Schulabgänger im Berliner Brennpunkt: Wenn die duale Ausbildung zum Fremdwort wird
Im Senat herrscht Unklarheit darüber, wie viele Schulabgänger eine duale Ausbildung beginnen. Klar ist: Ihre Zahl ist vor allem bei Migranten gering.
Da ist diese eine Zahl, die kursiert. Mal zitiert im Abgeordnetenhaus, mal in einer der vielen Runden, die sich über die Perspektivlosigkeit im sozialen Brennpunkt austauschen. Dann geht ein Raunen durch die Runde und alle wiegen die Köpfe.
Die Zahl hat mit Berlins Armenhaus zu tun, mit dem Bezirk Mitte. Hier wurden die Sekundarschulen befragt, wie viele ihrer Schüler nach der zehnten Klasse eine duale Ausbildung beginnen. Das Ergebnis lautete: 60 von 1080 Abgängern – mithin 5,6 Prozent. Rund 500 Schüler „sind arbeitslos oder besuchen Maßnahmen, die nicht zu einem Berufs- oder Bildungsabschluss führen“, heißt es einem internen Bericht, der der grünen Abgeordneten Stefanie Remlinger zugespielt wurde. Wer mehr erfahren will über die Herkunft dieser Zahlen oder über die Lage in den anderen Bezirken, geht leer aus.
Die Bildungsverwaltung verweist auf die neue Jugendberufsagentur, die an diesem Mittwoch ihren Betrieb aufnimmt: Sie solle ein „genaueres Bild“ davon vermitteln, „welchen Weg die Jugendlichen nach der Schule gehen“, erwartet der Sprecher der Bildungsverwaltung, Thorsten Metter. Ähnlich lautet die Auskunft seitens IHK und Senatsverwaltung für Arbeit.
Nur jeder zehnte Sekundarschüler landet in dualer Ausbildung
Schätzungen besagen, dass berlinweit nur jeder zehnte Sekundarschüler den direkten Weg in die duale Ausbildung findet. Im sozialen Brennpunkten sind es noch weniger. Und am wenigsten in Mitte, wo die Quote bei besagten 5,6 Prozent liegt und der Migrantenanteil bei 80 Prozent. Eine Sekundarschule im Bezirk, die nicht genannt werden möchte, berichtet, dass 2014 nur sechs von über 120 Absolventen eine betriebliche Ausbildung begonnen haben; vier von ihnen gaben auf, „weil die Eltern nicht dahinter standen, oder weil es den Schülern zu anstrengend war“, wie der Rektor resümiert. Diese Bilanz ist für die Schule vor allem deshalb niederschmetternd, weil die Schüler „von hinten bis vorn gepimpt und beraten“ worden seien, um einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Einen Grund für den Misserfolg sieht der Schulleiter in der „Sozialisation“ der Schüler: „Sie bekommen bestimmte Dinge nicht vorgelebt.“ Oft habe in der Familie kaum jemand einen Beruf. „Die Schüler erfahren, dass sich auch ohne Arbeit ganz gut leben lässt. Darum sehen sie nicht ein, warum sie um sechs Uhr aufstehen und acht Stunden lang schuften sollen“, berichtet eine Schulleiterin im selben Bezirk.
"Berlin braucht Dich", wendet sich an Migranten
Das Problem ist nicht neu. Schon 2006 startete der Senat die Kampagne „Berlin braucht Dich“, die sich speziell an Jugendliche mit Migrationshintergrund wandte. Seither ist es zumindest im öffentlichen Dienst gelungen, den Anteil der Azubis aus Zuwanderungsfamilien von acht auf 20 Prozent zu steigern. Doch ihr Anteil bei den unter 20-Jährigen liegt bei mehr als 40 Prozent. In der Wirtschaft sieht es noch düsterer aus. Die jüngste IHK-Umfrage unter Auszubildenden ergab zuletzt, dass nur 16 Prozent von ihnen einen Migrationshintergrund angaben. „Berlin braucht Dich“ will daher versuchen, die „besten Betriebe der Stadt dafür zu gewinnen, auch den schwierigsten Schülern eine Chance zu geben“, nennt Geschäftsführer Klaus Kohlmeyer das Ziel.
In Neukölln arbeiten IHK und AWO zusammen
Auch andere Initiativen versuchen, dem Problem Herr zu werden und Perspektiven zu schaffen. Die IHK etwa fördert das Projekt "Brückenbauer" der Arbeiterwohlfahrt, das an der Hermann-von-Helmholtz-Schule in Neukölln angesiedelt ist und zum Ziel hat, 80 Prozent der Absolventen in duale Ausbildung zu vermitteln. Neben der AWO gehören auch freie Träger wie das SOS Kinderdorf oder das Christliche Jugenddorf zu den Trägern, die den Sekundarschulen zur Seite stehen, und die so genannte vertiefte Berufsorientierung anbieten.
Grüne fordern volle Stellen für Berufsberater an Brennpunktschulen
Sie alle haben es leichter, seitdem der Senat im März das Landeskonzept für Berufs- und Studienorientierung beschloss: Es sieht vor, dass die Schüler von der siebten Klasse an auf den Übergang nach der Schule vorbereitet werden. "Anders als zunächst geplant, bekommen die Schulen dafür aber nicht sechs sondern nur zwei zusätzliche Lehrerstunden zugebillgt", kritisiert Bildungspolitikerin Remlinger. Sie fordert, dass zumindest den Brennpunktschulen ein Berufsberater mit voller Stelle zugebilligt wird. „Er könnte sich auch um die Vermittlung hochwertiger Praktikumsplätze kümmern“, schlägt Remlinger vor. Bei den aktuellen Haushaltsverhandlungen konnte sie dies allerdings nicht durchsetzen.
In Mitte lässt die Jugendberufsagentur noch auf sich warten
Hohe Erwartungen hat Remlinger an die neue Jugendarbeitsagentur, die den Schüler noch passgenauer als bisher Angebote unterbreiten soll. Zunächst startet sie allerdings nur in Friedrichshain-Kreuzberg, Spandau, Marzahn-Hellersdorf und Tempelhof-Schöneberg. Ausgerechnet Mitte muss noch bis Ende 2016 warten.
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