Kommunikation im Netz: Sieben Lehren aus der re:publica
Wie reagieren auf Hass, Manipulation, Desinformation und toxische Diskurse im Netz? Die re:publica gab keine einfachen Antworten - aber Hinweise.
Einfache Antworten, das wird früh klar, gibt es auch in diesem Jahr nicht. Da berichten am ersten Tag die Journalisten Patrick Stegemann und Sören Musyal über rechte Influencer, die sich selbst zu Popstars stilisieren und versuchen, den Diskurs nach rechts zu verschieben. Der Saal ist voll besetzt, einige Besucher sitzen auf dem Fußboden. Wie man am besten auf die Methoden der Rechten reagiere, will in der Fragerunde am Schluss einer wissen. Stegemann sagt: „Das ist die Frage nach dem goldenen Gral, auf die wir heute Abend auch nach zehn Bier keine Antwort fänden.“
Die re:publica ist keine Veranstaltung, die Handlungsanleitungen gibt. Europas größte Digitalkonferenz versteht sich als Werkstatt. Es soll mitgedacht werden. Doch auch, wenn sich hier keine einfachen Antworten zu der Frage finden, wie man reagieren soll auf den Hass, die Manipulation, auf Desinformation und toxische Diskurse im Netz: Es lassen sich aus den vergangenen Tagen Schlüsse ziehen. Versuch eines Destillats – ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
1. Verunsicherung ist normal
Am Abend des ersten Tages hält Interneterklärer Sascha Lobo traditionell seine große Rede. Titel in diesem Jahr: „Realitätsschock“. Darin bemüht sich Lobo das Unbehagen zu erklären, das viele in den vergangenen Jahren beschlichen hat angesichts von Donald Trump, Brexit, Klimakrise, Plastikpanik und Artensterben. „Die Welt fühlt sich nicht wohl“, sagt er. Seine These, die er auch in einem Buch verarbeitet: Wir hätten eine falsche Vorstellung von der Welt und von der Realität entwickelt. Durch die sozialen Medien werde uns nun klar, dass die Welt deutlich anders sei als angenommen. Die Experten seien ebenfalls in der Krise. „Es ist ein positiver Effekt von sozialen Medien, auf die richtige Art einen Realitätsschock auszulösen.“ Wie reagiert man darauf? Lobo zitiert die Klimaaktivistin Greta Thunberg. Die schrieb auf Twitter: „Activism works. So act.“ Aktivismus funktioniert – also handle!
2. Desinformation und Microtargeting nicht überschätzen
Vor der Europawahl ist die Sorge vor Wahlbeeinflussung in den sozialen Netzwerken groß. Das betrifft etwa Desinformationskampagnen und sogenanntes Microtargeting – also die gezielte Ansprache ganz bestimmter Wählergruppen mithilfe riesiger Datenbanken wie bei den US-Präsidentschaftswahlen oder beim Brexit. Auf der re:publica ist das Problem durchaus präsent – wird aber nicht überschätzt. „Derzeit gibt es wenig Hinweise auf echtes Microtargeting im Europawahlkampf“, sagt Simon Hegelich von der TU München, der die politischen Anzeigen auf Facebook analysiert hat. Vielmehr würden große demografische Gruppen von den Parteien angesprochen. Auch gebe es bislang keine Studien, die die Wirksamkeit von Desinformationskampagnen in der Vergangenheit belegt hätten. Wer solchen Kampagnen Erfolg bescheinige, der mache sie größer als sie möglicherweise seien und fördere damit ihr eigentliches Ziel: das „Vertrauen in demokratische Institutionen zu beschädigen“.
3. IT-Sicherheit herstellen
Entwarnung bedeutet das aber nicht. Frank Rieger vom Chaos Computer Club (CCC) warnt vor der Gefährlichkeit dessen, was in Russland als „Kompromat“ bekannt ist. Im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2016 sei es Russland nicht darum gegangen, direkt auf Seiten von Trump einzugreifen, sondern die Wähler von Hillary Clinton zu demobilisieren. Ende 2018 waren auch in Deutschland bei einem sogenannten „Doxing“-Angriff persönliche Daten von Bundestagspolitikern aller Parteien außer der AfD im Netz gelandet. Rieger sprach vom „Vordringen von Cyber in den politischen Raum“. Er glaubt, künftig werde „Kompromat“ in der politischen Debatte eine wichtigere Bedeutung bekommen. Die Vorfälle zeigten aber auch, wie wichtig es sei, die IT-Sicherheit endlich in den Griff zu bekommen – und zwar generell.
4. Regulierung ist notwendig
Großen Konsens bei der re:publica gibt es bei der Frage, wie die digitale Gesellschaft in Zukunft mit Plattformanbietern wie Facebook und Google umgehen sollte: Mit strengeren Gesetzen müsse in sozialen Netzwerken gegen Microtargeting, Wahlmanipulationen und Meinungsmache vorgegangen werden. Selbst Facebooks Public Policy Manager Semjon Rens fordert eine Debatte über datenbasierte Wahlwerbung. „Was wir brauchen, sind ganz klare Regeln für Microtargeting“, sagte er. Es gehe letztlich um die Frage, ob es wünschenswert sei, dass Parteien sich einen Wettbewerb um Daten liefern.
5. Algorithmen misstrauen
Mit einem leichten Gruseln schauen die Europäer nach China und auf das „Social Credit System“, das dort ausgerollt wird. Dabei handelt es sich potenziell um eine Art Orwellsches digitales Bewertungssystem für Bürger, an das bestimmte Privilegien oder Strafen geknüpft sind. Einerseits machen auf der re:publica Experten deutlich, dass das System bei weitem nicht so fortgeschritten ist, wie wir hier glauben. Andererseits weisen einige Vortragende auf Beispiele in Europa hin, wo Algorithmen ebenfalls bereits Entscheidungen mit Auswirkungen für den Einzelnen und für die Gesellschaft treffen: In Österreich nutzt etwa der Arbeitsmarktservice im Testbetrieb ein System, das die Chancen von Arbeitssuchenden auf einen neuen Job bewerten soll. Es teilt sie in mehrere Kategorien ein und ermittelt danach den Beratungs- und Weiterbildungsbedarf. In Polen stampfte man ein ähnliches System bereits nach schlechten Erfahrungen wieder ein. Die Forscher auf der re:publica plädieren dafür, dass die Funktionsweise solcher Algorithmen für die Sozialsysteme transparent und verständlich sein müsse – vor allem weil ihre Entscheidungen von Sachbearbeitern in Ämtern oft nicht hinterfragt würden.
6. Hass und Bedrohung nicht hinnehmen
Besonders eindrucksvoll: der Talk der österreichischen Politikerin Sigi Maurer, die bis 2017 Grünen-Abgeordnete im Nationalrat war. Maurer erlebt häufiger Shitstorms, wird im Netz bedroht und belästigt. 2018 machte sie die obszöne Nachricht eines Getränkeladenbesitzers mit Klarnamen öffentlich. Der Mann behauptete, die Nachricht nicht selbst geschrieben zu haben und verklagte Maurer wegen übler Nachrede. Der Fall löste in Österreich eine Debatte über sexuelle Belästigung im Netz aus. „Das Ziel ist Frauen so zum Schweigen zu bringen“, sagt Maurer auf der re:publica. Um das zu verhindern, müsse man mehr über den Hass im Netz reden. Ihr Fall habe zwar viele sensibilisiert. Einige Männer hätten aber nicht verstanden, worum es ging und machten ihr dennoch Komplimente oder fragten nach einem Date. Maurer warb für den österreichischen Verein Zara, der dank Spenden eine „gut gefüllte Kriegskasse“ habe und mit dem Geld betroffenen Frauen helfe, gegen Täter vor Gericht zu ziehen.
7. Neue Regeln finden
Auch abseits von Beleidigungen und Bedrohungen laufen viele Debatten in den sozialen Netzwerken oft rasch aus dem Ruder. Was macht eine gute, demokratische Debatte überhaupt aus? Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte in seiner Eröffnungsrede: „Vernunft auf der einen Seite – die Bereitschaft, mit Argumenten zu überzeugen und sich von besseren Argumenten überzeugen zu lassen – und auf der anderen Seite: Zivilität.“ Die „Spiegel“-Autorin Eva Horn empfiehlt, sich nicht von Populisten treiben zu lassen, sie nicht aus Empörung zu retweeten, ihnen keine Bühne zu bieten.
CCC-Mann Rieger kritisiert zudem die sozialen Netzwerke: Sie seien keineswegs zur menschlichen Kommunikation erschaffen worden, sondern zur Vermarktung von Werbung. Die daraus resultierenden Mechanismen würden dazu beitragen, Hass und Falschmeldungen Auftrieb zu geben. Deshalb plädierte Rieger dafür, über neue Formen der sozialen Kommunikation im Netz nachzudenken. Ein wichtiger Aspekt dabei sei, dass die Nutzer über die Regeln entscheiden könnten, nach denen diskutiert wird – und nicht die Plattformbetreiber. Mitarbeit: Sebastian Leber.