Enteignungsdebatte: Berliner Verfassungsrechtler verteidigt sein Gutachten
Helge Sodan sieht sein Gutachten nicht als "Gefälligkeit", wie Kritiker behaupteten. Das Grundrecht auf Eigentum ist durch die Berliner Verfassung geschützt.
Dass Pressekonferenzen mit persönlichen Bemerkungen beginnen, damit ist allenfalls bei Rücktritten und schweren Zerwürfnissen zu rechnen – eher nicht bei der Vorstellung eines Rechtsgutachtens über die deutsche Verfassung. Aber die Zeiten sind danach, und die Angst um die eigene Wohnung hat zu einer neuen Politisierung geführt, die im Hyperspeed von sozialen Netzwerken wie Twitter Ereignisse vorwegnimmt, beurteilt und einordnet, noch bevor sie eigentlich eingetreten sind: gleichsam vorverurteilt.
Angefasst davon zeigte sich der renommierte Verfassungsrechtler Helge Sodan. Den hatte Berlins größter Wohnungsverband BBU um die Bewertung der „Verfassungsmäßigkeit“ von Vergesellschaftungsplänen der Volksinitiative „Deutsche Wohnen enteignen“ gebeten. Ein „Gefälligkeitsgutachten“ komme da, twitterte ein Bündnis von 108 Mietern, dessen Genossenschaft der BBU auch vertritt.
Als „dreiste Behauptung“ wies Sodan diesen Vorwurf scharf zurück. Er sei auch nicht branchennah, habe für sich „immer Unabhängigkeit beansprucht“. Überhaupt nehme er keineswegs jeden Auftrag an, im Gegenteil, aussichtslose Begehren lehne er ab – und das hätte er auch in diesem Fall getan, wenn es denn so wäre.
Ist es aber in diesem Fall nicht, wie Sodan urteilt. Zur Beweisführung zerlegt der Staatsrechtler präzise unsere Verfassung in seine Artikel und Begriffe. Das seiner Einschätzung nach „stärkste“ Argument gegen eine Vergesellschaftung der börsennotierten Deutsche Wohnen nach Artikel 15 des Grundgesetzes: Die Landesverfassung Berlins selbst sehe überhaupt keine Vergesellschaftung vor. Zwar sei es richtig, dass Bundesrecht Landesrecht breche. Hier aber nicht: Denn die Berliner Verfassung schütze ein fundamentales Grundrecht sogar noch besser als das Bundesrecht, nämlich jenes aufs Eigentum. Und die Legitimität der Berliner Verfassung stehe außer Frage: Sie sei 1995 durch eine Kommission unter Leitung von Renate Künast reformiert und per Volksvotum bestätigt worden.
Keine "sozialisierungsfähige Güter"
Verfassungswidrig sei ferner der Plan, alle Firmen mit Gewinnabsicht und mehr als 3000 Wohnungen zu vergesellschaften. Es widerspreche dem „Gleichheitsgrundsatz“, noch so eines der Grundrechte laut Verfassung, dass Firmen ab einer konkreten Schwelle (ab 3000 Wohnungen) „herausgepickt“ werden.
Mehr noch: Die Wohnungen könnten überhaupt nicht vergesellschaftet werden, weil „es sich nicht um sozialisierungsfähige Güter handelt“. Wohnungen seien eben keine „Produktionsmittel“ und dieser im Gesetz gewählte Begriff schränke das vergesellschaftsungsfähige Merkmal „Grund und Boden“ ein.
„Unverhältnismäßig“ sei eine Vergesellschaftung von Wohnungen dazu noch. Weil keine Wohnung mehr entstehe. Und nicht die Allgemeinheit profitiere, sondern „lediglich derzeitige Mieter“. Sodan verwies im Gespräch darauf, dass der Gesetzgeber bisher noch keineswegs alle rechtlichen Möglichkeiten zur Bekämpfung der Wohnungsnot ausgeschöpft habe: Zumutbar sei ein Erwerb der Immobilien von „bis zu zehn Unternehmen“. Außerdem könne das Land zum „Milieuschutz“ Verordnungen erlassen, die einer Verdrängung von Mietern vorbeuge. Einsetzen müsse man zunächst „andere Instrumente“ ohne „ derart weitreichenden Eingriff“ in die Verfassung.
Land könnte Gesetz zur Schuldenbremse brechen
Zwingt aber nicht die schiere Not von Wohnungssuchenden und der historisch nie dagewesene Zufluss spekulativen Finanzkapitals in die Märkte der Metropolen zu stärkeren Mitteln? Die Mieten und Kaufpreise steigen schneller als die Einkommen, und spekulativer Leerstand ist wirtschaftlich attraktiv – gefährdet das nicht den sozialen Frieden? „Spekulation hat es immer gegeben, und Gewinne muss es auch geben“, entgegnet Sodan. Auch im Jahr 1995 nach der Hauptstadtentscheidung für Berlin „gingen die Preise rasant nach oben“.
Sodan warnt zudem davor, dass das Land durch die weitere Verschuldung beim Ankauf der Wohnungen das Gesetz zur Schuldenbremse brechen könnte, das ab 2020 europaweit gilt. Apropos Europarecht: Auch dieses schütze die Marktwirtschaft und zwar noch weitgehender als das Grundgesetz. Und auch die deutsche Verfasstheit sei nicht, wie einige Juristen über das Grundgesetz behaupten, neutral gegenüber der Wirtschaftsform.