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Auch bei einer Ausschreibung für Tischlerarbeiten wurde der Mindestlohn nicht beachtet.
© David Ebener/dpa

Nach Posse um Berliner Schulessen: Viele Ausschreibungen berücksichtigen Mindestlohn nicht

Das Problem um fehlerhafte Ausschreibungen betrifft nicht nur das Berliner Schulessen. Die Wirtschaftsverwaltung bereitet Handlungsempfehlungen vor.

Die Posse um die Ausschreibung des Berliner Schulessens gewinnt immer weitere Facetten. Denn das Problem betrifft nicht nur die millionenschwere Beköstigung von rund 150.000 Berliner Schülern, sondern zahlreiche weitere Verfahren, die momentan auf der Vergabeplattform des Landes Berlins veröffentlicht werden.

Beispiel eins – Bauunterhaltungsmaßnahmen Sanitär

Beispiel eins: Die Ausschreibung über den „Rahmenvertrag für Bauunterhaltungsmaßnahmen Sanitär“, der von Juni 2020 bis Ende Mai 2022 laufen soll. Als Vergabestelle wird das Bezirksamt Mitte angegeben.

Auch in diesen Vergabeunterlagen findet sich der gleiche Passus wie bei den Ausschreibungen zum Schulmittagessen: „Der Auftragnehmer verpflichtet sich, seinen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei der Ausführung mindestens diejenigen Arbeitsbedingungen einschließlich des Entgelts zu gewähren, die der nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) einzuhaltende Tarifvertrag vorgibt, oder andere gesetzliche Bestimmungen über Mindestentgelte einzuhalten“, sowie: „seinen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern (ohne Auszubildende) bei der Ausführung der Leistung mindestens ein Stundenentgelt von 9,00 Euro brutto zu bezahlen.“

Beispiel zwei – Trockenbau-, Tischlerausbauarbeiten, Innentüren

Beispiel zwei: „Trockenbau-, Tischlerausbauarbeiten, Innentüren“ am Oberstufenzentrum KFZ-Technik – Elektromobilität, Vergabestelle ist die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Ausführungszeitraum von September 2020 bis Mitte Juli 2021.

Beispiel drei – Wachschutz an der TU

Beispiel drei: Die Ausschreibung zum Wachschutz an der Technischen Universität Berlin, mit einer Laufzeit von August 2020 bis Ende Juli 2023. Auch dort findet sich der Passus. Die Bewerbungsfrist läuft am 18. Februar ab.

Bei Ausschreibungen die von der Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) vergeben werden, findet sich interessanterweise eine Formulierung zu Lohnvorgaben, die unproblematisch erscheint: „Der Auftragnehmer verpflichtet sich, (...) seinen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern (ohne Auszubildende) bei der Ausführung der Leistung mindestens ein Stundenentgelt entsprechend des geltenden Mindestlohns gemäß des Gesetzes zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (MiLoG) sowie gemäß § 1 Abs. 4 Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz (AVG) zu bezahlen.“

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Diese Formulierung verzichtet auf ein konkretes Stundenentgelt. Die BIM verwendet nach eigenen Angaben seit mehreren Jahren bei Ausschreibungen diese Formulierung. Dies habe sich aus den Erfahrungen ergeben, dass sich Mindestlohnhöhen schnell ändern können.

Eine aktuelle Ausschreibung der BIM betrifft beispielsweise „Mauerarbeiten – erweiterter Rohbau und Fassadensanierung“ mit einer Auftragszeit bis Ende 2020. Die Frage, warum sich der Senat nicht ein Beispiel an der landeseigenen BIM nahm, wurde bisher nicht beantwortet.

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Indes sind die Senatsverwaltungen für Bildung und für Wirtschaft weiter bemüht, nicht als die Verantwortlichen in diesem Dilemma dazustehen. „Wir können und dürfen nicht den Beratungen im Abgeordnetenhaus vorgreifen“, wiederholte die Sprecherin der Wirtschaftsverwaltung: Deren angehängtes Formblatt enthält die Festlegung auf neun Euro. Erst wenn das Abgeordnetenhaus das Gesetz beschlossen habe, dürften auch die Formulare geändert werden.

Allerdings bereitet die Wirtschaftsverwaltung jetzt „Handlungsempfehlungen“ vor, „um dem Wunsch Rechnung zu tragen, dass das erhöhte Vergabemindestentgelt berücksichtigt wird. Damit wolle man „die Vergabestellen bei ihrer Aufgabe unterstützen“. Das ist das einzige Ergebnis der Vorbereitungsrunde der Staatssekretäre für die Senatssitzung am Dienstag in dieser Frage.

Die Ausschreibung für das Schulessen, bei der der neue Vergabemindestlohn von 12,50 Euro unberücksichtigt blieb, könne nicht ohne weiteres korrigiert werden. Sie soll daher weiterlaufen, um die Essenversorgung an den Schulen ab August sicherzustellen.

Berlin dürfte täglich einen fünfstelligen Betrag verlieren wegen falscher Ausschreibung

Zugleich will der Senat versuchen, die Caterer zu überzeugen, Beschäftigten den neuen Mindestlohn zu zahlen. Eine Möglichkeit könne die vorzeitige Kündigung von Lieferverträgen sein, die eine Laufzeit von vier Jahren haben sollen.

Wenn der neue Mindestlohn in Kürze beschlossen werde, aber nicht eingehalten werde, könne diese Option unter Umständen zum Tragen kommen, hieß es.

Das Geld für den höheren Lohn sei bereits eingeplant. Dabei treibt die Haushälter noch ein anderer Aspekt um: Berlin dürfte täglich einen fünfstelligen Betrag verlieren, weil im Schulessen der Mindestlohn von 12,50 Euro eingepreist ist, ohne dass die Caterer diesen Lohn zahlen müssen.

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