlichen Raums, damit zum Beispiel Busse schneller fahren können.
U-Bahn-Diskussion als „völlige Quatschdebatte"
Fraktionschef Udo Wolf pflichtete ihr bei und nannte die U-Bahn-Diskussion „kreuzgefährlich“ am Beispiel von Pankow. Das sei eine „völlige Quatschdebatte. Sie suggeriert da ein Problem zu lösen“. Das sei aber nicht so. Wolf unterstrich die lange Planungszeit. Diese Debatte wecke eine „riesengroße Illusion“ für die Anwohner.
Es sei viel sinnvoller auf schnelle Lösungen und den Ausbau des ÖPNV oberirdisch zu setzen. Die Linke fordert den Senat – und damit die Grünen-Verkehrssenatorin Regine Günther – auf, in der ersten Jahreshälfte Anordnungen zur Ausweisung von Busspuren zu treffen und Vorrangschaltungen für den ÖPNV umzusetzen. Trotz Vereinbarungen im Koalitionsvertrag ließen die neuen Busspuren „weiter auf sich warten“.
Michael Grnst, Bürgermeister von Lichtenberg, machte deutlich, dass die Verkehrsverwaltung nicht den Eindruck erwecke, sie würde Verkehrsprobleme lösen. Er bekomme regelmäßig keine Antworten, wenn es um Verkehrsprobleme geht. „Bei den Menschen ist die blanke Verzweiflung da.“
Er wäre schon zufrieden, wenn der ÖPNV den Bedarf decken könnte. Jedes zweite Thema in der BVV sei der Verkehr. Deshalb stoße die U-Bahn-Diskussion auch auf positive Resonanz bei den Bürgern, obwohl sie keine aktuellen Probleme löse. „Wir brauchen ein klares Bekenntnis zum ÖPNV.“
[Berlins Südwesten träumt von zwei neuen U-Bahnlinien - hier die Geschichte aus dem Newsletter für Steglitz.-Zehlendorf. 180.000 Haushalte haben unsere Bezirksnewsletter abonniert - die gibt es in voller Länge, Bezirk für Bezirk hier: leute.tagesspiegel.de]
Im Gegensatz zu den Grünen sieht die Linke eine Citymaut für den Innenring „kritisch“, da diese Maut die Potenzierung von Verkehrsproblemen außerhalb des Rings hervorrufe. Auch eine „Zero Emission Zone“, die die Grünen bis 2030 in der Innenstadt realisieren wollen, ist für die Linke „rechtlich fragwürdig“. Stattdessen solle man gezielt den Ausbau autoarmer Kieze fördern. Dazu gehört die Förderung von Begegnungszonen oder Initiativen für temporäre Spielstraßen.
„Wenn wir so weitermachen, verspielen wir die Chancen“
Trotzdem machte der Fraktionschef Udo Wolf klar, dass die Linke die Koalition mit Grünen und SPD nach 2021 fortsetzen möchte. Die Parteisieht im rot-rot-grünen Bündnis „das strategische Bündnis für eine offene und demokratische Gesellschaft“. Bei allem „Klein-Klein“ in der Politik, sei die Koalition eine „Haltung in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung“, bekräftigte Wolf. Parteitaktische Spielereien sollten diese nicht aufs Spiel setzen.
["Ein U-Bahn-Tango tobt in der Stadt": Pankow streitet um den Neubau der U-Bahnlinie U10 - hier der Text im Pankow-Newsletter. 180.000 Haushalte haben unsere Bezirksnewsletter abonniert - die gibt es in voller Länge, Bezirk für Bezirk hier: leute.tagesspiegel.de]
Eine „gewisse Nervosität“ schaffe die Auseinandersetzung um die designierten Spitzenkandidaten bei SPD und Grünen. „Wenn wir so weiter machen, werden wir die Chancen von R2G verspielen“, sagte Wolf. Deshalb müsse man die inhaltlichen Gemeinsamkeiten hervorheben. Das „sensationellste Ergebnis“ davon sei der Mietendeckel.
Die Wahlen würden 2021 entschieden, nicht jetzt. Es sei völlig offen, wer die Wahl gewinne.
Klaus Lederer erinnert an die Morde von Hanau
Kultursenator, Bürgermeister und der designierte Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahl 2021, Klaus Lederer, erinnerte an die rechten Anschläge von Hanau und an Morddrohungen zum Beispiel gegen Parteichefin Katina Schubert. Die Programme gegen Rechtsextremismus müssten aufgestockt werden.
„Nicht mit Alarmismus, aber alarmiert“ müsse man mit rechtsextremistischen Bedrohungen umgehen. „Wie hältst Du es mit der Menschlichkeit“, sei die Frage einer Debatte, die nicht ohne CDU und FDP gehe. Damit reagierte Lederer indirekt auf die umstrittene Äußerung des SPD-Fraktionschefs Raed Saleh, der CDU und FDP in einem Beitrag aus dem demokratischen Spektrum ausgrenzte. Saleh revidierte seine Position später in einem Redebeitrag bei der Industrie und Handelskammer.
Die Koalition sei „stabil“, auch wenn es manchmal „etwas laut“ zugehe. „Diese Koalition passt wie keine andere zu dieser Stadt. Sie passt zum Zeitgeist.“ Und sie sei auch die Antwort gegen rechte Tendenzen. Rot-rot-grün habe eine Auftrag der Wähler bekommen.
Große Erwartungen würden dieser Koalition entgegengebracht. Man sei mit der Arbeit nicht fertig, die Koalition habe Veränderungen erreicht zum Beispiel in der Sozial- oder in der Wohnungspolitik. Das sei der Unterschied zur „Ankündigungspolitik“ der rot-schwarzen Vorgängerregierung in Berlin, sagte Lederer.
Die Linke setzt auf ihrer zweitägigen Klausur den Schwerpunkt auf die Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge. Neben Investitionen in die vorhandenen Strukturen, dem Ankauf von Boden durch einen Bodenfonds, den der Senat vor gut drei Wochen beschlossen hatte, will die Linke auch den S-Bahn-Betrieb „perspektivisch in kommunaler Hand“ haben.
Parteichefin Katina Schubert sprach von einer „Delegitimierungsstrategie“ gegen die Linke, wie das Thüringen gezeigt habe. Die Partei befinde sich in einer „Mehrfrontenauseinandersetzung“.
Sabine Beikler