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Und jetzt du. Henkel und Grütters, fotografiert am Tag nach der Wahl.
© dpa

Nach Wahlniederlage und Sexismus-Vorwurf: Berlins CDU braucht Neuanfänge in Serie

Die krisengebeutelte Hauptstadt-CDU sucht Antworten auf Führungsfragen und Rezepte für bessere Außenwirkung. Eine Bestandsaufnahme.

Sie wissen nur, was sie nicht wollen: Streit, personelle Auseinandersetzungen, Grabenkämpfe wie damals in den Jahren nach 2001, als die schwarz-rote Koalition zerbrach. Fast zehn Jahre hat die Berliner CDU nach dem Macht- und Ämterverlust im Bankenskandal gebraucht, um wieder politikfähig zu werden, mit einer vorzeigbaren Parteiführung. Fast alle von denen, die sich jetzt Gedanken über die Zukunft der Union machen, kommen bald auf die Vergangenheit zu sprechen.

Dann äußern sie, je nach Temperament, die Hoffnung oder Erwartung, dass die Partei aus ihrer Vergangenheit gelernt hat – dass sie vor allem in der Opposition gelernt hat, sich nicht nur mit innerparteilichen Kontroversen zu befassen. „Permanent das Personal zu tauschen, ist falsch“, sagt ganz trocken Frank Steffel, Bundestagsabgeordneter, Kreischef der CDU Reinickendorf und derjenige, der in der Krise nach 2001 mehr gelitten hat als die meisten seiner Parteifreunde.

Die Zuversichtlichen unter den CDU-Strategen begründen ihren Optimismus jetzt mit der Person von Monika Grütters. Mit ihr steht eine Nachfolgerin für Frank Henkel bereit, die man in der deutschen Politik nicht mehr vorstellen muss. Die Kulturstaatsministerin bringt, wenn sie Henkels Parteiamt irgendwann in den nächsten Monaten übernommen haben wird, Möglichkeiten mit. Zum Beispiel die, Menschen aus der Kulturszene gerade jetzt für die Mitarbeit in der CDU zu gewinnen. Oder wie ein Parteifreund sagt: „Monika Grütters muss keine Akzente setzen – sie ist ein Akzent“.

Der Druck auf Henkel wächst

Noch aber schwebt die Berliner CDU irgendwo zwischen schwerer Niederlage und einem ungewissen Neuanfang. Wer auf der Suche nach Frank Henkel ist, der zurzeit auf öffentliche Auftritte verzichtet, wird ihn am 3. Oktober beim Fest zum Tag der Deutschen Einheit in Dresden finden. Ansonsten will der CDU-Landeschef noch bis zum 8. Dezember Innensenator sein, bis zur Regierungsbildung von Rot-Rot-Grün. Wann er sich öffentlich zum „Fall Behrends“, dessen Folgen und Begleitumständen äußern wird, ist offen. Er werde es bald tun müssen, sagen manche Parteifreunde.

Der Druck auf Henkel wächst, und es gibt Gerüchte, dass er nicht erst im Frühjahr 2017 den CDU-Landesvorsitz an die Nachfolgerin Grütters übergeben wird. Aber es gibt keine überzeugenden Indizien dafür, dass Henkel vom mächtigen Zwölfer-Club der CDU-Kreischefs in nächster Zeit gestürzt werden könnte. Die haben andere Sorgen. „Es gibt keine Geheimrunden“, sagt ein einflussreicher Kreisvorsitzender zu kursierenden Verschwörungstheorien. Die verunsicherte Parteibasis hat keine Putschgelüste.

Allerdings halten es Parteifreunde, die es gut mir Henkel meinen, für denkbar, dass er aus eigenem Entschluss früher als verabredet den Parteivorsitz niederlegen könnte. Schließlich sei er jetzt schon keine handelnde Person mehr im Gefüge der Landes-CDU, sondern im besten Fall noch ein Ratgeber. Angeblich hatte Henkel schon vor der Abgeordnetenhauswahl am 18. September gegenüber Vertrauten signalisiert, dass er bei einem Ergebnis „um die 18 Prozent“ noch am Wahlabend seinen Rücktritt anbieten werde.

Er wisse, was er dann zu tun habe, soll er gesagt haben. Zugunsten eines geordneten Verfahrens in der ohnehin chaotisierten Berliner CDU, die mit desaströsen 17,6 Prozent ins Abseits katapultiert wurde, macht er vorerst weiter. Aber er macht sicher auch deshalb weiter, vorerst, weil er die eigene politische Zukunft irgendwie sichern will. Das wird schwierig. Inzwischen sagen manche, es wäre doch besser gewesen, wenn Henkel gleich nach der Niederlage die Konsequenzen gezogen und Grütters um die kommissarische Übernahme des Parteivorsitzes gebeten hätte.

Wer soll ins Präsidium des Parlaments einziehen?

Nun grübeln sie in der CDU über den richtigen Zeitpunkt für Grütters’ Übernahme. Sie wollen, dass der Neuanfang wahrgenommen wird – also müssen sie warten, bis das politisch interessierte Berlin nicht nur auf den rot-rot-grünen Großversuch einer Koalitionsbildung guckt. Sie wollen, das hört man häufig, einen Abschied von Henkel, an dem sich „Anstand“ und „Dankbarkeit“ erkennen lassen, auch wenn seine „Krisenkommunikations-Leistung“ in den Wochen seit der Wahl eher mäßig sei. Sie wollen nicht, wie in den Jahren nach 2001, die Demontage ihrer Führungsleute in Serie fortsetzen.

Dafür muss dann doch eine Personalie entschieden werden – nämlich die, ob Henkel von der CDU-Fraktion als Vizepräsident des Abgeordnetenhauses vorgeschlagen wird oder Cornelia Seibeld. Von ihr heißt es, sie wolle ebenfalls in dieses Amt, denn sie glaube, dass man mehr daraus machen könne. Sie wolle aus dem Amt heraus Diskussionen beginnen, zum Beispiel über Werte-, oder Integrationsfragen oder über die Flüchtlingspolitik.

Seibeld ist von Beruf Rechtsanwältin und in der Südwest-CDU aktiv, und eine von vier Frauen in der 31 Abgeordnete zählenden Fraktion. Die, die Seibeld im Präsidium des Abgeordnetenhauses sehen wollen, weisen darauf hin, dass es ein Signal wäre, wenn die nicht gerade für ihre Gleichstellungspolitik berühmte CDU eine Frau als Parlaments-Vize vorschlage. Womöglich kommt es in der neuen CDU-Fraktion schon bald zu einer Kampfkandidatur zwischen Seibeld und Henkel.

Womöglich wird es auch spannend bei der Besetzung von Ämtern wie dem Fraktionsgeschäftsführer-Posten. Das war bisher Sven Rissmann, der Lebensgefährte von Cornelia Seibeld. Von Rissmann, organisiert im CDU-Kreisverband Mitte, heißt es auch, er sei ein Intimus von Henkel. Um die Männerfreundschaft zwischen den beiden und ihre Art, über Frauen zu sprechen, gab es vor Kurzem unschöne Behauptungen. Man kann sagen: Zwischen Rissmann, Henkel und Seibeld ist in der Folge der sogenannten Sexismus-Debatte das Private akut politisch geworden – und keiner weiß, welche Konsequenzen das haben wird.

"Moderne Großstadtpartei" ist nicht genau

Es muss sich also erst zeigen, was die CDU aus ihrer Vergangenheit gelernt hat. Im Januar beginnen die innerparteilichen Wahlen, neue Orts- und Kreisvorstände werden gewählt. Schon das macht viele Funktionäre nervös. Und der Wettbewerb um knappe Listenplätze für die Bundestagswahl 2017 hat begonnen. In der Südwest-CDU könnte es zu einer Kampfkandidatur kommen: Karl-Georg Wellmann, der Langstrecken-Abgeordnete mit Sinn für kommunale Themen, will antreten, ebenso wie Thomas Heilmann, noch-Justizsenator und Vorsitzender der CDU Steglitz-Zehlendorf.

Konstellationen wie diese habe gerade in der Südwest-CDU innerparteiliche Explosivkraft. In einem Kreisverband, ohne den in der Landespartei nichts geht. So gut wie sicher ist nur der erste Listenplatz für Grütters. Und der sechste Platz für die Neuköllnerin Christina Schwarzer. Dazwischen müssen sich die Männer drängeln. Der Kreisverband Mitte, in dem Henkel zu Hause ist, hat dabei keine hohe Priorität.

Bei so viel Personalfragen findet die dringend notwendige Analyse der Wahlniederlage bisher nicht statt. Neue Konzepte, um die Partei anziehender für alle zu machen, die in Berlin eine bürgerlich-konservative politische Heimat suchen, sind nicht in Sicht. In der CDU-Führung wissen sie immerhin, dass es nicht reicht, das Markenzeichen „moderne Großstadtpartei“ wie eine Monstranz vor sich herzutragen.

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