Elf Bars dürfen nach 23 Uhr wieder öffnen: Berliner Senat scheitert vorerst mit Sperrstunden-Widerspruch
Die Corona-Sperrstunde ist nicht verhältnismäßig, sagt das Verwaltungsgericht. Gegen den Beschluss hatte der Senat Beschwerde eingelegt.
Das Berliner Verwaltungsgericht hat die wegen der Corona-Pandemie vom Senat beschlossene Sperrstunde in der Hauptstadt gekippt. Elf Bars, die dagegen geklagt haben, dürfen nun vorläufig nachts wieder öffnen. Verboten bleibt ihnen nach 23 Uhr allerdings der Ausschank von Alkohol.
Faktisch steht damit die Sperrstunde insgesamt vor dem Aus. Der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga rechnet damit, dass alle Berliner Gastronomiebetriebe nun wieder wie üblich geöffnet bleiben werden. Nach Verbandsangaben sind auch Eilanträge gegen das Ausschankverbot für Alkohol nach 23 Uhr gestellt worden. Formell gebe es jedoch keine Drittwirkung für andere Kneipen und Restaurants und ebenso wenig für Spätis und sonstige Läden, erklärte ein Gerichtssprecher dem Tagesspiegel.
Der Berliner Senat ist zunächst mit dem Versuch gescheitert, die Sperrstunde in der Hauptstadt weiter flächendeckend durchzusetzen. Das teilte eine Sprecherin des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg am Freitag mit. Der Senat hatte eine sogenannte Zwischenverfügung beantragt. Die Entscheidung in der Hauptsache steht noch aus.
Senatssprecherin Melanie Reinsch hatte zuvor angekündigt, der Berliner Senat werde Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin Brandenburg gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts einlegen. Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) rief hingegen die Gastronomie zu verantwortlichem Handeln auf: "Jetzt appelliere ich an alle Wirte, weiterhin verantwortungsvoll zu sein und die vorgelegten Hygienekonzepte sehr genau zu beachten."
Der Senat hatte am Dienstag vergangener Woche vor dem Hintergrund der deutlich gestiegenen Infektionszahlen beschlossen, dass Restaurants, Bars, Kneipen und die meisten Geschäfte künftig zwischen 23 und 6 Uhr geschlossen sein müssen. Die neue Regelung war am zurückliegenden Wochenende in Kraft getreten.
Sperrstunde für "nennenswerte Bekämpfung" der Pandemie nicht erforderlich
Mehrere Gastronomen hatten zusammen zwei Eilanträge gegen die Verordnung eingereicht. Insgesamt hatten sich nach Angaben von Rechtsanwalt Niko Härting elf Berliner Lokale gegen die Sperrstunde gewandt. Sie kritisierten die Maßnahme als unverhältnismäßig. Aus ihrer Sicht gibt es keine überzeugende Begründung für die Schließung der Gaststätten um 23 Uhr. Mit einer Sperrstunde für die Gastronomie werde erreicht, dass sich junge Menschen dann an anderen Orten träfen, für die keine Hygienekonzepte gelten, lautete die Argumentation.
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Die Verhältnismäßigkeit sah auch das Gericht nicht gewahrt. Die Maßnahme verfolge zwar das legitime Ziel, die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden, teilte das Gericht am Freitagvormittag mit. Eine Sperrstunde sei dafür auch "möglicherweise geeignet", wie es hieß. "Bei summarischer Prüfung sei aber nicht ersichtlich, dass die Maßnahme für eine nennenswerte Bekämpfung des Infektionsgeschehens erforderlich sei."
Hygienekonzepte und nächtliches Alkoholverbot reichen aus
Das Gericht hält mildere Maßnahmen, die der Senat den Gastronomen auferlegt hat, bereits für ausreichend geeignet, um das Risiko einer Ansteckung in Kneipen zu verringern. Konkret nennt es die bereits vorhandenen Hygienekonzepte und auch ein Ausschankverbot für alkoholische Getränke.
Beides hatten die Gastronomen in ihren Eilanträgen nicht infrage gestellt - und beides bleibt somit weiterhin bestehen. Aus diesem Grund bestehe auch nicht die Gefahr einer alkoholbedingten "Enthemmung" nach 23 Uhr, urteilte das Gericht. Gastwirten könne nicht pauschal unterstellt werden, dass sie diese Vorgaben typischerweise nicht einhielten.
Gericht: RKI-Daten belegen keine Gefahr durch Gaststätten
Dem Gericht mangelte es vor allem am messbaren Nachweis, dass eine Sperrstunde erforderlich ist, um das Pandemiegeschehen einzudämmen. Die Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) lieferten demnach keine Belege, dass Gaststätten unter den geltenden Schutz- und Hygienevorschriften einen "wesentlichen Anteil" am Infektionsgeschehen hätten.
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In seiner Mitteilung spricht das Gericht von einer "untergeordneten Bedeutung des Infektionsumfelds Gaststätte", weshalb eine Sperrstunde ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Berufsfreiheit der Gastronomen sei. Allein die bessere Kontrollmöglichkeit einer Sperrstunde könne nicht zur Rechtfertigung der Maßnahme herangezogen werden. Einen Seitenhieb erlaubt sich die Kammer auch: Zunächst sei die Kontrolle der Hygienemaßnahmen und des nächtlichen Alkoholverbots "prioritär" geboten.
FDP fordert Regierungserklärung von Michael Müller
Die Berliner FDP-Fraktion forderte angesichts der Entscheidung eine Regierungserklärung des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) in einer Sondersitzung des Abgeordnetenhauses. "Wir können uns glücklich schätzen, dass eine aktive Bürgergesellschaft jegliche Form der Freiheitseinschränkung kritisch hinterfragt", erklärte Fraktionschef Sebastian Czaja. Jede Freiheitseinschränkung müsse im Parlament diskutiert werden. "Holen wir das Volk und seine Vertreter zurück an den Tisch."
Ein Tisch schwebt auch der CDU vor, allerdings ein runder Tisch für die Gastronomie. Den solle der Senat einberufen, forderten der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung, Christian Gräff, und der clubpolitische Sprecher Christian Goiny. (mit dpa)
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