Finanzierung und Infrastruktur: Berlins Berufsschulen im digitalen Niemandsland
Wie ist es um die Digitalisierung der Oberstufenzentren bestellt? Die Verwaltung gibt nebulöse Antworten. Der Finanzbedarf fürs Digitale ist ungeklärt.
Zwischen Häme und Verzweiflung pendelten die Reaktionen, als die Bezirke kürzlich zugeben mussten, kaum etwas über die digitale Ausstattung ihrer Schulen zu wissen. Nun stellt sich heraus: Bei den vom Land verantworteten Berufsschulen sieht es nicht viel besser aus. Dies jedenfalls legen die Antworten nahe, die die FDP-Abgeordnete Maren Jasper-Winter jetzt auf ihre Anfrage zur „Digitalen Infrastruktur der Oberstufenzentren“ bekam.
Finanzbedarf? Keine Ahnung
Die berufsschulpolitische Sprecherin der Liberalen hatte wissen wollen, was an digitaler Infrastruktur schon vorhanden sei, welchen weiteren Bedarf die Oberstufenzentren (OSZ) angemeldet hätten und was das Ganze kosten sollte. Doch alle drei Fragen werden nicht beantwortet.
Die Antwort, die Bildungs-Staatssekretärin Beate Stoffers (SPD) lieferte und die dem Tagesspiegel vorab vorliegt, liest sich wie ein kläglicher Versuch, die Informationslücken zu vertuschen. „Im Rahmen der Erstellung einer Gesamtstrategie zur Digitalisierung müssen viele Voraussetzungen erfüllt werden und die Verknüpfung der Prozesse gewährleistet sein“, schreibt Stoffers nebulös und zählt ansonsten noch auf, dass zum „Gesamtkonzept“ eine Breitbandanbindung, eine strukturierte Verkabelung, flächendeckende WLAN-Ausstattung, Endgeräte, das pädagogische Konzept und das Support- und Wartungskonzept gehörten.
Zudem hätten die Schulen „einen grundsätzlichen Bedarf" an einer Internetanbindung im Umfang von einem Gigabit je Standort angemeldet. Der Finanzbedarf könne aber „aufgrund der gesamtheitlichen Betrachtung noch nicht in der Gesamtheit ermittelt werden“, fügt Stoffers umständlich hinzu.
Kompetenzgerangel statt digitaler Anbindung
Berlins Berufsschulen sollten eigentlich weiter sein. Diese Erwartung hatten zumindest Senat, IHK und Arbeitsagentur formuliert, als sie vor genau zwei Jahren ihre „Erklärung zur Digitalisierung in der Berliner Aus- und Weiterbildung“ vorlegten. Dort wurde gefordert, dass „berlinweite Mindeststandards“ für die Ausstattung der OSZ definiert werden müssten, denn sie seien „die Voraussetzung für die Nutzung digitaler Unterrichtsmedien“ und für die Vermittlung digitaler beruflicher Handlungskompetenzen: Beides sei nötig, denn Auszubildende sollten, so die Erwartung, aus den Berufsschulen digitale Kompetenzen und Innovationen in kleine und mittlere Unternehmen tragen.
Der einzige „Standard“, der bislang festzustehen scheint, ist die Ausstattung aller Berufsschulen mit besagtem Ein-Gigabit-Anschluss, damit überhaupt alle Schulklassen gleichzeitig online arbeiten können. Auch dies war bislang nicht selbstverständlich, vielmehr lieferten sich die Senatsverwaltungen für Inneres und Bildung sowie das IT-Dienstleistungszentrum des Landes Berlin (ITDZ) ein rund einjähriges Kompetenzgerangel, bis das Tempelhofer OSZ für Logistik, Touristik und Steuern (Lotis) soeben als erste Berliner Berufsschule den Anschluss an das Glasfasernetz bekam: Demnächst soll dieser überfällige „Durchbruch“ mit in einer großen Pressekonferenz gewürdigt werden. Zum Vergleich: In Hamburg sind längst alle Schulen am Glasfasernetz, viele andere Länder stehen aber auch so schlecht da wie Berlin.
Einer Schulleiterin platzte der Kragen
Wobei allein schon Tatsache, dass die Wahl auf das OSZ Lotis fiel, ein Kuriosum ist, denn Auslöser für diese Priorisierung soll dem Vernehmen nach die Tatsache gewesen sein, dass Schulleiterin Angela Hesse bei einem Wirtschaftsfrühstück der IHK der Kragen geplatzt war: Sie sprach dort den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) darauf an, dass ihre große Schule mit einer Verbindung auskommen müsse, die zwar für einen Drei-Personen-Haushalt, nicht aber für über 2000 Schüler reichen könne.
Müller teilte Hesses Empörung, wird berichtet, und so nahmen die Dinge den für das Lotis günstigen Verlauf, dass es zu einer Art Modellschule wurde: Noch 2019 sollen dann alle Berufsschulen den erstrebten Breitbandanschluss erhalten.
Der Rest allerdings dürfte noch dauern, denn es gibt viel aufzuholen. So ist bislang nur ein Bruchteil der Berufsschulen mit WLAN ausgestattet.
Kein Konzept für "Bring-Your-Own-Device"
Aber noch an anderen Punkten ist die Realität der Berufsschulen weit weg von dem, was sich die Sonderkommission vor zwei Jahren vorgestellt hatte. So wollte sie, dass zur Einbindung mobiler Endgeräte in den Berufsschulunterricht ein Konzepts für eine „Bring-Your-Own-Device“-Strategie entwickelt werden sollte. Die Anfrage Jasper-Winters ergab nun aber, dass dieses Konzept „nicht vorliegt“. Mehr noch: „Smartphones werden grundsätzlich nicht im Unterricht eingesetzt“, schreibt Stoffers kategorisch.
Auch sonst scheint das, was die Sonderkommission aus Senat, Arbeitsagentur und IHK forderte, nicht in Stein gemeißelt zu sein. Das gilt etwa für die Einführung einer digitalen „Schülerverbleibstatistik“, um nachvollziehen zu können, wie viele Schüler nach der Schule studieren, in die Ausbildung gehen oder den direkten Weg nach Hartz IV antreten. Da Berlin noch immer nicht die seit über zehn Jahren geplante Schülerdatei hat, ist an eine solche Verbleibestatistik nicht zu denken.
„Die Antwort des Senats lässt trotz weniger Informationen tief blicken“, kommentiert Jasper-Winter Stoffers Ausführungen. Es sei „erschreckend“, wo die Berufsschulen in Sachen digitale Ausstattung stünden. Die Berliner Koalition stehe „immer noch ganz am Anfang“.