Neues Gesetz für Sanitäter: Bereit für den Notfall
Bundesweit sollen Rettungsassistenten besser ausgebildet werden und mehr Befugnisse bekommen. Dadurch könnten manche Arzteinsätze überflüssig werden. Das Rettungswesen steht seit langem unter Druck.
Die Stadt wächst – und mit ihr die Zahl der Noteinsätze. Und das nicht nur, weil seit Jahren mehr Zuzügler und noch mehr Touristen nach Berlin kommen, sondern auch weil die Berliner immer älter werden. Bald gibt es fast 300000 Rettungsfahrten im Jahr. Dabei dürfte viele Notärzte besonders ärgern, dass sie oft wegen Kleinigkeiten ausrücken, weil zehntausende Berliner lieber die 112 wählen, statt zur nächsten Praxis zu laufen.
Sanitäter dürfen nun Spritzen und starke Medikamente geben
Nun will der Senat ein neues Bundesgesetz umsetzen, das das Rettungswesen modernisieren könnte. Kern des Gesetzes sind erweiterte Kompetenzen für die Rettungsassistenten – also diejenigen, die oft als Erstes am Einsatzort sind. Der Notarzt kommt meist in einem anderen Auto. Rettungsassistenten werden bald Notfallsanitäter heißen und drei statt wie bisher zwei Jahre lang ausgebildet.
Vor allem dürfen sie dann eigenmächtig intravenöse Zugänge legen und starke Medikamente geben. Ihre Entscheidungen vor Ort könnten einige Arzteinsätze überflüssig machen. Bei lebensbedrohlichen Zuständen sollen Sanitäter allerdings wie bislang nur so lange „medizinische Maßnahmen“ durchführen, bis ein Mediziner kommt.
Alter Streit darum, ob Ärzte Kompetenzen abgeben
Unter Ärzten sind die neuen Befugnisse nicht unumstritten, was an die Debatte um mehr Einfluss für Krankenschwestern erinnert. Die Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte teilt mit, sie begrüße das Gesetz, warte aber auf eine „gelungene Umsetzung“: Die Sanitäter sollten die Versorgung von Patienten verbessern, bis Ärzte eintreffen. Dass Sanitäter sie irgendwann ersetzen könnten, glauben die Notärzte nicht. In der Branche hatte es die Befürchtung gegeben, mit dem neuen Berufsbild werde an der ärztlichen Rettungspraxis gefeilt.
USA: Sanitäter haben mehr Macht
In den USA etwa rücken Ärzte kaum selbst aus, Rettungswagen sind mit sogenannten Paramedics besetzt. Traditionell haben nicht ärztliche Gesundheitsberufe in den USA einen höheren Stellenwert – schon deshalb, weil zuvor oft ein Studium absolviert werden musste. Die Verwaltung von Innensenator Frank Henkel (CDU) teilte auf Anfrage mit: Man gehe davon aus, dass durch die neue Ausbildung die Zahl der Arzteinsätze nicht mehr so schnell steigen werde. Das Ersetzen „von Notärzten durch die neuen Notfallsanitäter“ sei aber nicht beabsichtigt.
Grüne fordern umfassende Reform
Wie genau sich die Ausbildung in der Praxis auswirkt, ist kaum abzusehen. Die Grünen im Abgeordnetenhaus plädieren jedenfalls für spürbare Änderungen: „In Aachen konnten die überflüssigen Notarzteinsätze um 30 Prozent reduziert werden“, sagte Gesundheitsexperte Heiko Thomas. „Die Zeit der Ärzte kann sinnvoller eingesetzt werden.“
Ab Herbst starten die Lehrgänge für die neuen Auszubildenden. Die schon aktiven Rettungsassistenten können sich zum Notfallsanitäter umschulen lassen. Rund 3000 Rettungsassistenten gibt es in Berlin. Die meisten arbeiten bei der Feuerwehr, andere etwa beim Deutschen Roten Kreuz.
Mehr Kompetenz könnte zu mehr Lohn führen
Die neue Zusatzkompetenz für die Notfallsanitäter führt nicht nur unter Ärzten zu Debatten. In Gewerkschaften und Pflegeverbänden wird diskutiert, ob die neue Qualifikation nicht mit mehr Lohn einhergehen müsste. Vollzeit-Rettungsassistenten bekommen je nach Arbeitgeber und Alter zwischen 1800 und 2900 Euro brutto im Monat.
Obwohl in der Branche kaum jemand gegen bessere Löhne argumentiert, dürfte eine Debatte um die Gehälter den langjährigen Streit um die Einsatzgebühren neu anfachen: Die Krankenkassen halten dem Senat vor, er rechne für Rettungsfahrten zu viel ab. Derzeit kostet eine Fahrt rund 215 Euro, wenn der Patient nicht in ein Krankenhaus gebracht werden muss. Wird er in eine Klinik transportiert, bekommt die Feuerwehr mindestens 319 Euro von den Krankenkassen. Die Kassen zahlen die Gebühren nur „unter Vorbehalt“.
Hannes Heine