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Wann folgt in Deutschland jemand dem Beispiel von Edward Snowden? Und was würde bekannt, wenn hierzuland ein Whistleblower geheime Informationen verbreiten würde?
© AFP

Landesverrat und netzpolitik.org: Die Angst vor einem deutschen Edward Snowden

Geheimdienstchef Hans-Georg Maaßen fürchtet einen deutschen Edward Snowden. Ein Kommentar zum Vorgehen gegen netzpolitik.org wegen "Landesverrats".

Ein Kommentar von Patrick Beuth

Hans-Georg Maaßen ist kein Anfänger. Der Präsident des Bundesverfassungsschutzes ist lange genug im Amt, um die Folgen seiner Handlungen und Äußerungen abschätzen zu können. Mit den Ermittlungen gegen Markus Beckedahl und André Meister von netzpolitik.org hat er die Medien praktisch gezwungen, seine eigentliche Botschaft zu verbreiten.

Maaßen muss klar gewesen sein, dass sich netzpolitik.org von einem Brief des Generalbundesanwalts nicht einschüchtern lassen, sondern diesen im Gegenteil erst einmal veröffentlichen würde. Der Brief hängt jetzt dekorativ neben Beckedahls Auszeichnung zum Journalisten des Jahres und dem Grimme Online Award.

Auch über die Reaktionen auf eine solche Anzeige und die ersten Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen Journalisten seit 1983 muss sich Maaßen, der die Ermittlungen dann auch bald darauf vorläufig aussetzte, im Klaren gewesen sein. Natürlich sprangen quer durch die Republik nun Redaktionen den Kollegen von netzpolitik.org zur Seite und machen Landesverrat zu einem lange nicht gehörten und gefährlich klingenden Signalwort.

Geheimdienste vertragen sich nicht mit den Idealen einer Demokratie

Genau darauf könnte es Maaßen abgesehen haben. Was die Öffentlichkeit von ihm und seiner Behörde denkt, ist für Maaßen vielleicht nicht irrelevant, aber zweitrangig. Das muss es ihm sogar sein, wenn er seinen Job ernst nimmt, denn Geheimdienste vertragen sich nun einmal schlecht mit dem hehren Ideal einer Demokratie, in der die Mächtigen vom Volk kontrolliert werden.

Wichtiger dürfte ihm die Signalwirkung sein: "Whistleblower und Journalisten, seht euch vor." Nie war es einfacher, auch große Mengen an vertraulichen Unterlagen zu kopieren und zu veröffentlichen. Nie war der mediale Konkurrenzkampf um solche exklusiven Zugänge größer.

Maaßen stört das gewaltig. Kürzlich hat er es als Skandal bezeichnet, "dass geheime und geheimste Unterlagen aus dem Bereich der Nachrichtendienste in die Medien gelangen, sobald sie den politisch-parlamentarischen Bereich erreichen". Er "persönlich habe den Eindruck, dass von bestimmten Kreisen versucht wird, die deutschen Nachrichtendienste sturmreif zu schießen."

Seit 1. August 2012 ist Dr. Hans-Georg Maaßen Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Vorher war der gebürtige Westfale u. a. Leiter des Stabes Terrorismusbekämpfung in der Abteilung Öffentliche Sicherheit im Bundesministerium des Innern und Referatsleiter für Ausländerrecht.
Seit 1. August 2012 ist Dr. Hans-Georg Maaßen Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Vorher war der gebürtige Westfale u. a. Leiter des Stabes Terrorismusbekämpfung in der Abteilung Öffentliche Sicherheit im Bundesministerium des Innern und Referatsleiter für Ausländerrecht.
© dpa

Nun schoss er zurück. In der Hoffnung, dass sich andere leichter beeindrucken und einschüchtern lassen als Beckedahl und Meister. Der oberste Verfassungsschützer will verhindern, dass es demnächst einen deutschen Edward Snowden, eine deutsche Chelsea Manning gibt, die noch viel mehr geheime Unterlagen an die Öffentlichkeit tragen. Denn das könnte nicht nur Methoden zutage fördern, über die kein Geheimdienstler gerne öffentlich debattieren möchte. Es könnte auch die Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern - allen voran den USA - gefährden, von deren Wissen und deren Technik der Verfassungsschutz in großem Umfang profitiert.

Mit Generalbundesanwalt Harald Range hat Maaßen einen Verbündeten, der seit einiger Zeit subtilere, aber ebenso politische Signale sendet: Seine Ermittlungen im Fall der von der NSA abgehörten Kanzlerin sind geradezu aufreizend gemächlich, dem Verdacht der massenhaften Überwachung der Bundesbürger geht er derzeit gar nicht ernsthaft nach. Im November 2013 hatte er sein zögerliches Vorgehen mit möglichen Auswirkungen im "politisch-diplomatischen Bereich" erklärt. Übersetzt: Das könnte die Amerikaner verärgern.

Es könnte aber auch alles ganz anders kommen. Versanden die Ermittlungen, könnte das Whistleblower und Journalisten sogar ermutigen, noch viel mehr aus der Welt der Geheimdienste zu veröffentlichen.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Zeit Online .

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