Berliner Bildungsverwaltung: IT und Schule: Neue Hoffnung im Millionengrab
Seit 2008 arbeitet Berlin an einer Schülerdatei. Erst jetzt wurde die erste Schule angeschlossen. 20 Schulen können bis zum Sommer folgen.
Um genau zu wissen, wie viele Lehrer man braucht, muss man genau wissen, wie viele Schüler es gibt. Solche Genauigkeit gibt es nur mit einer Datenbank. Dieser schlichte Gedanke führte 2008 zum Startschuss für eine millionenschwere IT-Offensive der Bildungsverwaltung, die bisher vor allem eines gebracht hat: Ärger. Nach einem jahrelangen Fehlstart konnte Bildungs-Staatssekretär Mark Rackles (SPD) am Montag den offiziellen Neustart verkünden – an einer einzigen Schule. Bis 2019 sollen allerdings auch die anderen 1000 Schulen mit der Lehrer- und Schülerdatenbank (LUSD) verbunden sein. Wenn diesmal alles gut geht.
Das Konzept wirkt einfach – zumindest am Schreibtisch von Angela Thiele. Die Leiterin der Grundschule am Koppenplatz in Mitte hat sich schon vor Jahren auf den Weg zu einer papierfreien Schule gemacht. Umgeben von Rackles sowie Spezialisten des IT-Dienstleistungszentrums (ITDZ) des Landes Berlin führte Thiele am Montag vor, wie LUSD funktioniert: mit einer einfachen Maske auf dem Desktop, in dem alle relevanten Daten eines Schülers eingetragen werden wie Name, Geburtsdatum, Notfallnummern, Familiensprache, Nationalität – all das, was früher für jeden neuen Schüler auf einer Karteikarte vermerkt werden musste.
Schüler sollen nicht mehr "verschwinden"
Der entscheidende Unterschied: Jeder Schüler bekommt eine Identifikationsnummer, sodass weder Doppelanmeldungen möglich sind noch ein „Verschwinden“ vor Ablauf der Schulpflicht. Zudem müssen die Daten bei einem Schulwechsel nicht erneut eingegeben werden: Auch das ist relevant angesichts von jährlich zehntausenden Schulwechslern - etwa von der Grund- zur Oberschule oder von dort zum Oberstufenzentrum. Und es hilft auch den Schulen mit mehreren Standorten, wie Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) betonte.
Was in Angela Thieles Büro einfach wirkt, ist ein schwieriges Unterfangen, denn es geht um viel mehr als nur um die einfachen Schülerdaten: Jede Schule hat in den vergangenen Jahrzehnten unterschiedlichste Verfahren entwickelt, um Informationen zu speichern – von Excel-Tabellen mit aktuellen Daten bis hin zu „alten Festplatten mit Abiergebnissen von 1980“ wie Rackles es ausdrückte. „Es ist sehr aufwändig, diese verstreuten Daten zu sammeln, von Viren zu befreien und sie an das ITDZ zu übermitteln“, umriss der verantwortliche LUSD-Experte Kay Hansen seine Aufgabe. Dazu muss jede Schule ein- oder zweimal besucht werden, was bei rund 1000 Schulen schon an sich eine Herausforderung ist. Noch vor einem Jahr hatte die Verwaltung angegeben, dass alle Schulen bis 2018 angeschlossen sein werden.
Die Datenschutzbeauftragte hat "keine grundsätzlichen Bedenken mehr"
Das ist aber nicht alles. Hinzu kommt, dass viele Schulen längst eigene Softwarelösungen – etwa für die Stundenplanerstellung – gefunden haben, mit denen sie zufrieden sind, die sie nun aber gegen zentrale Lösungen austauschen sollen: Einzelne haben schon Gegenwehr angekündigt. Andererseits gibt es auch Schulen, die „händeringend“ auf die zentrale Lösung warten, wie Rackles sagte. Die ersten 20 von ihnen sollen noch vor den Sommerferien an LUSD angeschlossen und „von Bürokratie befreit werden“, wie die Verwaltung verspricht.
LUSD war 2015 aus Hessen übernommen worden, wo es für alle über 2000 Schulen "zur großer Zufriedenheit im Einsatz ist“, wie Hansen betonte. Zuvor hatte der frühere Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) aus Datenschutzgründen auf eine dezentrale Lösung mit großen Servern und speziellen Serverräumen an jeder Schule gesetzt, was aber 2014 als veraltet und und nicht mehr nötig verworfen wurde. Auch wenn die Daten jetzt zentral im ITDZ zusammengeführt würden, bleiben sie doch die Daten der einzelnen Schule: „Den gläsernen Schüler wird es nicht geben“, verspricht Rackles. "Grundsätzliche Bedenken bestehen aus datenschutzrechtlicher Sicht nicht mehr", teilte die Behörde der Datenschutzbeauftragten auf Tagesspiegel-Anfrage mit.
ITDZ-Leiterin Ines Fiedler stellte den Schulen in Aussicht, "dass die Störanfälligkeit verringert, die Arbeitsprozesse sicherer und die Kosten für den Unterhalt der IT-Infrastruktur reduziert werden". Durch den zentralen Serverbetrieb seien die Daten im ITDZ Berlin in einem Netzwerksegment "mit höchster Sicherheitsstufe" angesiedelt.
Der Schaden wird offiziell auf drei Millionen Euro beziffert
Unklar ist, wie viel Geld durch den verworfenen Ansatz vergeudet wurde. Der Rechnungshof hatte bereits 2014 angemahnt, dass bis zu 16 Millionen Euro verschwendet worden seien - etwa für überdimensionierte Server, für die sogar noch klimatisierte Serverräume ausgebaut werden mussten. Was die Serverräume gekostet haben, ist der Verwaltung nicht bekannt, wie Rackles in der Antwort auf eine Anfrage des damaligen grünen Abgeordneten Thomas Birk zugab. Der Staatssekretär gibt den „vollen Schaden“ für die Jahre 2011 bis 2014 mit nur drei Millionen Euro an. Tatsache ist, dass laut Hauptausschuss schon 2015 rund 38 Millionen Euro in das Projekt "egovernment@school" geflossen waren, ohne dass die Schülerdatenbank auch nur ansatzweise existierte. Inzwischen dürften es rund 45 Millionen Euro sein.
Die Bildungsverwaltung führt aus, dass das meiste Geld nicht verschwendet sei, sondern dass die damit angeschafften Rechner, Drucker und Server tatsächlich im Schulbetrieb im Einsatz seien. Auch das Geld für die Lizenzen für die verschiedenen Softwareprodukte sowie für Beratungsleistungen sei gut angelegt gewesen. Allerdings standen etliche Rechner und Server jahrelang herum, weil sie nicht benutzt werden sondern auf ihren Einsatz für die dezentrale Zöllner-Lösung warten sollten. Sie sind somit inzwischen veraltet, ohne in Betrieb gewesen zu sein.
Zudem gibt es bei der zentralen ITDZ-Lösung keine Notwendigkeit für die angeschafften Hochleistungsserver, die 10.000 Euro kosteten: Sie können jetzt zwar für den "unterrichtlichen Bereich" genutzt werden, wie Scheeres' Sprecherin Beate Stoffers betont, aber für diese Zwecke wären derart anspruchsvolle Geräte nicht notwendig gewesen. Letztlich sind pro Schule inzwischen im Schnitt schätzungsweise rund 45.000 Euro verausgabt wurden, ohne dass elementare Ziele von egovernment@school erreicht wurden.