Für jeden Patienten nur wenige Minuten: Am Brückentag sind die Berliner Notaufnahmen voll
Zwischen den Jahren füllen sich die Rettungsstellen der Berliner Kliniken – manche Patienten husten nur, andere wären in einer Praxis besser aufgehoben. Eine Visite.
Als würden die Wände unter einer Last ächzen, als würden sie von selbst husten und keuchen. Die 18 Wartenden, die an diesem Freitag um 10.30 Uhr in der Rettungsstelle des Urban-Krankenhauses sitzen, geben allerlei Geräusche von sich, die sich im Flur zu einem vagen Stöhnen vermischen. Draußen scheint die Sonne, die Vögel simulieren Frühling, drinnen flutet Neonlicht die niedrigen Gänge im Erdgeschoss der Kreuzberger Klinik.
Alle paar Minuten wird ein Wartender aufgerufen, alle paar Minuten kommt ein neuer Patient – hintereinander laufen Männer und Frauen über die Wiese auf den 70er-Jahre-Betonklotz zu, bremsen die Krankentransporte vor der Klinik. Wie sich später herausstellt, sind an diesem Tag allein zwischen Mitternacht und 12 Uhr rund 30 Menschen mehr gekommen als an üblichen Wochentagen.
Das dürfte damit zusammenhängen, dass der 27. Dezember ein Brückentag ist, ideal für Urlaub von Weihnachten bis Neujahr. Das dachten sich auch die Praxisärzte – was ihr Recht ist, aber weiter zu Streit führen wird: Die Kliniken haben nach diversen Reformen kaum genug Personal, um jeden kleineren Fall zu versorgen, die Praxisärzte wiederum sehen sich als selbstbestimmte Freiberufler – und der Senat muss vermitteln. Gerade bei den Kinderärzten droht zu diesem Jahreswechsel wieder Ärger.
Nur ein paar Minuten pro Patient
Ein Mann, höchstens 30 Jahre alt, mit aufgeplatzten, schon wieder verkrusteten Lippen und zerschrammten Wangen, folgt dem strengen Ruf einer Krankenschwester. Beim Laufen kratzt er sich die Arme, lässt den Kopf hängen. Kaum ist er weg, nimmt jemand mit breitem Kreuz behutsam Platz, blinzelt angestrengt in den Raum: Sein Gesicht ist geschwollen, die Augen fast zu, der Hals auch, Atemnot droht – offenbar hat ihn eine allergische Reaktion in die Klinik getrieben. Um 10.50 Uhr sitzen schon 21 Frauen und Männer im Wartesaal, als ein Arzt zügig aus den Tiefen des Behandlungstraktes kommt, im Laufen einen Namen vom Klemmbrett liest, der korpulenten Dame, die sich daraufhin vom Stuhl erhebt, einen „Guten Morgen!“ wünscht und sie nach hinten führt.
In der Rettungsstelle sind fünf bis sechs Ärzte und sieben Schwestern unterwegs: Viele Patienten kommen vormittags, zwischen 7 und 12 Uhr hat das Personal fast 60 Patienten versorgt, da bleiben nur einige Minuten pro Patient. Kaum ist die Dame weg, setzen sich zwei Frauen mit akkurat gesteckten Kopftüchern. Zu den nun 22 Wartenden kommt ein Neuer rein, telefonierend, irgendwas mit „Sachen“ und „Versteigern“. Der Mann überhört sogar, als sein Name aufgerufen wird.
Nicht immer handelt es sich um einen Notfall
Kein Geheimnis ist, dass viele Menschen ohne Notfall in eine Klinik statt zum Hausarzt gehen. Selbst bei Bagatellen werden Rettungsstellen aufgesucht, eben weil gerade rund um die Feiertage viele Hausärzte dichtmachen. Und auch an diesem Vormittag werden die wenigsten Patienten mit dem Rettungswagen gebracht. Einer der Wartenden erklärt unumwunden, dass es „am Ende bestimmt nur ein Husten“ sein wird.
Nur 30 Prozent der Patienten in Berliner Rettungsstellen bleiben letztlich in der Klinik; die meisten werden nach Hause oder in eine Praxis geschickt. Letzteres allerdings dürfte in diesen Tagen nicht einfach sein, weshalb man sich in den Kliniken auf dauervolle Wartesäle einstellt. Denn wie viele und welche Praxen offen sind, wissen die meisten Patienten nicht. Die für Auskünfte zuständige Hotline ist oft besetzt. Dem Vernehmen nach waren es in Kreuzberg am Freitag gerade mal drei Praxen.
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