Demo für Netzpolitik.org: Beckedahl: Landesverrat mussten wir erstmal googeln
In Berlin demonstrieren heute weit über 1000 Unterstützer von Netzpolitik.org. Die Landesverrat-Ermittlungen werden als "Angriff auf die Pressefreiheit" angeprangert.
„Maaßen- statt Massenüberwachung“ steht auf dem Schild. Martin Eggers hat es gebastelt und trägt es vor sich her. Der Potsdamer hat am Morgen von der geplanten Demonstration in Mitte gehört und ist spontan nach Berlin gefahren. „Demokratie ist nicht verhandelbar“, sagt er, und zur Demokratie gehöre nunmal die Pressefreiheit. Die sieht er angegriffen – zum Beispiel durch den Verfassungsschutz-Präsidenten Hans-Georg Maaßen. Und damit ist er unter Gleichgesinnten an diesem warmen Sonnabendnachmittag vor dem S-Bahnhof Friedrichstraße.
Die Polizei spricht von 1300, die Veranstalter sogar von 2000 Menschen, die hier für Pressefreiheit und gegen Generalbundesanwalt Harald Range sowie den Verfassungsschutz demonstrieren. Am Donnerstag war bekannt geworden, dass die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Landesverrat gegen Journalisten des Blogs Netzpolitik.org und gegen Unbekannt eingeleitet hat. Zuvor hatte Maaßen Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Grund war wie berichtet, dass die Journalisten vertrauliche Dokumente des Verfassungsschutzes veröffentlicht hatten. Range hatte am Freitag nach heftiger Kritik in sozialen Netzwerken und der Bundespolitik angekündigt, nicht weiter zu ermitteln, bis ein Gutachten entscheide, ob Netzpolitik.org überhaupt Staatsgeheimnisse veröffentlicht hat.
Riexinger fordert Ranges Rücktritt
Linken-Chef Bernd Riexinger forderte am Sonnabend im „Handelsblatt“ Ranges Rücktritt. Patrick Sensburg (CDU) dagegen, Vorsitzender des NSA-Untersuchungsausschuses, sagte der Zeitung, Range mache „seit Jahren eine gute Arbeit“ und lasse sich „von keiner Seite beeinflussen“. Weiterhin Kritik an Range und am Verfassungsschutz gab es von SPD und Grünen. Kritik, die auch über Berlins Straßen tönte.
„Cyber, Cyber!“ Techno wummert aus den Boxen an der Friedrichstraße. Da betritt Markus Beckedahl den Lautsprecherwagen und ruft „Guten Morgen!“ Der Gründer von Netzpolitik.org ist einer der Beschuldigten; er sagt: „Schön, dass wir so viele sind, die gegen die Einschüchterung der Presse protestieren!“ Bis vor zwei Tagen sei sein Leben relativ normal gewesen, erzählt Beckedahl; als der Brief des Generalbundesanwalts gekommen sei, „mussten wir erstmal ,Landesverrat’ googeln“. Die Menge lacht und klatscht – auch drei junge Frauen, die ein Schild tragen: „Markus Beckedahl hat unser Leben verändert.“
André Meister: "Deutschland braucht einen echten Whistleblower-Schutz!"
Fan ist auch Johanna Schmidt-Bens. Die Berlinerin liest schon seit Jahren Netzpolitik.org, ihr „Lieblingsblog“, wie sie sagt; jetzt will sie die Grundrechte schützen, deshalb geht sie demonstrieren. „Als ich die beiden vom Verfassungsschutz beanstandeten Texte gelesen habe, hätte ich nicht gedacht, welche Auswirkungen das hat“, sagt sie. „Dass sich Juristen überhaupt zu so etwas hinreißen lassen!“ Auch die Berlinerin Isabell R. findet die Anklage „fast schon lächerlich“.
André Meister, der zweite beschuldigte Journalist, fordert bei der Abschlusskundgebung vor dem Justizministerium: „Öffentlich relevante Informationen müssen öffentlich bekannt werden!“ Daher brauche Deutschland einen echten Whistleblower-Schutz. „Gegen die NSA gab es kein Ermittlungsverfahren“, ruft er, ein „Buuuuh“ aus vielen hundert Kehlen schallt durch die Mohrenstraße.
Das versteht auch der Potsdamer Martin Eggers nicht. „Bei der NSA soll es zu wenig Beweise gegeben haben“, sagt er, aber gegen Journalisten werde ermittelt. Ansonsten ist er „überwältigt“, dass so viele Menschen zu einer Demo gekommen seien, die erst am Tag zuvor angemeldet wurde. (Mit AFP)
Hinweis: In einer ersten Version dieses Artikels hieß es, Hans-Georg Maaßen habe Anzeige gegen die Journalisten von Netzpolitik.org und Unbekannt erstattet. Das ist nicht richtig - seine Anzeige richtete sich nur gegen Unbekannt.