Getrübte Stimmung, leere Bars: Wie Berliner Nachtschwärmer den Corona-Ausgehstopp erleben
Seit Freitagnacht gilt die Sperrstunde in der Hauptstadt. Die meisten Wirte halten sich daran, äußern aber Kritik.
Passend zum Ende der langen Barnächte fällt Regen am Kottbusser Tor. Das schlechte Wetter und die vom Senat beschlossene Sperrstunde sorgen Freitagnacht für getrübte Stimmung in Berlin. Wo sich sonst bis in die Morgenstunden vergnügt wird, müssen die Bürgersteige um Mitternacht und ab Sonnabend sogar um 23 Uhr hochgeklappt werden. Es ist nicht die erste Sperrstunde seit Beginn der Corona-Pandemie, aber die erste, seit die Infektionszahlen so sehr angestiegen sind.
Aber schon gegen 10 Uhr ist das berüchtigte „Kotti“ kaum wiederzuerkennen. In Kneipen, die gewöhnlich freitagabends gut gefüllt sind, stehen leere Tische. Durch die Straßen ziehen nur vereinzelt kleine Freundesgruppen. Von einer Torschlusspanik, einem letzten Aufbäumen vor dem erzwungenen Ausgehstopp ist nichts zu spüren.
Zu dem ungewohnten Anblick trägt, neben dem schlechten Wetter, auch die streikende BVG bei. Keine U-Bahn rattert über die Hochbahntrassen, kein Zug bahnt sich seine Wege durch die Schächte. Für eine Sperrstunde sind es ideale Voraussetzungen.
Drei junge Frauen haben sich an einer Straßenecke untergestellt. „Ich glaube trotzdem nicht, dass die Kneipen um 12 Uhr dichtmachen werden", sagt Lara D. aus Pankow. Zusammen mit ihren Freundinnen steht die 17-Jährige vor einem Supermarkt. Dass die Sperrstunde schon heute um 24 Uhr beginnt, hatten die Abiturientinnen erst nicht auf dem Schirm. „Ursprünglich wollten wir an den Kanal gehen“, erklärt Lara D., „aber bei dem Wetter wird daraus nichts.“ Stattdessen soll es erst mal in eine Bar gehen. Die Freundinnen sind trotz Regen mit den Fahrrädern unterwegs und fest entschlossen. Egal ob die Bars auf oder zu haben, Lara D. ist sich sicher: „Irgendetwas werden wir schon finden.“ Das sei in Berlin immer so.
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Ein Späti-Verkäufer in der Skalitzer Straße glaubt nicht, dass die Sperrstunde das Feiern und die damit verbundenen Ansteckungen zügeln wird. „Die Leute gehen doch trotzdem aus und sitzen zusammen in den Shisha-Bars“, kritisiert er, „was macht es da für einen Unterschied, ob man das Ganze um drei Uhr oder 23 Uhr beendet?“ Warum auch die Spätis schließen müssen, kann er nicht nachvollziehen. Trotzdem wolle er sich an die Regel halten und um Mitternacht dicht machen. Später, gegen ein Uhr, steht die Tür trotzdem noch offen.
Viele wollen nichts von der Sperrstunde gehört haben
Ärger dafür ist keiner in Sicht. Die Polizei konzentriert ihre Kräfte heute Nacht auf die Liebig-34-Proteste in anderen Stadtteilen. Während vor Mitternacht am Kottbusser Tor noch ein paar Einsatzfahrzeuge zu sehen waren, sind sie später wieder verschwunden. Auf der Neuköllner Weserstraße hat dafür das Ordnungsamt schon am Nachmittag präventiv kontrolliert.
Auch in der Bar „Silver Future“ überprüften die Beamten das Hygienekonzept, erzählt die Besitzerin, Sabine Holzmann, am späten Abend. „Wir versuchen, uns hier wirklich, an die Vorgaben zu halten“, sagt sie, und das sei „überhaupt nicht einfach.“ Immer wieder müsse man die Gäste dazu ermahnen, die Abstände einzuhalten und auch von der Sperrstunde wolle niemand etwas gehört haben. „Es macht mich wütend, dass wir jetzt trotz dieser ganzen Arbeit als Sündenbock herhalten müssen“, erklärt die Wirtin. Sie wisse, dass andere Kneipen sich weniger Mühe geben, trotzdem sei das aber die Minderheit.
In der Weserstraße werden ab 23.30 Uhr die Gäste aus den Bars geworfen
Tatsächlich beginnt das „Silver Future“ schon um halb zwölf damit, die Leute rauszuwerfen. Die umliegenden Läden in der Straße tun dies ebenso. Sogar Grüppchen, die noch vor den Eingängen stehen bleiben, werden abgewimmelt. „Das kostet uns den Kragen“, sagt Holzmann, „ab 11 Uhr beginnt normalerweise die Hauptzeit erst.“ Mit ihrer Kritik steht die Besitzerin nicht alleine da. Einige Wirte haben sich gegen die neue Verordnung zusammengetan und am vergangenen Donnerstag Eilanträge für die Aufhebung der Sperrstunde gestellt.
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Kritiker der Maßnahme argumentieren, dass das Feiern somit nur im privaten Rahmen fortgesetzt würde. Dort stünden, anders als in den Kneipen, keine Hygienekonzepte zur Verfügung. Lutz Leichsenring vom Dachverband Clubcommission sprach von „Symbolpolitik“. Andere Stimmen wiederum befürchten Auswirkungen auf das Sicherheitsempfinden der Bürger, die sich an vollen U-Bahnhöfen wohler fühlten als an leeren.
In Friedrichshain soll es Verstöße gegeben haben
Während auf der Weserstraße und am Kottbusser Tor die Sperrstunde weitestgehend berücksichtigt wurde, berichten andere Medien von Verstößen in anderen Kiezen. So soll es etwa auf der Simon-Dach-Straße in Friedrichshain zu Übertretungen gekommen sein. Auf dem Kreuzberger Oranienplatz habe die Polizei sogar ein Restaurant räumen müssen.
Eine Polizeisprecherin sagte am Sonnabend, eine Bilanz mit Zahlen zu den Verstößen solle aber erst in der kommenden Woche vorliegen. Wie die Sprecherin erläuterte, rücken die Beamten nicht zu gesonderten Einsätzen aus, sondern kontrollierten die Sperrstunde im Rahmen ihrer üblichen Dienste. Im Fall von Verstößen würden Gewerbetreibende und Gäste angesprochen und Betriebe geschlossen.
Die Polizei wird wohl an Schwerpunkten verstärkt kontrollieren
Für die nächste Zeit wolle die Polizei prüfen, ob sich lokale Schwerpunkte bilden, an denen dann gegebenenfalls verstärkt kontrolliert wird.
Die neue Infektionsschutzverordnung ist in der Nacht zum Samstag in Kraft getreten. Neben einer Sperrstunde zwischen 23 und 6 Uhr dürfen bei privaten Zusammenkünften in geschlossenen Räumen nur noch höchstens 10 statt bisher 25 Teilnehmer zusammenkommen. Neue Einschränkungen gelten auch für den Aufenthalt im Freien. Dort dürfen sich von 23 Uhr bis 6 Uhr nur noch fünf Personen versammeln. Grund für die verschärften Regeln ist der deutliche Anstieg der Corona-Fallzahlen in Berlin. Wer unbedingt feiern will, wird wohl auch künftig Wege finden, sich trotz Sperre zu vergnügen. (mit dpa)
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