„Verspinnerte Visionen“: Der große Streit um die U10 nach Pankow
„Wer soll das planen?“ – „Hier tobt ein U-Bahn-Tango!“ – „Das ist nicht die Wahrheit“: Hitzige Debatte zur U-Bahnlinie U10 vom Alex nach Pankow.
Berlin-Pankow streitet über die U-Bahn. Letzte Woche groß im Pankow-Newsletter, jetzt auch hitzige Debatte im Rathaus: Für den Bau der U10 vom Alexanderplatz nach Weißensee und weiter nach Blankenburg und Buch hatten sich unlängst die Pankower CDU und auch der SPD-Abgeordnete Tino Schopf stark gemacht. Diese Forderung erneuerte der CDU-Fraktionsvorsitzende Johannes Kraft im Rahmen der Diskussion um die Tramstrecke zur Erschließung des „Blankenburger Südens“.
„Die Straßenbahn braucht es dort weder in dieser Führung noch ganz grundsätzlich“, befand Kraft. Angesichts von mehr als 20.000 Neubauwohnungen im Norden Pankows müsse die U-Bahn geplant und gebaut werden.
Daraufhin formierte sich eine breite rot-rot-grüne Front gegen die U10; Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) höchstselbst griff in die Debatte ein. Kraft verbreite wissentlich „Unsinn“.
„Wer den Leuten weismachen will, dass ein U-Bahn-Bau möglich sei in den nächsten 15 Jahren, der spricht nicht die Wahrheit.“
Wäre er jemals zu finanzieren, würde der Bau mindestens 30 Jahre dauern. „Und wer soll diese U10 bitte planen?“, fragte Benn. „Wir haben heute schon einen erheblichen Fachplanermangel in der Verkehrsverwaltung.“
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„Für die strategische Entwicklung dieser Stadt brauchen wir vermutlich neue U-Bahn-Strecken“, räumte Benn zwar ein. „Die kann man frühzeitig anfangen zu planen, dann hat man sie in 30 oder 40 Jahren und kann dann anfangen, die Stadt zu erweitern.“ Aber für die dringend notwendige Realisierung der Bauprojekte im Pankower Norden und Nordosten werde die U-Bahn „kein Teil der Lösung sein können“. An dieser Stelle kam ein Zwischenruf aus dem BVV-Publikum: „Aber eine Seilbahn auch nicht!“ Benn hatte unlängst den Bau von Seilbahnen im Norden Pankows ins Gespräch gebracht.
„Auch in der Schärfe“ schloss sich die SPD den Worten Benns an. Der Fraktionsvorsitzende Roland Schröder verwies darauf, dass schon das bestehende U-Bahn-Netz extrem sanierungsbedürftig sei.
„Es fehlen haufenweise Fahrzeuge. Wir werden erleben, dass stark befahrene U-Bahnlinien deswegen künftig seltener befahren werden. Das ist die Realität.“ Man könne „irgendwelche verspinnerten Visionen heraushauen, das nützt aber den Menschen nichts. Wir brauchen keine U-Bahn ab 2050, sondern jetzt die Straßenbahn.“
Auch die Grünen verwiesen die U10 ins Reich der Fabel. „Bei zehn Kilometern U-Bahnlinie 10 bis 2050 wären wir in einem hohen dreistelligen Millionenbereich, wenn nicht eine Milliarde“, sagte Almuth Tharan. Die Erhöhung der Bundesmittel für den ÖPNV-Ausbau, auf die die CDU verweist, würde für eine neue U-Bahnlinie ohnehin nicht ausreichen, pflichtete Schröder bei. „Teilen sie zwei Milliarden durch 16 Bundesländer, dann sind wir bei 125 Millionen. Ein Kilometer U-Bahn-Bau kostet in Berlin aber 180 Millionen Euro.“
Berlin stünden Bundesmittel wegen der U55 und der S21 sowieso erst ab 2030 zur Verfügung – damit müsse aber erst einmal das Bestandsnetz saniert werden. „Ab 2040 können wir also anfangen, die Mittel einzusetzen – jedes Jahr ein Kilometer. Wenn wir dann anfangen am Alexanderplatz zu bauen, dann sind wir 2050 irgendwann im Blankenburger Süden – wenn nicht andere Linien von der Landesebene favorisiert werden.“
"In Berlin tobt der U-Bahn-Tango"
Den „U-Bahn-Tango, der gerade durch die Stadt tobt“, hielt auch Linkspolitiker Wolfram Kempe für einen nutzlosen Tanz. Zur U10 habe die DDR bereits 1979 eine Machbarkeitsuntersuchung durchführen lassen, sagte der Vorsitzende des Pankower Verkehrsausschusses: „Da ist man zu dem Schluss gekommen, auf die U10 Ost zu verzichten, weil die Kosten zwangsläufig aus dem Ruder laufen und der Untergrund unberechenbar ist.“ Außerdem sei der Planungshorizont für neue U-Bahnen noch bedeutend länger als von Benn dargestellt. Jeder Verweis auf die Erschließung der Neubaugebiete mit der U-Bahn sei daher „ein Vertrösten auf die Zukunft, nicht nur der Kinder, sondern der Enkel“.
Doch CDU-Mann Kraft ließ sich nicht beirren: Benn sei es, der „den Leuten etwas vormacht“, gab er zurück. „Sie können doch nicht ernsthaft glauben, dass man mit einer Straßenbahnlinie die ganzen Neubauvorhaben anschließen kann.“ Kraft verwies darauf, dass Benn selbst einen übergeordneten Verkehrsplan für den Pankower Norden von der Senatsverwaltung fordere. „Eine Straßenbahn mag günstiger sein, aber sie löst die Probleme nicht. Wir haben riesige Gebiete, die bebaut werden sollen. Man darf da nicht kleinklein in einzelnen Baugebieten denken, sondern muss großräumiger denken. Das gilt auch für die Verkehrslösungen.“ Krafts Logikschluss: „Wenn man keine U-Bahn hinkriegt, kann die Antwort nur sein, keine neuen Wohnungen zu bauen.“
Unterstützung für den U-Bahn-Vorstoß kommt von der Industrie- und Handelskammer. „Berlin braucht dringend einen Ausbau des U-Bahn-Netzes“, sagt IHK-Geschäftsführer Jörg Nolte. „Eine echte Mobilitätswende lässt sich nun einmal nicht allein mit Radwegen und Straßenbahnen bewerkstelligen.“ Vorrang sollten dabei diejenigen Linien haben, die das größte Potenzial für eine Verringerung des Individualverkehrs haben – Nolte nennt exemplarisch die Verlängerung der U7 zum BER.
Bei der BVG ist die U10 im Übrigen derzeit gar kein Thema – dafür eine andere U-Bahn-Linie durch Pankow. Die Verlängerung der U9 von der Osloer Straße bis zum S- und U-Bahnhof Pankow ist seit Jahren fertig geplant und befindet sich laut dem Artikel meines Kollegen Jörn Hasselmann unter den Top 3 der BVG-internen Prioritätenliste.
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