Missglückte Mindestlohn-Einführung: Berlin zahlt täglich 100.000 Euro – ohne Gegenleistung
Schulessencaterer sollen einen höheren Mindestlohn zahlen. Doch der Senat hat die Ausschreibung nicht hinbekommen. Ab Sommer entstehen 20 Millionen Euro Kosten.
Die Senatsverwaltungen für Bildung und Wirtschaft sehen weiterhin keine Möglichkeit, das Dilemma um den neuen Mindestlohn vollständig zu lösen: Solange das neue Mindestlohngesetz nicht verabschiedet sei, könne man die 12,50 Euro nicht verbindlich bei Vergabeverfahren berücksichtigen, teilten sie dem Senat am Dienstag in einer gemeinsamen Vorlage mit. Daher müsse das oberste Ziel sein, das Gesetz „zügig“ zu verabschieden.
Bis dahin muss improvisiert werden. Für das bereits ausgeschriebene Schulessen bedeutet das, dass Caterern nach sechs Monaten gekündigt werden könnte, wenn sie weniger zahlen. Diese Option ist in der Senatsvorlage als Vorschlag enthalten.
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Da nach Ablauf der Kündigungsfrist das zweite Schulhalbjahr schon begonnen hätte, würden die Caterer insgesamt mindestens ein volles Schuljahr den höheren Essenspreis kassieren können, ohne den Mindestlohn weiterzureichen. Damit hätte das Land mehr als 20 Millionen Euro ausgegeben, ohne die angestrebte Gegenleistung, nämlich 12,50 Euro für die Küchenkräfte, durchsetzen zu können. Ausgehend von rund 200 Schultagen pro Jahr entsteht pro Tag ein Schaden von rund 100.000 Euro, sobald die neuen Preise ab Sommer 2020 gelten.
Auch andere Ausschreibungen sind betroffen
Das Dilemma betrifft nicht nur das Schulessen. Wie berichtet gibt es etliche weitere Ausschreibungen des Landes, die sich noch auf den demnächst veralteten Mindestlohn von 9,35 Euro oder neun Euro - je nach Tätigkeit - beziehen. In der Senatsvorlage heißt es denn auch, dass alle Vergabeverfahren des Landes Berlin, die vor Inkrafttreten des neuen Mindestlohngesetzes begonnen werden, in Bezug auf die Durchsetzung eines Vergabemindestentgeltes "Probleme aufwerfen können".
Wachschützer verdienen laut TU sowieso mehr
Der Kreis der Betroffenen ist allerdings kleiner als die hohe Zahl an Ausschreibungen es vermuten lässt: Oftmals handelt es sich um Beschäftigtengruppen, die sowieso über den in Berlin geplanten 12,50 Euro liegen. So teilte die Technische Universität (TU) am Dienstag auf Anfrage mit, dass bei der aktuellen Ausschreibung von Wachschutzleistungen der Tariflohn "deutlich" über dem gesetzlichen Mindestlohn liege. Zusätzlich würden im Mustervertrag die Anpassungen der Vergütungen wegen tarifvertraglicher oder gesetzlicher Änderungen geregelt. Der Arbeitnehmer sei also berechtigt, "Anpassungen der Vergütung wegen tarifvertraglicher oder gesetzlicher Änderungen vorzunehmen", erläuterte TU-Sprecherin Stefanie Terp.
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Was künftige Ausschreibungen anbelangt, die noch vor dem neuen Mindestlohngesetz abgegeben werden müssen, will die Wirtschaftsverwaltung "Vorschläge" unterbreiten, um dem Schulessenproblem künftig aus dem Weg zu gehen. Sie sollen in der Staatssekretärskonferenz am 17. Februar diskutiert werden, heißt es in der Senatsvorlage. Im übrigen würden für die Übergangszeit "intensiv" verschiedene Lösungsvorschläge geprüft, um die Durchsetzung des zukünftigen Landesmindestentgelts abzusichern.
Auch die Caterer sehen Nachbesserungsbedarf - allerdings in anderer Hinsicht. Sie wurden von der Bildungsverwaltung dazu verpflichtet, das Schulessen aus eigener Tasche zu finanzieren, das von Schülern zwar bestellt, aber nicht abgeholt wird. Rolf Hoppe vom Verband der Caterer fordert ein Entgegenkommen der Bildungsverwaltung in diesem Punkt. Nicht ausgeschlossen ist, dass die Bildungsverwaltung dann im Gegenzug den Umgang mit der Mindestlohnfrage als Thema aufruft.
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Das Schulessen ist seit Sommer für die Erst- bis Sechstklässler kostenfrei. Daher muss das Land für die gesamten Ausgaben und für die gewünschte höhere Qualität selbst aufkommen.
Die Preisfindung des Senats ist strittig
Manche Caterer bezweifeln allerdings, dass der neue Preis von zunächst 4,09 Euro und dann 4,36 Euro pro Mahlzeit überhaupt alle Kosten abdeckt: Die Summen waren von der Finanz- und Bildungsverwaltung festgelegt worden, ohne dass die Caterer bei der Preisfindung einbezogen wurden, betont Rolf Hoppe vom Verband der Caterer. Es gebe durchaus Anbieter, die davon ausgingen, dass die 12,50 Euro in dem Preis noch gar nicht vollständig abgebildet seien.
Zudem stellt Hoppe die Frage in den Raum, ob Schulen die Verträge nach sechs Monaten tatsächlich freiwillig kündigen werden, wenn sie mit dem Essensangebot zufrieden sind. Und dass sie zufrieden sein werden, wenn der neue Preis ab August gilt, könnte durchaus sein, denn die Caterer könnten die erhöhten Zahlungen des Landes für eine höhere Attraktivität ihrer Speisen nutzen und den Lohn der Küchenkräfte dennoch anheben - beispielsweise auf elf Euro, was immer noch erheblich über dem bundesweiten Mindestlohn läge.
Unter solchen Bedingungen, wäre gar nicht sicher, ob sich die Schulen vor Ablauf der vierjährigen Vertragslaufzeit von den durch sie selbst ausgesuchten Caterern verabschieden wollen.