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Vollgeparktes Gleisgelände. Die internationale Bahnverkehrsmesse InnoTrans fand zuletzt im September 2018 statt.
© Messe Berlin GmbH / obs

Streit um Corona-Notklinik: Berliner Wirtschaft macht sich für die Messe stark

IHK und Unternehmensverbände fordern, das Behandlungszentrum auf dem Messegelände für InnoTrans, ITB und Grüne Woche abzubauen. Senat und Koalition sind uneins.

Die Berliner Wirtschaft macht Druck. Nach der Industrie- und Handelskammer (IHK) fordert auch die Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg (UVB), dass im nächsten Jahr wieder große Messen in der Hauptstadt stattfinden können.

„Auf Basis der jetzt vorliegenden Erkenntnisse“ werde das Corona-Krankenhaus auf dem Messegelände, das in der Halle 26 untergebracht ist, nicht benötigt, sagte UVB-Hauptgeschäftsführer Christian Amsinck dem Tagesspiegel. Es sollten deshalb die „Voraussetzungen geschaffen werden, dass die Leitmesse InnoTrans - wie auch weitere Messen - 2021 stattfinden können“.  

Wie berichtet, bereitet die landeseigene Messe GmbH die internationale Bahnverkehrsmesse InnoTrans für Ende April 2021 bereits mit Hochdruck vor. Dafür wird auch die große Halle 26 mit dem benachbarten Gleisgelände benötigt. Das provisorische Corona-Behandlungszentrum, das dort seit Mai ohne Patienten und Personal mit bislang 88 Betten im Standby-Betrieb steht, müsste also rechtzeitig abgebaut werden.

Stattdessen hält Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) nicht nur an dieser ersten Ausbaustufe, sondern auch an den Erweiterungsplänen für die Notfallklinik fest. Um auf insgesamt 1000 Betten zu kommen, müssten die Messehallen 25 und 23 umgebaut werden.

Bislang macht sich im rot-rot-grünen Senat nur die Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) für die Belange der Messegesellschaft stark. Nun kommen ihr die Berliner Wirtschaftsverbände zu Hilfe. „Ziel muss es sein, die massiven Einbußen infolge der Coronakrise für die Messe Berlin, die Hotellerie und das Gaststättengewerbe so weit wie möglich zu begrenzen“, fordert Amsinck. Die Nutzung des Messegeländes sei für den Wirtschaftsstandort Berlin von sehr großer Bedeutung.

IHK-Präsidentin Kramm: „Wir brauchen den Blick nach vorn“

Die IHK Berlin empfiehlt dem Senat, „das temporäre Krankenhaus bis Ende des Jahres abzubauen und das Messegelände wieder für Messen und Kongresse zur Verfügung zu stellen“. Alles andere hätte fatale Auswirkungen auf die Großmessen im nächsten Frühjahr. Nicht nur für die InnoTrans, sondern auch für die Tourismusmesse ITB und die Grüne Woche.

„Alles deutet darauf hin, dass das Berliner Gesundheitssystem gut aufgestellt ist, wir brauchen jetzt den Blick nach vorn“, sagte IHK-Präsidentin Beatrice Kramm. Es drohe ansonsten weiterer Schaden für Unternehmer und Arbeitnehmer, der finanziell nicht mehr aufzufangen sei.

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Im Jahr 2018 hätten Messen und Kongresse in Berlin 2,6 Milliarden Euro Umsatz und 330 Millionen Euro Steuereinnahmen generiert sowie 44.000 Arbeitsplätze gesichert, so Kramm. Selbstverständlich sei eine anspruchsvolle Abwägung zwischen Gesundheitsvorsorge und wirtschaftlichen Interessen notwendig. Deshalb sei es auch beruhigend zu wissen, dass sich die Coronaklinik „in kürzester Zeit wieder aufbauen ließe, sollten wir zusätzliche Bettenkapazitäten benötigen“.

Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Bündnis 90/Die Grünen). 
Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Bündnis 90/Die Grünen). 
© Jörg Carstensen/dpa

Auch der CDU-Wirtschaftspolitiker Christian Gräff vertritt die Meinung, dass die Messe GmbH „für ihre Projekte dringend Kapazitäten“ brauche. Er spricht sich vor allem gegen die Erweiterung des „Geister-Krankenhauses“ aus und warnt die Koalition vor voreiligen Beschlüssen.

Dagegen hält Lars Lindemann, Generalsekretär der normalerweise sehr wirtschaftsnahen Berliner FDP, „Diskussionen über den Rückbau des Behelfskrankenhauses für verfrüht“. Berlin brauche eine Reserve für eine mögliche zweite Welle, zudem könne das Behandlungszentrum ein Standort „zur Unterstützung unserer europäischen Partner“ werden.

Die Notklinik soll erst in der „vierten Eskalationsstufe“ eingesetzt werden

Seit Ende Mai stehen in der Messehalle 26 die ersten 84 Betten für Covid-19-Patienten bereit. „Ein Mix aus Krankenhaus und Feldlazarett“, wie die Gesundheitssenatorin sagte. Dort können insgesamt 488 Kranke untergebracht werden. Weitere 320 Betten will Senatorin Kalayci in der Halle 25 aufstellen, zusätzliche 192 Behandlungsplätze könnten in Halle 23 Platz finden.

Nach dem Corona-Notfallkonzept, das unter Federführung der Charité im März erarbeitet wurde, ist das Behandlungszentrum auf dem Messegelände allerdings nur für leichtere Fälle gedacht - und es soll erst in einer „vierten Eskalationsstufe“ zum Einsatz kommen, falls alle anderen Betten- und Intensivkapazitäten in Berlin ausgereizt sind.

Das Corona-Behandlungszentrum Jafféstraße (CBZJ) auf dem Berliner Messegelände.
Das Corona-Behandlungszentrum Jafféstraße (CBZJ) auf dem Berliner Messegelände.
© Kay Nietfeld/dpa

Zurzeit sind fast 8000 der 20.000 Krankenhausbetten in der Stadt frei. Die Zahl der Corona-Patienten, die stationär behandelt werden müssen, lag am Sonntag bei 118. Davon mussten 30 auf der Intensivstation versorgt werden.

Selbst auf dem Höhepunkt der ersten Welle Ende März, als täglich über 200 neue Infektionsfälle registriert wurden und rund 600 Klinikbetten mit Covid-19-Patienten belegt waren, war das Berliner Gesundheitswesen zwar gestresst, aber bei weitem nicht überlastet. Das Problem war eher, dass Pflegepersonal und Schutzausrüstungen fehlten.

Finanzierung ist noch nicht gesichert

Trotz der guten Situation in Berlin, im Vergleich zu anderen Bundesländern und dem europäischen Ausland, hält die Gesundheitsverwaltung an ihren Erweiterungsplänen für die Notklinik fest. Und redet erst gar nicht darüber, die Halle 26 für die Messe freizuräumen. Für einen Ausbau braucht Kalayci nach der parlamentarischen Sommerpause aber die Unterstützung der Koalitionsfraktionen, denn die Finanzierung ist noch nicht gesichert.

Für die erste Ausbaustufe des Behandlungszentrums mit 488 Betten wurden schon 24,6 Millionen Euro ausgegeben. Das war preiswerter als geplant. Es blieben 6,7 Millionen Euro übrig, die für die teure technische Umrüstung der Nachbarhalle 25 eingesetzt werden können. Es geht um den Einbau von Traversen, die Versorgung mit Wasser, Strom, medizinischen Gasen, Fernmeldetechnik und Aufrüstung der Klimaanlagen.

Abgeordnetenhaus hat dem Ausbau des Bedarfszentrums noch nicht zugestimmt

Um die Notklinik auszubauen, müsste das Abgeordnetenhaus zusätzlich 15 Millionen Euro Baukosten und knapp 21 Millionen Euro für Betriebs- und Mietkosten freigeben. So steht es im Entwurf für einen zweiten Nachtragshaushalt, der nach den Sommerferien im Parlament beraten wird. Von der dritten Ausbaustufe in Halle 23 ist keine Rede mehr. Im Senat hat sich bisher nur Wirtschaftssenatorin Pop positioniert - gegen das Behandlungszentrum, für die Messe.

Beatrice Kramm, Präsidentin der IHK Berlin.
Beatrice Kramm, Präsidentin der IHK Berlin.
© IHK Berlin/Oliver Lang

Das bringt ihr jetzt einen strengen Tadel des SPD-Fraktionsgeschäftsführers Torsten Schneider ein. Die „unabgestimmten Einlassungen“ der Grünen-Politikerin im Tagesspiegel würden der „Abwägungsobliegenheit guten Regierens nicht gerecht, sondern wirken spielerisch“. Die Teilerrichtung des Behandlungszentrums, die der Senat im März beschloss, als die Corona-Pandemie auch in Berlin bedrohliche Züge annahm, sei eine fundiert richtige Entscheidung gewesen, so Schneider.

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Aber er sagt auch: „Wir messen der wirtschaftlichen Entwicklung Berlins als Messestandort eine hohe Bedeutung zu“. Sowohl ein Rückbau wie auch eine Erweiterung der Notklinik auf dem Messegelände müsse vom Senat plausibilisiert werden. Bisher seien der SPD-Fraktion „substanzielle Abwägungen“ der Regierung nicht bekannt.

Der Fraktionsgeschäftsführer der Linksfraktion, Steffen Zillich, wird deutlicher. „Ich halte es für richtig, dass große Messen, die für Berlin von herausragender wirtschaftlicher Bedeutung sind, für 2021 geplant werden.“

Finanzsenator Matthias Kollatz legt sich noch nicht fest

Nicht nur für die InnoTrans, auch für die Grüne Woche werden die Halle 26 gebraucht, so Zillich. Als „Vorhalteprojekt“ sei das Corona-Behandlungszentrum eh zeitlich begrenzt. Außerdem seien die laufenden Kosten für die leerstehende Notklinik eine große finanzielle Belastung für den Betreiber, das landeseigene Krankenhaus-Netzwerk Vivantes.

Auch die Grünen-Fraktionschefin Silke Gebel hält nichts davon, die Corona-Klinik zu erweitern. Sie schlägt aber vor, das bestehende Notkrankenhaus frühestens im Frühjahr 2021 abzuräumen. Nach der Erkältungssaison. Dann wisse man, ob bei einer zweiten großen Welle die Kapazitäten für Corona-Patienten reichen.

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Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD), der das Land Berlin in der Gesellschafterversammlung der Messe GmbH vertritt, legt sich in der Diskussion um die Zukunft der Coronaklinik derzeit nicht fest. „Wir alle hoffen, dass sich auch das Messegeschäft im kommenden Jahr wieder in Richtung Normalbetrieb entwickeln wird“, sagte er dem Tagesspiegel. „Hier wird aber im Moment noch niemand eine Vorhersage wagen.“ Wichtig sei, dass Berlin für den Fall steigender Infektionszahlen gewappnet bleibe.

Auch Stefan Franzke, Geschäftsführer von „Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie“, will kein Öl ins Feuer gießen. „Ich warne davor, gleichermaßen berechtigte Interessen gegeneinander auszuspielen.“ Sowohl das Behandlungszentrum wie Messen und Kongresse würden benötigt. „Und Lösungen findet man besser miteinander und nicht gegeneinander.“

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