Kampf gegen das Coronavirus: Berlin verbietet keine Veranstaltungen, schließt aber seine Bühnen
Michael Müller will Events erst absagen, wenn es eine bundesweite Linie gibt. Klaus Lederer hingegen macht Theater, Opern- und Konzerthäuser teilweise dicht.
Wird auch Berlin Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern absagen, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen? Diese Frage hat am Dienstag den Senat beschäftigt. Drei Experten der Charité nahmen an der Sitzung teil. Am Mittag verkündete der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD): Ein zentrales Verbot wird es vorerst nicht geben.
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Der Senat strebt stattdessen eine bundesweite Lösung an. Dazu will Müller am Donnerstag eine länderübergreifende Absprache treffen, wenn die Ministerpräsidenten, Vertreter der Bundesregierung und des zuständigen Robert-Koch-Instituts in Berlin zusammenkommen.
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Nötig seien Müller zufolge klare Kriterien, nach denen über jeden Einzelfall entschieden werden könne. „Es kann nicht sein, dass eine Veranstaltung beispielsweise in Berlin-Zehlendorf verboten wird, aber 100 Meter weiter in Brandenburg könnte sie stattfinden“, sagte Müller am Dienstag bei der Senatspressekonferenz.
„Es bleibt dabei, Großveranstaltungen kritisch zu hinterfragen“, sagte Müller. „Aber nicht jede Veranstaltung birgt die gleichen Ansteckungsrisiken.“ Die Zahl von 1000 Teilnehmern, ab der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eine Absage empfohlen hat, sei wohl eher eine „Richtgröße“: Was sei dann mit Schulen, wo oft mehr als 1000 Personen zusammenkämen, fragte er.
Keine Veranstaltungen des Landes, große Häuser teils dicht
Eine Einschränkung gibt es: Landeseigene Veranstaltungen, für deren Absage der Staat selbst die Verantwortung trägt und dementsprechend nicht haftbar gemacht werden kann, fallen bis auf Weiteres aus. Für sie gilt die seit Tagen in der Diskussion stehende Maximalgrenze von 1000 Teilnehmern. Kleinere Veranstaltungen wiederum dürfen stattfinden - zumindest vorerst.
Kultursenator Klaus Lederer entschied danach in Abstimmung mit den Intendanten aller staatlichen Häuser, Aufführungen auf den großen Bühnen ab Mittwoch bis zum Ende der Osterferien am 19. April abzusagen. Das gilt etwa für die Deutsche Oper genauso wie den Friedrichstadtpalast. „Ich empfehle auch den großen Privattheatern so zu verfahren“, teilte Lederer mit.
In den kleineren Sälen der staatlichen Häuser können Veranstaltungen jedoch weiterhin stattfinden. In Räumen mit einer Kapazität von bis zu 500 Besuchern und Akteuren müsse von den Einrichtungen weiterhin "eigenverantwortlich" darüber entschieden werden, erklärte der Kultursenator. Maßstab seien die Vorgaben des Robert-Koch-Instituts für Großveranstaltungen (hier abrufbar). Lederer appellierte auch an das individuelle Verantwortungsbewusstsein: Wer akut erkrankt sei oder zu den besonderen Risikogruppen gehöre, solle auf einen Besuch verzichten. Er bedankte sich "für das verantwortungsvolle Handeln aller Beteiligten in den Kultureinrichtungen" und appellierte an die "Besonnenheit".
Lederer forderte in einer Pressemitteilung auch finanzielle Unterstützung des Bundes für Kultureinrichtungen. Bei den Beratungen auf Bundesebene sollten nicht nur die "krisenbedingten Hilfen für Wirtschaftsakteure" besprochen, sondern "gleichermaßen die für das Funktionieren eines demokratischen Gemeinwesens unabdingbaren Kultureinrichtungen in den Blick genommen werden". Die Einschränkungen kosteten den Berliner Bühnen 15 Millionen Euro pro Monat, erklärte Lederer auf Twitter.
Charité-Spitze empfahl Absage möglichst vieler Veranstaltungen
Am Dienstag war zunächst die Charité-Spitze zum Senat geladen worden. Mit dabei waren der Virologe Christian Drosten und das Vorstandsmitglied Ulrich Frei. Auf Anfrage sagte Frei: Man habe empfohlen, auch in Berlin möglichst viele Veranstaltungen abzusagen – noch aber dränge man nicht auf ein generelles, stadtweites Verbot.
Drosten lobte die Entscheidung Lederers in einem Tweet: "Das ist eine vorbildliche und klar ausgerichtete Entscheidung. Denn hiermit schützt man gezielt höhere Altersgruppen, die von #COVID19 gefährdet sind." Am gefährlichsten ist das Virus für Senioren ab 60 Jahren – Covid-19 führt zu Lungenbeschwerden, in Einzelfällen war die Infektion auch in Deutschland schon tödlich. Müller sagte, der Senat stelle in diesem Jahr 25 Millionen Euro zusätzlich für das Beschaffen von Schutzutensilien und Geräten bereit. Die Charité will 100 neue Beatmungsgeräte kaufen.
Unterschiedliche Reaktionen auf Senatspläne
Fachpolitiker der im Abgeordnetenhaus vertretenen Fraktionen reagierten unterschiedlich auf die Vereinbarung des Senats zu den Großveranstaltungen. Thomas Isenberg (SPD) und Catherine Pieroth (Grüne) wollten diesen zwar nicht kritisieren, machten aber deutlich, dass die Regelung schnell von der Realität eingeholt werden kann. "Wir müssen die Lage von Tag zu Tag neu bewerten", erklärte Pieroth und appellierte an das Verantwortungsbewusstsein junger Menschen.
Sie sollten den Kontakt zu Mitgliedern gefährdeter Gruppen wenn möglich meiden. "Es ist die falsche Zeit, Oma zu kuscheln", sagte Pieroth dem Tagesspiegel. Isenberg unterstützte das Drängen Müllers nach einem bundesweit einheitlichen Handeln beim vorbeugenden Gesundheitsschutz. Er warnte: "Es darf keinen Wettbewerb nach unten geben!" und bezeichnete ein einheitliches Vorgehen bei der Absage von Veranstaltungen als "nötig". "Sinnvolle bundesweite Schutz-Empfehlungen" müssten zügig umgesetzt werden.
Nach Infektionsschutzgesetz sind die Amtsärzte zuständig
Ähnlich hatten sich am Montag bereits Berlins Innensenator Andreas Geisel sowie Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci, beide SPD, geäußert. Wolfgang Albers (Linke), Vorsitzender des Gesundheitsausschusses im Abgeordnetenhaus, kommentierte die Haltung des Senats mit den Worten: "Für die Zurückhaltung habe ich großes Verständnis." Er wies darauf hin, dass nach dem Infektionsschutzgesetz die Amtsärzte für Absagen von Veranstaltungen zuständig sind. Der Senat könne maximal politische Empfehlungen aussprechen, mehr aber auch nicht.
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Florian Kluckert, gesundheitspolitischer Sprecher der oppositionellen FDP-Fraktion, sieht das anders. "Ich hätte erwartet, dass sich da für die Gesundheit entschieden wird", sagte er im Anschluss an die Senatssitzung vom Dienstag. Der Senat schaue nicht in die Zukunft, reagiere statt zu agieren und provoziere damit eine weitere Ausbreitung des Virus, erklärte Kluckert. Tags zuvor hatte sich der FDP-Politiker dafür ausgesprochen, die Corona-Tests auf große Teile der Berliner Bevölkerung auszuweiten - und war dafür kritisiert worden.
Eine "Empfehlung" von Jens Spahn hat Druck erzeugt
Der Druck auf den Senat, sich zum Umgang mit Großveranstaltungen zu verhalten, war durch eine Empfehlung des Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) entstanden. Spahn regte eine Absage aller Veranstaltungen mit mehr als 1000 Besuchern an. Bayern ordnete am Dienstag eine entsprechende Maßnahme an und empfahl sogar – nach Rücksprache mit den jeweiligen Behörden – eine Absage von Veranstaltungen mit 500 bis 1000 Teilnehmern.
Auch in Berlin sind in den kommenden Wochen zahlreiche große Events geplant, die von einem Verbot betroffen wären. Ohne eine behördliche Anordnung werden sie voraussichtlich stattfinden: Ob Comedian Paul Panzer im Tempodrom oder Rapper Max Herre im Admiralspalast - die Veranstalter wollen in vielen Fällen trotz der Ausbreitung des Coronavirus an ihren Plänen festhalten.
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Schließlich können sie nach wie vor auf etliche Zuschauer hoffen. Absagen von Besuchern wegen Ansteckungsangst wurden den Veranstaltern bisher kaum gemeldet. "Es gibt vereinzelt Fragen, ob Veranstaltungen nach wie vor stattfinden, aber keine massenhaften Absagen", sagte eine Sprecherin von BB Entertainment, einem Veranstalter von Konzerten unter anderem im Admiralspalast.
Man rechne auch für das kommende Herre-Konzert mit einer guten Auslastung. Von den Hallenbetreibern etwa im Admiralspalast oder im Tempodrom werden allerdings zusätzliche Hygienemaßnahmen ergriffen. Türklinken werden mehrmals am Tag gereinigt und desinfiziert. Security-Mitarbeiter, die Körperkontrollen durchführen, werden mit Handschuhen ausgestattet. Auf den Toiletten findet sich nun Handdesinfektionsmittel.
re:publica mit neuem Motto: „As healthy as possible“
Im Fall der Digitalkonferenz re:publica vom 6. bis 8. Mai wurde vorsorglich das Motto geändert: Statt "As Soon As Possible" heißt es nun "As Healthy As Possible". Digitale Gesundheitsinfrastruktur und neue Innovationen im Gesundheitssektor sollen nun einen größeren Raum einnehmen. Ob die re:publica und andere Events aber tatsächlich stattfinden können, entscheiden jeweils die lokalen Gesundheitsämter.
Über diese Veranstaltungen werden die Behörden demnächst zu entscheiden haben:
10. März: Rapper Max Herre im Admiralspalast (1756 Plätze)
11. März: The Sound of Hans Zimmer & John Williams im Friedrichstadtpalast (1895 Plätze)
12. März: Komiker Paul Panzer im Tempodrom (4200 Plätze)
13. März: Culcha Candela im Astra (1500 Plätze)
13. März: Die Band Fat Freddy's Drop ist in der Max-Schmeling-Halle zu Gast (8500 Plätze)
13 bis 15. März: Messe Auto Camping Caravan, Airport Center Schönefeld
14. März: Bausa in der Columbiahalle (3500 Plätze)
14. März: Der FC Bayern kommt an die Alte Försterei (22.000 Plätze)
15. März: "Ich wollt', ich wär' ein Huhn!" Ein Berlin-Abend in der Komischen Oper (1190 Plätze)
15. März: Die Volleys empfangen Friedrichshafen zum Spitzenspiel in der Max-Schmeling-Halle
19. März: Die Band Simple Minds spielt in der Columbiahalle (3500 Plätze)
19./20. März: Komiker Serdar Somuncu im Tempodrom
20. bis 29. März: MaerzMusik, Festival für zeitgenössische Musik, Haus der Berliner Festspiele, Martin-Gropius-Bau, Akademie der Künste
21. März: Hauptstadtderby zwischen Hertha und Union im Olympiastadion (74.475 Zuschauer)
27.März bis 19. April: 50. Berliner Frühlingsfest am Kurt-Schumacher-Damm, Zentraler Festplatz am Kurt-Schumacher-Damm, erwartet werden insgesamt 250 000 Besucher
5. April: Halbmarathon (rund 34.000 Teilnehmer)
6. bis 8. Mai: Digitalkonferenz re:publica
14. bis 21. Juni: Grass Court Championships, WTA-Tennis-Turnier im Steffi-Graf-Stadion (7000 Zuschauer)